Bonhoeffer und drei Arten, auf Weihnachten zu warten
Für die Adventszeit gibt es viele Bilder. Die meisten beschreiben das Warten auf Weihnachten als etwas Schönes. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer verglich den Advent in einem Brief aus Zelle 92 des Gefängnisses dagegen mit seiner Arrestzelle.
Dietrich Bonhoeffer (1906-45) ist der wohl
berühmteste deutsche Theologe des 20. Jahrhunderts. Zum Jahreswechsel wird sein
bekanntes Gedicht «Von guten Mächten treu und still umgeben» in zahllosen Kirchen
und Gemeinden gesungen. Doch der Widerstandskämpfer prägte noch viele andere
hilfreiche Gedanken und Sätze. Zum Beispiel seinen Vergleich des Advents mit
einer Zelle im Gefängnis.
Warten
zwischen Hoffnung und Hilflosigkeit
Dietrich Bonhoeffer im Jahre 1939
Am 21. November 1943 schrieb
Bonhoeffer an seine Verlobte Maria von Wedemeyer: «Wenn Du den Brief kriegst,
ist wohl schon der Advent da, eine Zeit, die ich besonders liebe. Weisst Du, so
eine Gefängniszelle, in der man wacht, hofft, dies und jenes – letztlich
Nebensächliche – tut, und in der man ganz darauf angewiesen ist, dass die Tür
der Befreiung von aussen aufgetan wird, ist gar kein so schlechtes Bild für den
Advent.»
Typisch Bonhoeffer. Selbst im Gefängnis bewahrte er
sich offene Augen für geistliche Wahrheiten. Bereits in den Jahren vorher
betonte er in seinen Predigten in der Adventszeit diese Spannung aus eigener
Hilflosigkeit und Hoffnung. Aus vollendeter Erlösung und noch bevorstehender
Befreiung. Dabei wies er besonders auf drei biblische Personen hin, die für ihn
Inbegriff des adventlichen Wartens waren: Mose, Josef und Maria.
Die
US-Theologin Elisabeth Kincaid stellte für «Christianity Today»
zusammen, wie wir von ihnen bis heute lernen können, dass Warten mehr ist als
mit einem Glas Glühwein am Kamin zu sitzen. Stattdessen ist es auch tief,
gefährlich und von Kummer und Schmerz bestimmt.
Mose
und das Bewusstsein des Todes
Mose haben wir oft als triumphierenden Anführer
seines Volkes im Blick. Kraftvoll streckt er seinen Stab über das Rote Meer
aus, bis es sich teilt. In enger Gemeinschaft mit Gott erhält er auf dem Sinai
die Zehn Gebote. Doch am Ende seines Lebens begegnen wir einem anderen, dem
adventlichen Mose. Kurz bevor er seine Aufgabe erfüllen und das Volk Israel ins
verheissene Land führen kann, ruft Gott ihn ab. 5. Mose, Kapitel 32, Vers 48-52
zeigt ihn auf dem Berg
Nebo, auf dem er – das Ziel vor Augen – stirbt, weil er früher ungehorsam war.
Diesen
Moment beschreibt Bonhoeffer als Moses Advent. Mose weiss, dass er versagt hat,
dass er sterben wird – und dass Gott trotzdem zu seinem Ziel kommen wird.
Gottes Verheissung wird sich erfüllen wie das Versprechen des Advents: Jesus
ist gekommen, aber noch nicht vollkommen. Über alle unsere Unzulänglichkeiten
hinaus gilt laut Bonhoeffer: «Gott ist bei uns und wir sind nicht mehr
obdachlos. Ein Stück der ewigen Heimat wird uns eingepfropft.»
Josef
und das Warten am Rande
Auch Josef erlebt in gewisser Weise, wie sich eine
Verheissung Gottes erfüllt. Im Vertrauen auf Gott nimmt er die schwangere Maria
zur Frau. Ihr Sohn soll «sein Volk erretten von ihren Sünden» (Matthäus,
Kapitel 1, Vers 21).
Doch von dieser Erlösung sieht er zunächst einmal nichts: Das Kind kommt in
Armut zur Welt. Josef muss mit seiner Familie nach Ägypten fliehen. Und später
zieht er mit Maria und Jesus nach Nazareth – aufs platte Land statt in die
Hauptstadt. «Es war für Josef so unverständlich wie für die übrige Welt, dass das
kaum beachtete Nazareth der Bestimmungsort für den Retter der Welt sein sollte»,
betonte auch Bonhoeffer.
Josef bleibt eine Randfigur, während er sieht, wie
Jesus sich ebenfalls am Rande der Gesellschaft bewegt und unter Armen wohnt und
ihnen dient. Als sein menschlicher Vater steht er daneben, rechnet damit, dass
etwas Grosses geschehen könnte, hat aber keine Ahnung, wann Gottes Plan zur
Vollendung kommt.
Maria
und das radikale Unerfülltsein
Bonhoeffer beschreibt Maria als die Person, die «besser
als jede andere weiss, was es bedeutet, auf Christus zu warten». Sie erlebt am
eigenen Leib, dass Gottes Wege nicht immer unsere Wege sind. Sie verkörpert die
Spannung der Erlösung. Schwanger mit dem Erlöser muss sie auf seine Geburt warten
und fühlt gleichzeitig, dass Gottes Versprechen bereits erfüllt sind.
Im Magnificat
(Lukas, Kapitel 1, Vers 46-55)
bringt Maria zum Ausdruck, dass Jesus nicht nur ihr Retter sein wird, sondern
auch der des gesamten Volkes, der Armen und Vergessenen. Doch über die
Kreuzigung Jesu hinaus muss sie warten und erleben, dass dieses Neuwerden der
Schöpfung noch nicht geschehen ist.
Anderer
Advent…
Warten ist nur dann erträglich, wenn es begrenzt
ist. Aber Bonhoeffer wies immer wieder darauf hin, dass diese Grenzen
ausserhalb unseres Einflussbereichs liegen. Wie ein Gefangener in der Zelle
sind wir abhängig von der Befreiung, die von aussen kommt. Das Volk Israel
hatte bereits Jahrhunderte auf den Erlöser gewartet. Und wir warten genauso
seit Hunderten von Jahren darauf, dass die Erlösung durch Jesus endlich
vollendet wird. Advent ist mehr als als das 24-tägige Warten aufs
Weihnachtsfest. Es ist das Wissen, dass wir wie Bonhoeffer eingekerkert sind im
Hier und Jetzt und auf das erlösende Knirschen des Schlüssels im Zellenschloss
warten. Gott hat sein Versprechen gegeben – und er wird es halten. Bis dahin
können wir mit Bonhoeffer sagen: «Sogar hier kann und sollte man Weihnachten
feiern.»
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