„…wenn wir uns vornähmen, einmal dankbar zu sein“ – ein Blick in Bettagsbotschaften 2006

Mandate haben die Gnädigen Herren der alten Eidgenossenschaft vor der Zeit Napoleons erlassen. Das Wort bleibt im Gebrauch: Zum Bettag lassen sich kantonale Kirchenleitungen und sogar einzelne Regierungen in Mandaten und Botschaften vernehmen. Wer sie liest, schmunzelt – und seufzt – ob des vielfältigen eidgenössisch-religiösen Tiefsinns.

Die Baselbieter Regierung ruft dazu auf, den Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag besinnlich und dankend zu begehen. „Unser Leben ist von einer derart beschleunigten Gangart, dass etwas Zeit-Nehmen uns nicht schlecht ansteht.“ Heute seien mehr und mehr Läden am Sonntag geöffnet und es werde mehr gearbeitet. „So bleiben nur noch die kirchlichen Feiertage, die uns zeigen, dass dieses rastlose Getue und Umherspringen nicht sein müsste.“

BL: TV-Krimi statt Abendgebet

Die Regierung in Liestal erinnert an den Beschluss der Eidgenössischen Tagsatzung von 1832, dass die kantonalen Behörden so genannte „Bettagsmandate“ zu erlassen hätten, in denen der Bettag immer wieder aktuell begründet werden könnte. Nach einigen Sätzen zu den aktuellen Kriegsherden in der Welt macht sich die Regierung des Halbkantons Gedanken über das Gebet: „Beten indessen ist vielen von uns fremd geworden. Wir schauen lieber fern. Die allabendlichen, betörend einfachen kurzen Verse der Kindheit: ‚Lieber Gott mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm’’, sind längst vergessen. Busse tun liegt auch nicht gerade im Trend der Zeit.“

Am ehesten, so die Baselbieter Regierung, „ist unserer Zeit noch das Danken nahe. Also könnten wir die Gelegenheit des Eidgenössischen ‚Dank-, Buss- und Bettages’ doch benützen, um zu danken. Das wäre doch ein schöner Zug, wenn wir am Bettagsonntag uns vornähmen, einmal dankbar zu sein. Gründe gibt es jedenfalls genügend.“

SG: Wenn alle meinen, in den Himmel zu kommen…

Der St. Galler Kirchenrat denkt über die Rolle der Kirchen im Staat nach und mahnt echte – auch geäusserte – Dankbarkeit für den Schweizer Wohlstand an. Er wendet sich gegen den Rückzug der Christen ins Private und die extreme Individualisierung des Glaubens: „Wir können nicht anderen Religionen in unserem Land vorwerfen, dass ihnen die Ausübung ihrer Religion wichtig ist, während wir unsere Spiritualität und Religiosität im stillen Kämmerlein praktizieren oder sagen: ‚Wir finden eben unseren Gott in der Natur’ – wenn überhaupt.“

Die St. Galler Kirchenleitung schafft es, die Mitte des christlichen Glaubens knapp anzusprechen: „In einer Zeit, in der Menschen der Meinung sind: ‚Wir kommen alle, alle in den Himmel, weil wir so brav sind’, in einer Zeit, in der die Menschen meinen, dass sie sich selbst erlösen können, scheint uns der Blick auf die Dimension von Busse, Entschuldigung, Einsicht, Umkehr und Erlösung durch Jesus Christus besonders wichtig. Diese Sicht des Lebens müssen wir als Christen in die Gesellschaft einbringen.“

AG: Danken und Umkehren

Im Kanton Aargau geben der Regierungsrat und die drei Landeskirchen das Bettagsmandat abwechselnd heraus. 2006 sind die Landeskirchen an der Reihe (eigenartig: ohne dass man es merkt). Sie stellen das Lebensbejahende des Dankens heraus: „…Dankbarkeit ist Aufmerksamkeit, die am alten Birnbaum, der noch Früchte trägt, nicht einfach vorübergeht… Wer danke sagt, bringt damit den Glauben zum Ausdruck, Wesentliches sei ein Geschenk und nicht ein Erzeugnis…“

Busse ist, so die Aargauer Landeskirchen, „ein Wort, das sowohl die Kirchen, als auch das Bewusstsein der Gesellschaft verlassen hat“. Man solle daher von Umkehren reden: „Noch einmal neu und anders anfangen. Umkehren und sich über die eigene Mitte, statt über die Interessen von anderen bestimmen…Umkehr ist sich gewiss: Immer gibt es die Chance eines neuen Anfangs.“

Beten = reden, wenn es Zeit ist

Das Beten wird im Aargauer Mandat diesseitig-politisch umgedeutet und reduziert: „Beten heisst reden, wenn ein Wort geboten ist. Gebet ist der Mut, das Schweigen zu brechen. Wer betet, erzählt, was vorgeht. Erzählt, ohne schön zu reden oder schlecht zu machen. Gebet ist Rede, die aufrichtet und gerade gehen hilft. Wer betet, bringt unbeirrbar diejenigen ins Gespräch, welche durch Schweigen noch einmal umgebracht worden sind. Gebet behält die Erinnerung wach. Ohne Waffe und gewaltlos. Vergisst nicht den am Kreuz Gehängten. Gefoltert von Elitetruppen. Von ihm und anderen ist zu lernen, dass beten reden und reden beten ist.“

ZH: 60 Jahre HEKS

Auf der Homepage der Zürcher reformierten Landeskirche findet sich oben nicht das Bettagsmandat, sondern die Einladung zum Bettagsgottesdienst im Grossmünster mit der Predigt von – Peter Bichsel. Doch wer online sucht, der findet. Und liest, dass Frieden nur mit sozialer Gerechtigkeit zu haben ist. Der Kirchenrat würdigt das Wirken des HEKS, des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz, das 1946 gegründet wurde. „Ein friedliches gesellschaftliches Zusammenleben ist auf Dauer nur möglich, wenn Ausbeutung, Unterdrückung und Rassismus überwunden werden.“

Diesem Ziel sei das HEKS seit seinen Anfängen (welche der Kirchenrat in der Folge ausführlich schildert) verpflichtet. „Es stellt seine grosse und weltweite Erfahrung nicht nur in den Dienst des Helfens, sondern engagiert sich damit verbunden auch in der Aufklärung, in der Entwicklungspolitik und in der Friedensarbeit.“ Aktuelle Schwerpunkte seien Demokratieförderung, Migrationsarbeit, Unterstützung von Friedenskampagnen, Agrarreformen und Arbeitsprogrammen sowie Katastrophenhilfe. Das HEKS versehe seinen Dienst im Geist des Evangeliums, schreibt der Zürcher Kirchenrat. Dass es dieses Evangelium selbst, das Wort von Christus, den Nöten der Welt entgegenhält, davon ist nichts zu lesen.

TG: Mobil – mit oder ohne Hoffnung

Die Thurgauer Landeskirche stellt ihre Bettagsbotschaft unter den Titel «Heimatlich verankert – Hoffnungslos mobil». Der Wunsch nach Mobilität oder Beweglichkeit gehöre zum Menschsein. Doch bei den heutigen Mobilitätsforderungen „werden Fragen brennend und Sehnsucht hellwach. Wo kann ich verweilen, wo ist mein Standort... auch innerlich?“ Der Thurgauer Kirchenrat hat den Eindruck, dieser Ort, einmal Heimat genannt, verwische sich. „Und weil das Wesen der Mobilität darin liegt, unterwegs zu sein, finden wir den Ort nicht mehr, anzuhalten, zur Besinnung zu kommen, wir schaffen es nicht mehr, den Anker zu werfen.“

Doch Gottes Licht wolle jeden Schritt erhellen, besonders auf dunklen Wegen. „Und dieses ‚Licht’ – so sagt die Bibel - geht uns voran auf unserem Weg ‚wie eine Wolkensäule am Tag und wie eine Feuersäule bei Nacht’, sofern wir SEIN Licht zulassen, denn dies gilt selbst für das grösste Feuer: im Vakuum wird es früher oder später verlöschen.“ In Gottes Licht könnten Christen heimatlich verankert – und so auch mobil und voller Hoffnung sein.

BE: Wie beten in Zeiten des Krieges?

Die Leitung der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn sinniert in ihrer Botschaft über das Beten in Zeiten des Krieges. Friede sei die tiefste Sehnsucht aller Menschen. Doch in solchen Zeiten „wissen auch wir als Kirche nicht mehr, was wir beten sollen. Die Opfer empfinden unser Beten als zynisch; sie verlangen unsere Parteinahme und Solidarität. Die Gewalttätigen lassen sich durch Friedensgebete weder beeindrucken noch zur Vernunft bewegen.“

Dies fordere die Christen heraus: „Wie können wir beten, wo wir schreien, wie können wir bitten, wo wir fordern, wie können wir flehen, wo wir protestieren sollten!“ Sie hätten, schreibt der Berner Synodalrat, neben dem Protest, „immer noch über politische Manifeste und Stellungnahmen hinaus, als Menschen unter Menschen zu bitten und zu beten: Kyrie eleison! Erbarme dich, Gott, und fürbittend uns selber nicht auszuschliessen.“

VD: Identität durch die Werte der Bibel – und die Kantonsgeschichte

In der Waadt stellt die Kantonsregierung ihren „lieben Mitbürgerinnen und Mitbürgern“ den Unterschied zwischen der Zeit, da der Bettag eingeführt wurde, und heute vor Augen. Damals hätten sich die Kantonsregierungen erlaubt, ihre politischen und Moralbotschaften von der Kanzel verlesen zu lassen. Heute sei dies nicht mehr erwünscht.

Die Kirchen hätten eine „réelle autorité morale“ auf die Kantone und die Gesellschaft überhaupt – auch wenn man ihre Ermahnungen nicht immer begreife, schreiben die Waadtländer Magistraten. Staat und Landeskirche (in der Waadt bisher die ‚Eglise nationale’) stünden miteinander im Dialog, sprächen aber nicht mehr mit einer Stimme. Sein Recht behalte der ‚Jeûne fédéral’ gleichwohl als „das einzige zugleich religiöse und patriotische Fest“. Der Tag feiere „unsere tiefsten und sichtbarsten Wurzeln, „unsere Werte, unsere Kultur, unsere Zugehörigkeit zu einer geografischen und politischen Grösse“.

Der Waadtländer Staatsrat, der dieses Jahr eine neue Religionsgesetzgebung vorgestellt hat, hält zum Bettag fest, Gläubige wie Nicht-Gläubige seien von einem jüdisch-christlichen „Referenzsystem“ geprägt. „Wir stützen uns in unserer Kultur auf die Bibel und auf unsere gemeinsame Geschichte.“ Diese Grundlagen erlaubten ein Zusammenleben, schreibt die Regierung. Nur wer diese Bestandteile der Waadtländer Identität im Bewusstsein halte, könne Andere annehmen und die Offenheit zur Welt hin pflegen.

Bettagsmandate und –botschaften 2006
Basel-Land
St. Gallen
Aargau
Zürich
Thurgau
Bern
Waadt

Links zu allen reformierten Kantonalkirchen
www.ref.ch/links/kantone.html


Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

Glaubensfragen & Lebenshilfe

Information

Anzeige