... und dann schlug er auf seine Frau und die Kinder ein

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"Jeden Tag gab es Streit. Wegen der Kinder, wegen dem Geld, wegen der Hausarbeit. Und dann hat er angefangen, auf mich und die Kinder einzuschlagen." So erzählt es die weinende und blutverschmierte Frau. Alltag in einem Frauenhaus. Alltag in einer Gesellschaft voller Gewalt.

Unterrichtsbeginn in einer Grundschule. "Na, du Arsch!", begrüsst ein Schüler seinen Banknachbarn. Der "Arsch" nimmt daraufhin seinen Zirkel aus dem Mäppchen und sticht ihm die Spitze durch die Hand ...

Szenen der Gewalt! Autonome fackeln Luxuskarossen ab, Hooligans bekämpfen sich brutal in Cliquen, Jugendliche schlitzen Polsterungen in U-Bahnen auf, Menschen werden bedroht, beraubt, verletzt, sexuell genötigt und getötet. Alltagsaggressionen wie Unfreundlichkeiten, Beschimpfungen, Vordrängeln und aggressive Fahrweisen, Ehestreitigkeiten, das Mobbing vom Arbeitskollegen, Belästigungen und andere soziale Grobheiten greifen immer stärker um sich. In den Medien besitzt Gewalt einen Showeffekt und nimmt als "Action" auf der Beliebtheitsskala von Film und Fernsehen Spitzenwerte ein.

Kranke Gesellschaft

Gewalt ist tief in unserem sozialen Zusammenleben verankert. Ihre Vokabeln heissen Konkurrenz, Überlegenheit, Durchsetzung eigener Interessen und Befriedigung persönlicher Wünsche ohne Rücksicht auf andere. Soziale Spielregeln der Fairness und Anerkennung werden nicht mehr eingehalten. Täter geben keine Gründe mehr für ihr Handeln an. Oft fehlen Unrechtsbewusstsein und das Mitleid mit dem Opfer.

Aggressive Kinder

Ein hohes Mass an psychischer und körperlicher Gewalt kommt aus dem Bereich der Familie. Niemand, so scheint es, kann uns heute so schnell aggressiv machen wie der Partner. Jede dritte Beziehung scheitert an Intoleranz, Unverständnis und überzogenen Anspruchshaltungen. Kinder und Jugendliche erfahren familiäre Gewalt vielfach als eine Kette von Einschränkungen und Entmutigungen, als fortgesetztes Signal, dass sie nichts sind und nichts können. Werden ihre Bedürfnisse nach Anerkennung und Selbstentfaltung über lange Zeit hinweg missachtet, sind aggressive und gewalttätige Handlungen vorprogrammiert. Denn Kinder funktionieren nicht, sondern reagieren. Ein aggressives Kind ist fast immer ein Kind, das sich ungeliebt und unbedeutend fühlt. Und Gewalt ist dann oft das (letzte) Mittel, um auf sich aufmerksam zu machen und mit den eigenen Interessen ernst genommen zu werden.


Wie Gewalt entsteht

Die Auslöser für das Entstehen von Gewalt und Aggression sind vielfältig. Typische "schnelle Brüter" sind zum Beispiel ungünstige Wohnverhältnisse, ein die finanziellen Möglichkeiten übersteigender Lebensstil, Leistungsdruck, Arbeitslosigkeit, fehlende persönliche Zukunftsperspektiven, erfahrene Demütigungen oder ein geringes Selbstwertgefühl. Zeitnot oder das Gefühl, zu kurz zu kommen und eine Fülle von als frustrierend erlebter Alltagssituationen verkürzen unsere "Zündschnüre", so dass aggressive Ausbrüche schneller erfolgen. Fast immer sind aggressive Verhaltensweisen dabei ein Signal für unbefriedigend und konflikthaft erlebte soziale Beziehungen. Sie werden zwar als Mittel der Konfliktlösung eingesetzt, erzwingen aber immer neue Konflikte.

"Schlagende Argumente"

Gewalt ist subjektiv immer ein sinnhaftes Handeln, weil damit etwas erreicht wird. Sie stützt und fördert das Selbstwertgefühl ("Ich kann etwas durchsetzen"), vermittelt das Gefühl von Ohnmacht und Einflusslosigkeit. So haben zum Beispiel gewalttätige Menschen oft nicht gelernt, über das zu sprechen, was sie bewegt. Die "schlagenden Argumente" der Gewalt werden dagegen überall verstanden, erzwingen Aufmerksamkeit und machen Wünsche unmissverständlich klar. In der Erziehung wird Gewalt meist aus einer Position der Unsicherheit und Schwäche heraus angewendet. So ist es zum Beispiel viel leichter, etwas zu erzwingen oder zu verbieten und dabei "hart durchzugreifen", als sich mit den Wünschen und Argumenten seiner Kinder auseinanderzusetzen, eigene Ängste und Vorbehalte abzubauen und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.


Wie reagieren?

Weil wir unsere eigenen Aggressionen nie im Griff haben, müssen wir ständig daran arbeiten, im Alltag weniger gewalttätig miteinander umzugehen. Folgende Schritte können uns dabei helfen:

-Gewalttätige Anteile an unserer Persönlichkeit nicht verdrängen. Verdrängung kostet Zeit und Kraft, und das Verdrängte gewinnt zunehmend Macht über unser Leben. Besser: Zu persönlichem Ärger, Zorn, Gestresst- und Genervt-Sein stehen und dem anderen signalisieren "Vorsicht, ich bin nicht gut drauf!" Umgekehrt sollten wir solche Signale von anderen ernst nehmen.

-Alternativen für aggressive Verhaltensreaktionen auf erfahrene Verletzungen suchen und nutzen: Sich den Ärger bei einem vertrauten Menschen von der Seele reden, ins Tagebuch explodieren ...

-In Konfliktsituationen Hör- und Gesprächsbereitschaft signalisieren. Dem anderen nicht das Wort abschneiden. Auf geringschätzende Äusserungen und Drohungen verzichten.

-Eigene aggressive Verhaltensweisen reflektieren: Warum habe ich mich so verhalten? Was hat mich so aufgeregt? Was möchte ich gerne anders haben? War mein Ärger/Zorn angemessen? Wer kriegt ab, was sich bei mir an Frust und Stress aufgebaut hat? Was kann ich das nächste Mal anders machen, um mich weniger aggressiv zu verhalten?

-In der Erziehung: Auf kindliches Fehlverhalten mit logischen Folgen statt mit Machtkampf reagieren. Widerstände nicht brechen, um eine "reibungslose" Beziehung zu erhalten. Keine fromme Anpassung erzwingen. Familienregeln zunehmend möglichst gemeinsam festlegen.

-Aggressivität und Dauerstreit in Ehe und Familie nicht hinnehmen und nicht "unter der Decke halten". Bei fortgesetzter Gewalt Beratung in Anspruch nehmen.

-Auf Gewalt nicht mit Gegengewalt reagieren. Ärger, Wut und Enttäuschung im Gebet vor Gott bringen und den anderen bewusst unter seinen Segen stellen.


Die biblische Alternative

Der biblische Begriff der Sanftmut meint ein Verhalten des einzelnen, das es mit Freundlichkeit und Gemeinschaftssinn zu tun hat. Wer sanftmütig ist, lehnt Gewalt und Aggression als Mittel der Konfliktlösung ab. Dabei ist Sanftmut nichts Weichliches. Schon gar nicht zielt die Aufforderung, sanftmütig zu sein, auf eine fromme Eia-propeia-Harmonie nach dem Motto "Immer fröhlich, immer fröhlich, alle Tage Sonnenschein"! Sanftmut ist vielmehr eine aktive Lebenshaltung, deren Vorbild Jesus selbst ist . Sein Weg ans Kreuz war der Weg der Sanftmut und Demut, der Weg der Bescheidenheit und Geduld, der Weg der Bereitschaft zum Tragen und zum Leiden für andere.

Der mutige Weg

Diese Lebenshaltung ist heute unverzichtbar für das Umgehen mit Aggression und Gewalt. Es ist die Haltung, die Gewalt mit Sehnsucht nach Frieden beantwortet; die die Sucht des Egoismus mit der Sehnsucht nach gelingender Gemeinschaft beantwortet und die dem Ärger und der Wut über Verletzungen, Beleidigungen und Demütigungen durch andere Menschen die Zeichen der vergebenden Liebe Christi gegenüberstellt. Zugegeben: Es kostet Mut, in unserer "Ellenbogengesellschaft" sanftmütig zu leben. Aber wenn wir es tun, sind wir damit ganz auf der Spur Jesu.

Datum: 28.03.2002
Autor: Günther Kress
Quelle: Chrischona Magazin

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