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Der Schweizer Religionswissenschaftler Prof. Georg Schmid weist im Jesus.ch-Interview auf die dunklen Seiten des tibetischen Buddhismus und seiner Rituale hin.
Jesus.ch: Der Dalai Lama wurde Ende Mai am Kirchentag in Berlin so gefeiert wie kein anderer geistlicher Führer. Was empfinden Sie, wenn ein Buddhist obenaus schwingt an einem christlichen Treffen?
Georg Schmid: Ich sehe in dieser Liebe zum unangefochtenen spirituellen Führer auf der einen Seite immer noch eine uralte Sehnsucht nach einem Führer, nach geistiger Autorität. Das Nachfolgen-Können ohne Fragezeichen steckt offenbar nicht nur in Deutschland, sondern in Mitteleuropa vielen im Blut. Und wenn man schon keinem Hitler mehr nachfolgt, dann muss es ein östlicher Führer sein.
Der Dalai Lama gilt als total friedlich, als fehlerfrei. Kritik am Dalai Lama ist geächtet, wird verfemt. Kritische Bücher zum Dalai Lama dürfen in weiten Kreisen nicht einmal besprochen werden, oder dann nur sehr negativ. All das gefällt mir gar nicht. Wieviel Führerhörigkeit, wie viele Autoritätsbedürfnisse haben wir noch?
Auf der anderen Seite sehe ich in der Liebe zum Dalai-Lama auch ein grosses Mass an ungestillter spiritueller Sehnsucht, das wir Christen nicht übersehen sollten. Wenn schon spirituelle Autorität gefragt ist – nicht derart hochgejubelte wie die des Dalai Lama –, dann hätten wir im Christentum auch Leute, die man auftreten lassen könnte. Natürlich wären alle christlichen Persönlichkeiten umstrittener – und das ist gut so: Ich möchte gar keine Gestalt im Christentum haben, so fehlerfrei und so umjubelt wie es der Dalai Lama ist. „Einer ist euer Meister, Christus, ihr aber seid alle Brüder.“ Auch wenn wir Dalai Lamas sein möchten – Christus relativiert uns alle.
Es gibt die Hinterseite des tibetischen Buddhismus: knochenharte Rivalitäten und Machtkämpfe, sehr viel Okkultes, dämonische Bindungen, magische Rituale. Man weiss davon, doch die Lichtgestalt des Dalai Lama wird davon nicht beeinträchtigt.
Viele Leute kennen die Schattenseiten des tibetischen Buddhismus nicht. Wir kennen die Schattenseiten des Christentums und seiner Geschichte, auch die des Islam. Wir kennen die Schattenseiten des Hinduismus, etwa die Witwenverbrennungen. Aber Schattenseiten des Buddhismus sind noch kaum bekannt oder werden kaum wahrgenommen. Dabei gibts natürlich sehr viele Schattenseiten auch in der Geschichte des Buddhismus.
Vielleicht bleibt die Lichtgestalt des Dalai Lama derart unangefochten, weil Menschen immer irgendwie einen Traum brauchen. Sie müssen einem Traum nachrennen können. Zeitweilig war es der Traum von den unendlich friedlichen Indianern Nordamerikas. Von den Hopis in der Wüste von Arizona. Nun hat man festgestellt, dass unter den Indianern sehr viel soziales Elend herrscht und die Hopis nicht die Kultur der Zukunft sind.
Jetzt hat man einen Tibet-Traum. Irgendwo müssen wir die perfekte Welt noch vor unseren Augen halten. Die bösen Chinesen haben diesen wunderbaren tibetischen Buddhismus zerstört, und jetzt lebt er da in Spuren im Westen. Doch der Hollywood-Lamaismus, dieser tibetische Buddhismus, wie er im Film daherkommt, hat mit der Realität nicht viel zu tun. Zudem wird der Dalai Lama sehr gut verkauft...
Er ist locker, trotz seinem Alter. Er kommt an als gelöster geistlicher Meister...
Er hat eine sehr gewinnende Art. Er ist sicher ein spiritueller Mensch. Aber sein Auftreten hier darf man nicht missverstehen. Innerhalb des tibetischen Buddhismus kann er sehr prägnant, sehr fordernd auftreten. Er kann ungeheuer harte Forderungen stellen. Er ist total tolerant gegenüber den Westlern, die er auch aufruft, bei ihrer eigenen Religion zu bleiben, und er kann sehr rigoros sein, wenn es um innertibetische Abgrenzungen geht. Er hat wirklich zwei Seiten. Das gehört auch zum östlichen Führer.
Er lebt ja auf zwei Ebenen. Auf der Ebene der Verhüllungswahrheit – und auf der Ebene der absoluten Wahrheit. Auf dieser zweiten Ebene ist natürlich – nach buddhistischer Lehre – alles eins. Da spielt es letztlich auch keine Rolle, was wir glauben. Aber auf der Ebene der Verhüllungswahrheit geht’s auch um verschiedene Organisationen, um Regierungen. Bei seiner Exil-Regierung in Indien sind handfeste Auseinandersetzungen möglich.
Der Dalai Lama ist nicht nur der unendlich friedliche spirituelle Führer. Auch Diplomatie gehört zur Verhüllungswahrheit. Er hat sich zum Irakkrieg fast nicht geäussert. Jedenfalls nur so, dass alle seine US-amerikanischen Fans ihn ja nicht kritisieren könnten. Der Papst war viel tapferer in seinen Aussagen zum Irakkrieg. Warum hat die Friedensgestalt des beginnenden 21. Jahrhunderts, der Dalai Lama, sich so harmlos, so zurückhaltend zur Geschichte um den Irakkrieg geäussert? Wenn man solche Fragen stellt, merkt man: Er ist auch nur ein Mensch.
Leider wird der Dalai Lama, wenn er hier auftritt, häufig als Boddhisattva angesprochen. Ich habe das an der Universität Zürich erlebt. Er wurde in der Aula vorgestellt als Boddhisattva. (ein inkarniertes göttliches Wesen, das sich freiwillig nochmals in eine menschliche Gestalt hinein begibt, um allen erlösungsbedürftigen Menschen zu helfen). Das ist natürlich völlig absurd.
In der säkularen westlichen Gesellschaft betrachten wir alle Menschen als Menschen. Dann kommt einer, und man gesteht ihm vor Hunderten von Zuschauern die völlig andere Rolle als göttliches Wesen zu. Natürlich kann man von der östlichen Philosophie her sagen, dass letztlich alles von göttlicher Wirklichkeit durchdrungen ist. Aber ihn in einer Universitätsaula 1:1 als Boddhisattva vorzustellen – das entspricht nicht unserer westlichen Kultur und Tradition. Wir können ihn als Mystiker vorstellen.
Das Wissen, dass da nur ein Mensch vor uns steht, nicht ein Super-Wesen – ich weiss nicht, wie weit dieses Wissen auch am Berliner Kirchentag vorhanden war. Ich war nicht dort. Sollte der Dalai Lama als Boddhisattva vorgestellt worden sein, wäre das schlicht absurd an einem christlichen Kirchentag. Da kann man nur noch sagen: Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
Beim Kalatschakra-Ritual – einem der höchsten Rituale des tibetischen Buddhismus – legen die Beteiligten magische Kräfte hinein. Sie wollen etwas magisch bewirken. Abgeschwächt spielen auch bei Mandalas – für Tibeter wenigstens – ganz andere Dimensionen eine Rolle, als jene, die im Kindergarten Mandalas malen lassen, wahrnehmen.
Ich sehe da ein allgemeines und ein spezielles Problem. Das allgemeine Problem: In jeder Religion können die wirklich Gläubigen gewisse Dinge anders, magisch verstehen. Im Katholizismus Südamerikas wird Gebet auch rasch zur Magie. In Afrika gibt es neocharismatische Heiler, die herumziehen. Wie weit wird, was geschieht, vom Neuen Testament her verstanden, wie weit vom schamanistisch-heidnischen Zusammenhang her? Das ist eine Erscheinung, die ich nicht nur dem tibetischen Buddhismus vorwerfen möchte.
Hingegen endet die Sache beim Kalatschakra-Ritual, wenn wir den Text richtig verstehen, in Sexualmagie. Am Schluss des Rituals, auf höchster Stufe, schliessen absurde Praktiken an. Allerdings muss ich zugeben, dass ich noch nie eine wirklich wissenschaftliche Ausgabe des Kalatschakra-Textes gesehen habe. Die Publikationen, die wir haben, sind geglättet und deuten mehr an, als sie wirklich aussagen. Aber wir müssen annehmen, dass das Kalatschakra-Ritual am Schluss in tantristischen Übungen – sogar mit Sperma-Mystik usw. – endet.
Die europäischen Befürworter des Rituals, wie es der Dalai Lama propagiert, sagen mir natürlich, dass all dies nur psychologisch zu verstehen sei. Dass dies innerpsychische Kräfte seien. Hingegen hat mir noch keiner dieser Experten versichern können, dass nicht im tibetischen Buddhismus alles, was innere Wirklichkeit bedeutet, nicht auch einen äusseren rituellen Rahmen hat. In der Regel wird bei solchen Texten alles, was da vorgeschlagen wird, nicht nur innerlich erschaut, sondern auch praktiziert. Diese Sexualmagie, da bin ich hundertprozentig überzeugt, wird auf der höheren Stufe des Kalatschakra-Rituals eingeübt
Ich finde es unfair, dies den Leuten im Westen, die sich auf unteren Stufen darin einführen lassen, nicht deutlich zu sagen. Das ist Etikettenschwindel. Man verkauft etwas, war sehr nett wirkt, wie ein kleiner Psychotrip, aber in sexualmagischen Riten endet. Solche Sperma-Praktiken haben wir sonst eigentlich nur noch beim okkulten OTO-Orden von Aleister Crowley. Die Okkult-Orden im Westen haben im 20. Jahrhundert solche Sperma-Geschichten aufgegriffen. Sie stammen wahrscheinlich auch aus dem Tantrismus, aus dem indischen Kulturraum. Wenn wir das dort nachlesen, sagen wir: O Schreck, o Graus! Das ist doch völlig absurd. Beim Dalai Lama hingegen sagt man: OK – das war ja nie so gemeint.
Ich finde, wir sollten den tibetischen Buddhismus genauso wie jede andere religiöse Bewegung – und den Dalai Lama wie jede andere Gestalt – wohlwollend-kritisch betrachten. Es darf keine Religiosität in der heutigen Zeit einfach kritiklos hingenommen werden. Religion, die nicht mehr kritisiert wird, wird ungesund. Man kann es vergleichen mit einem Tümpel. Wenn das Wasser nicht mehr aufgewühlt wird, beginnt es zu faulen, zu stinken. Jede religiöse Gemeinschaft braucht Kritik. Mindestens hier im Westen ist das so.
Jede Kirchenleitung braucht Kritik. Wenn Sie Autoritäten haben, die unangefochten ihre Wege gehen, entwickelt sich auch eine déformation professionelle. Die geistigen Führer entwickeln Allmachtsideen. Der tibetische Buddhismus darf kritisiert werden. Der Dalai Lama darf und muss kritisiert werden, wie der Papst, wie jeder Kirchenführer, jeder Theologe, jeder Mullah. Bitteschön, da machen wir keine Ausnahmen. Das wäre auch dem Dalai Lama und dem tibetischen Buddhismus gegenüber nicht fair. Wir helfen dieser Strömung nicht, wenn wir sie so anhimmeln.
Webseite der Informationsstelle: www.relinfo.ch