An die Ehe werden heute so hohe Erwartungen gestellt wie noch nie. Viele Partnerschaften ersticken im Anspruch der beidseitigen Selbstverwirklichung, so der US-Psychologe Eli Finkel.
Im 18. und 19. Jahrhundert war die Ehe eine Institution zur Erfüllung grundlegender Bedürfnisse, so der Psychologe im Journal «Psychological Inquiry». Im 20. Jahrhundert habe die Liebe an Stellenwert gewonnen. Seit den 1960er Jahren schliesslich sei der wirtschaftliche Aspekt in den Hintergrund getreten. «In heutigen Ehen in den USA sehen es die Partner als wichtigstes Ziel, dem anderen zu helfen, sich selbst zu finden und ihren Weg im Beruf zu gehen», so Finkel.
Höhere Erwartungen – weniger Zeit
Diese neue Zielsetzung – dem anderen bei seiner Selbstverwirklichung zu helfen – sei für immer mehr Menschen eine Überforderung. «Dem anderen bei seiner Selbstentfaltung zu helfen, braucht ein tiefes Verständnis für den Charakter des Partners. Dieses zu entwickeln, benötigt wiederum viel Zeit und Energie - daran mangelt es», so Finkel.
Paare mit Kindern würden ihre Freizeit in den Nachwuchs investieren. Wenn keine Kinder da sind, konzentriere man sich auf den Beruf. Das hat zur Folge, dass Ehepartner weniger Zeit miteinander verbringen als früher.
Die Schere geht auseinander
Höhere Erwartungen bei weniger Zeit füreinander führt laut Finkel zu hohen Scheidungsraten und abnehmender Zufriedenheit. Auf der anderen Seite könne eine Ehe heute erfüllender sein als je zuvor, wenn es gelinge das nötige tiefe Verständnis für den anderen zu entwickeln.
Erfahrungen aus der Eheberatung zeigen, dass Kommunikation und Zeit füreinander in der Ehe durch nichts zu ersetzen ist. Das durchschnittliche europäische Ehepaar redet am Tag 8 Minuten miteinander. Regelmässige Qualitätszeit und das tiefe Gespräch miteinander sind unumgänglich, um eine funktionierende Beziehung aufzubauen. Das gilt für alle Lebensphasen.
Ehe – kein Gottesersatz
Nach christlichem Verständnis dürfen Ehepartner auch nicht Ansprüche aneinander stellen, die letztlich nur Gott erfüllen kann. Menschen überfordern sich gnadenlos, wenn sie voneinander letzte sinngebende Funktion erwarten. Die Enttäuschung ist vorprogrammiert.
Unsere tiefsten Bedürfnisse kann der Partner nicht erfüllen – dazu brauchen wir die Beziehung zu unserem Schöpfer. Das kann eine Ehe gewaltig entstressen und den Weg dazu freimachen, dass man das Beste füreinander gibt, aber auch mit Grenzen und Defiziten leben lernt.
Zu den christlichen Grunderfahrungen gehört schliesslich auch die Vergebung: man entschuldigt sich gegenseitig und beschliesst, Unangenehmes und Fehler nicht mehr zuzurechnen und nachzutragen. Das ermöglicht immer wieder einen Neuanfang.