«Wir werden nicht islamisiert, sondern rechristianisiert»
Der Einfluss christlicher Einwanderer auf die Schweizer Gesellschaft ist grösser als derjenige von Muslimen. Davon ist Samuel Behloul, Fachleiter Christentum beim Zürcher Institut für Interreligiösen Dialog (ZIID), überzeugt.
Dr. Samuel Behloul
Christliche Migration sei zwar innerkirchlich eine ambivalente Sache, stellt der Katholik Behloul fest. «Man freut sich, an Anlässen mit exotischen Klängen und Speisen teilzunehmen. Aber die etwas andere Art der Frömmigkeit oder auch des Verständnisses der Geschlechterrollen sorgt leicht für Irritationen.» Davon seien auch Menschen, die in der Kirche arbeiten, betroffen. Es gebe Migranten, die zwar katholisch sind, sich bezüglich Moral, Frömmigkeit und des Kirchenverständnisses aber anders verhalten. Der ZIID-Institutsleiter ist daher überzeugt: «Der kircheninterne und innerchristliche Dialog ist das Gebot der Stunde. Er ist nicht weniger wichtig als der Dialog mit dem Islam.»
«Wir werden rechristianisiert»
Behloul will demnächst an einer Tagung zu christlichen Werten und interreligiösem Zusammenleben aufzeigen, dass unsere Gesellschaft nicht heimlich islamisiert wird – wie immer wieder behauptet wird. Ein Grossteil der Migranten stamme aus christlichen Ländern – etwa aus Lateinamerika, Osteuropa, Sri Lanka und Südostasien. Man könnte also rein statistisch sagen, dass wir rechristianisiert werden. Auf jeden Fall werde infolge der Migration die religiöse und kulturelle Landschaft der Schweiz komplexer und ausdifferenzierter.
Verstärkter evangelikaler Einfluss
Ein innerkatholisches Thema? Samuel Behloul beobachtet, dass bei den Reformierten die Migration weniger die traditionellen Kirchgemeinden betrifft, sondern vor allem die evangelikalen beziehungsweise freikirchlichen Bewegungen verstärkt. Zwar seien auch die Muslime von Migration betroffen. Sie seien aber kein homogener Block, sondern «kommen aus den unterschiedlichsten Ländern und bringen von dort ihre Bräuche mit». Religion sei immer auch kulturell bedingt. Und die religiöse Identität sei immer nur ein Teil der Identität einer Person.
Diskussion über Rolle von Religion anstossen
Behloul möchte auch das bestehende negative Image von Religion grundsätzlich verbessern. «Religion wird ja oft als überflüssig, teilweise gar als gewaltfördernd kritisiert. ... Das sieht man an den aktuellen Zeitungskommentaren zur öffentlich-rechtlichen Anerkennung von religiösen Gemeinschaften. Da heisst es schon mal: 'Keine religiöse Gemeinschaft sollte anerkannt werden, denn ohne Religion lebt es sich friedlicher.' Solche Debatten möchten wir mitgestalten.»