Freiheit ist kein Geschenk, es ist Arbeit. Das scheint
am Ende herauszukommen, wenn man sie in Beziehung zu Sünde, dem Gesetz oder
sogar der Bibel setzt. Das mag zuerst Angst machen, aber nur dadurch ist
Freiheit tatsächlich erfahrbar.
Im Mai 1949 wurde die
Bundesrepublik Deutschland gegründet. Vor den ersten freien Wahlen seit langem
fragte eine ältere Frau ihre Familie: «Wen muss ich denn jetzt wählen?» «Niemand
Bestimmtes. Du kannst dich frei entscheiden.» «Dann würde ich den Kaiser wählen…» Tja, Freiheit funktioniert nicht von selbst. Man muss sie einüben. Manchmal
macht sie sogar Angst.
Freiheit von Sünde und Tod
Auch wenn die Hebräische
Bibel keinen Begriff für Freiheit kennt,
findet sich darin die Befreiungsgeschichte schlechthin: der Exodus. Der
Auszug der Israeliten aus Ägypten. Stellen Sie sich einmal vor, man hätte
irgendeinen Israeliten – vielleicht Simon – kurz vor dem Durchqueren des Roten
Meeres gefragt: «Entschuldigung. Wir machen eine kleine Meinungsumfrage. Hätten
Sie ein paar Minuten Zeit?» «Ja, aber wirklich nur ein paar Minuten. Sehen Sie,
ich muss gleich noch durchs Meer gehen.» «Ich wollte nur wissen, ob Sie
tatsächlich glauben, dass auf der anderen Seite die Freiheit auf Sie wartet.» «Da
bin ich mir nicht ganz so sicher. Immerhin ist dort Wüste. Aber in den letzten
Jahren habe ich mich für einen Hungerlohn fast zu Tode geschuftet. Freiheit war
ein Fremdwort. Unsere Söhne hat man uns genommen. Ständig waren wir der Willkür
der Ägypter ausgesetzt. Wir waren Gefangene.» «Und jetzt?» «Schauen Sie mal
zurück. Dort rückt gerade die ägyptische Armee mit ihren Streitwagen an. Wenn
die uns erwischen, dann werden wir entweder eingefangen oder umgebracht.
Deshalb kann ich Ihnen gar nicht so richtig sagen, was ich davon erwarte,
durchs Rote Meer zu ziehen, aber besser als früher wird es auf jeden Fall sein.
Ich will noch nicht sterben.» (Die ganze Geschichte ist nachzulesen in 2. Mose
Kapitel 14)
Es ist verständlich, dass
die «Entscheidung» der Israeliten auch aus einer gewissen Angst geschah. Manch
eine Christin oder ein Christ hat die ersten Schritte hin zu Jesus aus Angst
getan, Angst vor Sünde, ihren Folgen oder dem Tod. Aber nicht die Angst ist das
Entscheidende, sondern die Freiheit.
Diese Freiheit hat Jesus
verkündet: «Der Geist des Herrn … hat mich gesandt, … Gefangenen Befreiung zu
verkünden» (Lukas Kapitel 4, Verse 18-19).
Und diese Freiheit hat Paulus erklärt: «Nachdem ihr aber von der Sünde befreit
wurdet, seid ihr der Gerechtigkeit dienstbar geworden» (Römer Kapitel 6, Vers
18). Denn Freiheit in der
Bibel ist mehr als Freiheit von Angst – es ist die Freiheit, so zu werden, wie Gott
sich uns gedacht hat.
Dass das weder mit
Abrakadabra noch mit einem Fingerschnipsen passiert, sondern ein Prozess ist,
erlebten die Israeliten in der Wüste genauso wie die ersten Christen (sonst
hätte Paulus nicht so viele Briefe schreiben müssen) und wie wir.
Freiheit vom Gesetz
In ihrem Buch «Unorthodox» erzählt Deborah Feldman ihre Lebensgeschichte. Die Jüdin wuchs in einer ultraorthodoxen
Gemeinschaft in Brooklyn, New York auf und konnte sich mit 23 daraus befreien.
Bis dahin hatte Gesetzlichkeit jede Minute ihres Lebens beeinflusst – aus
Angst, dass den Juden noch einmal so etwas Schreckliches wie der Holocaust geschehen
könnte. Sie selbst wurde wie viele andere dabei zutiefst verletzt.
Doch Gesetzlichkeiten gibt
es in jeder Religion: als katholische genauso wie evangelische oder
freikirchliche Gesetzlichkeit. Und sie ähneln sich erschreckend: Immer geht es
darum, dass Menschen Angst vor der Freiheit haben. Dass sie sich bei Gott
Punkte verdienen wollen – himmlische Paybackpunkte durch irdische
Unannehmlichkeiten. Dass sie nicht nur glauben, sondern auch etwas tun wollen
zu ihrer Rettung. Und das kann sich sehr fromm anhören: «Wenn Christus dich
befreit hat, hast du endlich die Freiheit, die Gesetze zu halten.»
Paulus lehnt solche Gedanken
sehr deutlich ab und zeigt ihren menschlichen Ursprung: «Wenn ihr nun mit
Christus den Grundsätzen der Welt gestorben seid, weshalb lasst ihr euch
Satzungen auferlegen, als ob ihr noch in der Welt lebtet? 'Rühre das nicht an,
koste jenes nicht, betaste dies nicht!' – was doch alles durch den Gebrauch der
Vernichtung anheimfällt – Gebote nach den Weisungen und Lehren der Menschen, die
freilich einen Schein von Weisheit haben in selbst gewähltem Gottesdienst und
Demut und Kasteiung des Leibes, und doch wertlos sind und zur Befriedigung des
Fleisches dienen» (Kolosser Kapitel 2, Verse 20–23).
Wer längere Zeit in einer
gesetzlichen Gemeinschaft gelebt hat, leidet darunter, aber nicht nur, denn
Gesetze geben auch Stabilität und Sicherheit. Nur Leben können sie keines geben
– und Freiheit auch nicht. Das wusste auch Deborah Feldman, die sich gegen
ihren sicheren Rahmen für eine unsichere Freiheit entschied.
Freiheit von der Bibel
Tatsächlich kann auch ein
falscher Gebrauch der Bibel Ängste erzeugen und Freiheit verhindern. Die Bibel
ist kein Buch, sondern eine Bibliothek verschiedenster Autoren, die über einen
Zeitraum von ca. 1'500 Jahren entstand. Nichts, was darin steht, ist direkt an Sie
und mich geschrieben. Alles, was darin steht, muss in gewisser Weise in unsere
Lebenswirklichkeit übersetzt werden – also ausgelegt.
Beispiel gefällig? Sollen
Eltern ihr Kind schlagen oder nicht? Das Gesetz
ist darin ziemlich deutlich: «Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung.»
Aber was sagt die Bibel dazu? Einer der meistzitierten Verse steht in Sprüche Kapitel
13, Vers 24: «Wer seine
Rute spart, der hasst seinen Sohn, wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn
beizeiten.» Bevor Sie jetzt sagen: «Da steht es doch…», lassen Sie uns noch eine
wichtige Parallele ansehen: «Wenn jemand einen widerspenstigen und störrischen
Sohn hat, der der Stimme seines Vaters und seiner Mutter nicht gehorcht und
ihnen auch nicht folgen will, wenn sie ihn züchtigen, so sollen sein Vater und
seine Mutter ihn ergreifen und zu den Ältesten seiner Stadt führen und zu dem
Tor jenes Ortes, und sie sollen zu den Ältesten seiner Stadt sagen: Dieser
unser Sohn ist störrisch und widerspenstig und gehorcht unserer Stimme nicht;
er ist ein Schlemmer und ein Säufer! Dann sollen ihn alle Leute seiner Stadt
steinigen, damit er stirbt» (5. Mose Kapitel 21, Verse 18–20).
Plötzlich ist das Ganze gar
nicht mehr so eindeutig, oder? Warum nicht? Wir fangen an zu überlegen, wie
diese Aussage zu verstehen ist. In ihrem antiken Kontext und auch in unserem
heutigen. Wir fragen uns vielleicht, was Jesus zu dem Thema sagt: Nun, zu
Kindererziehung sagt er genau gar nichts. Und zu Gewalt steht er deutlich
ablehnend – so weit, dass er sich sogar selbst töten lässt.
Tatsächlich spricht viel
dafür, mit Mut und Freiheit selbst an scheinbar eindeutige Bibelstellen
heranzugehen und sie angstfrei auszulegen – so wie Pinchas Lapide es anregte:
die Bibel nicht wörtlich, sondern ernst zu nehmen.
Freiheit in Jesus
Okay, es gibt Angst vor
Sünde und Tod – aber die Tür in die Freiheit ist offen. Es gibt Angst vor dem
Gesetz – aber die Freiheit kommt ohne ein scheinbar stabiles Korsett aus. Es
gibt Angst vor der Bibel – doch die Frage, wie sie tatsächlich zu verstehen
ist, führt zur Begegnung mit dem lebendigen Wort.
Letztlich macht Freiheit
Arbeit. Ich muss nachdenken, diskutieren und vielleicht auch einfach zugeben,
dass ich mich geirrt habe. Gleichzeitig finde ich Freiheit und Orientierung
immer wieder bei Jesus Christus selbst.
Hallo Pisteuo, es ist mir klar, dass man zum Text etwas einwenden kann. Mein Artikel sollte auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein, sondern das Plädoyer für eine Freiheit in Christus - selbst wenn man Angst vor einem "zu viel" an Freiheit hat.
Beim Beispiel mit der Züchtigung bin ich tatsächlich von deutschen Verhältnissen ausgegangen. Es freut mich, wenn das Thema Gewalt in der Erziehung in der Schweiz kein Problem mehr darstellt. In Deutschland ist das definitiv anders. Da meinen viele Christen, dass Prügeln unabdingbar zur christlichen Erziehung dazugehört. Freiheit von solchem nur scheinbar biblischen Denken empfinde ich als wichtigen Schritt in die Freiheit, die Christus a
Submitted by pisteuo on 29. Mai 2021 - 8:53.
Man könnte praktisch zu jedem Abschnitt dieses Artikels etwas einwenden. Auch wird das Thema Züchtigung der Kinder wieder gegen die Bibel verwendet, obwohl hier im Mai 2018 bereits eine Diskussion darüber ausgetragen wurde. Wieder wird nicht unterschieden zwischen dem Gesetz und allgemein gültigen Geboten, die auch im NT vorkommen, und dass die Gesetzeslage in der Schweiz eine andere ist als in Deutschland.
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