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Reformation
Der Zustand der Kirche am Vorabend der Reformation
Die Kirche des Mittelalters war nicht nur in religiöse Machtpolitik verwickelt, sondern befand sich auch in grossem moralischem Zerfall. Der war sogar für das gewöhnliche Volk offensichtlich. Besonders stossend waren folgenden Missstände:
1. Durch Schenkungen wurden die Klöster oft sehr reich. Das förderte eine sittliche Verwahrlosung und geistliche Verflachung.
2. In Deutschland war zu dieser Zeit etwa jeder 9. Einwohner ein Kleriker. Trotzdem überliessen die Bischöfe und Äbte die Aufgabe des Predigens ungelehrten Vikaren.
3. Die Kirche betrieb einträgliche Geschäfte mit Reliquien, und auch von Sünden und dem Fegefeuer konnte man sich gegen Geld freikaufen (Ablasshandel).
4. Das sterile Formelwesen der scholastischen Theologie führten zu unpersönlichen Gottesdiensten.
5. Die Priester, die offiziell im Zölibat lebten, hatten immer mehr uneheliche Kinder.
Trotz mehrerer Reformbestrebungen der Kirche wurde diese sichtbaren Mißstände immer stärker. Der Abstand zwischen Realität und den Maßstäben der Bibel wurde immer grösser.
Zwingli in Zürich
Huldrych Zwingli, ein Priester aus dem Bergkanton Glarus, wurde 1518 Leutpriester am Zürcher Grossmünster, das heisst, er gehörte selber keinem Orden an. Zwingli erklärte seinen Zuhörern das Neue Testament in verständlichen Worten, statt nur Lesungen abzuhalten. Er setzte sich auch gegen den Ablasshandel ein, bei dem die Kirche Geld für die Sündenvergebung und die "Errettung aus dem Fegefeuer" verlangte. Ausserdem verbot er das sogenannte Reislaufen, die bezahlten Söldnerdienste, die vor allem für die Kriege des Papstes geleistet wurden. 1523 organisierte der Rat von Zürich eine öffentliche Anhörung ("Disputation") zum Thema Bibelauslegung. Der Rat erlaubte ihm daraufhin, mit seinen Erklärungen der Bibel fortzufahren. Er stellte sich damit gegen eine Empfehlung von Papst Hadrian VI, für den Zwingli inzwischen ein Ketzer war. Dadurch übernahm der Rat an der Stelle des Papstes die Oberhoheit über die Kirche. 1524 wurde die Messe abgeschafft, die Reliquien (Gebeine von Heiligen) aus den Kirchen geräumt und das Zölibat, Prozessionen und Wallfahrten aufgehoben.
Reformation und der Humanismus
Die Reformatoren Luther und Zwingli erneuerten die Kirche des Mittelalters. Die Kirchen waren nun wieder schlicht und einfach, und die Bibel rückte wieder in den Mittelpunkt. Die Reformation in Zürich hat viele Mißstände beseitigt und die Kirche teilweise zu ihrem eigentlichen Auftrag zurückgebracht. Zwingli war aber auch Realist und Pragmatiker. Er wusste, wie sich neue Ideen in der Politik umsetzen liessen, und musste somit auch viele Kompromisse eingehen. Doch zur Dynamik und Kompromisslosigkeit der ersten Christenheit fand Zwinglis Kirche nicht mehr zurück. Zu stark war auch er vom Humanismus beeinflusst.
Verfolgung der Wiedertäufer
Die Disputation von 1523 war der Durchbruch für die Reformation in der Schweiz. Mitstreiter Zwinglis wie Felix Mantz verlangten daraufhin eine konsequente Umsetzung der reformatorischen Gedanken und biblischen Lehren. Dazu gehörten die Trennung von Kirche und Staat und die Einführung der Erwachsenentaufe. In Zollikon wurden bald auch erste Taufen von Erwachsenen durchgeführt. Doch nun kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Zwingli und den Täufern. 1527 wird Felix Mantz in der Limmat ertränkt. Die Wiedertäufer flüchten in alle Teile Europas. Erst im Jahr 2004 hat sich die reformierte Landeskirche des Kantons Zürich von diesen tragischen Ereignissen distanziert.
Reformation in Genf und darüber hinaus
Der Franzose Johannes Calvin (1509-1564) kommt schon früh in Kontakt mit den Reformatoren und Humanisten seiner Zeit. Er schreibt die "Institutio", eine umfassende Darlegung des christlichen Glaubens. Drei Jahre lang wirkte er zunächst in Genf. Nach einer Auseinandersetzung mit dem Stadtrat über Abendmahlsfragen wurde er aber 1538 aus der Stadt gewiesen. 1541 laden die Genfer Calvin wieder ein, aus Strassburg zurückzukehren. Er treibt die Reformation in Genf voran. Doch seine Ausstrahlung reicht weit über diese Stadt hinaus. In England wirkt sein Schüler John Knox; von dort gelangt der Calvinismus nach Nordamerika. Die Bewegung der Reformation, die in der Schweiz mit Calvin und Zwingli ihren Anfang genommen hatte, beeinflusste die grosse neue Welt - Amerika.
Gegenreformation und Jesuiten
Auf dem Reformkonzil von Trient 1545-1563 ging die katholische Kirche mit der Gegenreformation zum Angriff über. Das Konzil betonte die lehrmässigen und liturgischen Differenzen zur reformierten Kirche und stellte gleichzeitig die wichtigsten Mißstände in der damaligen katholischen Kirche ab (z. B. den Ablassmissbrauch). Die Gegenreformation beinhaltet zugleich Massnahmen zur Rekatholisierung in bereits protestantisch gewordenen Gebieten. Dieser Prozess reichte noch bis ins 18. Jahrhundert. Die wichtigsten Mittel waren Diplomatie, staatliche Repression und ideologische Indoktrination (durch starke Präsenz der Jesuiten an Universitäten und Schulen). Der 1534 vom spanischen Offizier Ignatius von Loyola gegründete Jesuitenorden war direkt dem Papst unterstellt und nahm dabei die Führung ein. In der Schweiz wurde die Gegenreformation besonders durch den Mailänder Bischof Carlo Borromeo vorangetrieben. Locarno, Teile von Glarus und des Wallis werden gewaltsam rekatholisiert, d.h. reformierte Gemeinden werden aufgelöst. In Locarno kehrten einige verängstigte Protestanten in jenen Tagen zum alten Glauben zurück. Viele alteingesessene Familien (die Pestalozzi, von Muralt, von Orelli etc.) verliessen jedoch Locarno und zogen nach Zürich. In der Zwinglistadt bauten sie den Seidenhandel auf.
Die religiöse Auseinandersetzung im Tessin war alles andere als von Toleranz geprägt. Aus Anlass des 450 Jahrestages der Vertreibung der Protestanten aus Lugano wurde kürzlich in den "Reformierten Nachrichten" die folgende Begebenheit publiziert: "Am 21. Januar 1555 wurde der evangelische Schuhmacher Niklaus Greco auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Er hatte sich über einen katholischen Brauch lustig gemacht. Die katholischen Locarnesi pflegten damals der Muttergottes in der Kirche Madonna del Sasso regelmässig Speis und Trank zu opfern. Der dortige Priester nahm diese Gaben jeweils dankend entgegen. Als Greco eines Tages jemanden zur Kirche hinaufgehen sah, fragte er, für wen der Wein bestimmt sei. ‚Für die Mutter Gottes', erhielt er zur Antwort. "Eine Statue trinkt doch keinen Wein", erwiderte der Schuhmacher. Diese Bemerkung kostete ihn das Leben."
Neue Einstellung zur Arbeit
Die Reformation verstärkte auch die positive Einstellung zur Arbeit. Der deutsche Soziologe Max Weber (1864-1920) stellte später die protestantische Arbeitsethik als bedeutenden Faktor für den Wohlstand in den modernen Industriegesellschaften dar. Allerdings hatten schon die Benediktinermönche "gebetet und gearbeitet"; "ora et labora" lautete ihr Wahlspruch. Zwingli drückte das so aus: "Die Arbeit ist ein gut göttlich Ding." Der Historiker Dr. Sigmund Widmer schreibt dazu: "Reichtum und Wohlhabenheit der heutigen Staaten deckt sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mit der Adaption von Zwinglis Arbeitsethos."
Ein christliches Familienleben entsteht
Nach dem judenchristlichen Kulturkritiker Eugen Rosenstock-Huessy (1888-1973) besteht das Hauptverdienst der Reformation darin, dass der Priester durch den Familienvater ersetzt wurde. Wo vorher der Priester für den Glauben seiner Gemeindeglieder zuständig war, war es nun der Vater für seine Familie. "Durch den Bruch mit der besonderen Heiligkeit der Kirche hat Luther wie nie zuvor Platz gemacht für das Wirken des christlichen Geistes in Haus und Werkstatt."
Die Reformatoren richteten den Menschen Gottes Wort aus. Es war nicht mehr länger "die Kirche", die alles für ihn übernahm, sondern ihr eigenes Leben war nun in Gottes Licht gestellt. "Jetzt wurde jede Familie zu einer geistigen Einheit gefestigt, während sie vorher nur erblich und wirtschaftlich war." Deutlichste Kennzeichen davon waren einerseits die Visitationen der Pfarrerschaft: Lehrstunden über den christlichen Glauben, die auch auf den Dörfern abgehalten wurden, und andererseits deren Vertiefung durch Hausandachten. Erstmals entstand ein christliches Familienleben. Das wäre noch 100 Jahre früher unvorstellbar gewesen. Mutter- und Vatersein war nun ein christlicher "Stand", und die Arbeit wurde zum "Beruf" - eine Wortschöpfung des deutschen Reformators Martin Luther, die ausdrückt, dass man seine Tätigkeit als einen Ruf Gottes verstand. Industrialisierung und Mechanisierung in der Neuzeit haben die Glieder dieser Familie wieder auseinandergebracht.
Weiterführende Literatur und Links:
1. Eugen Rosenstock-Huessy, Des Christen Zukunft oder Wir überholen die Moderne, 1965, Neudruck bei Brendow 1985
2. Locarno: Flucht der Protestanten vor 450 Jahren
3. Peter Dürrenmatt, Schweizer Geschichte, Schweiz. Druck- und Verlagshaus AG, Zürich 1963
4. Peter H. Uhlmann Kirchengeschichte 2, unveröffentlichtes Kursmanuskript
5. Sigmund Widmer, Zürich - eine Kulturgeschichte. Fromme Ketzer, Zürich 1977