Hanni und Heinz Etter

Warum Erziehen mit Vertrauen der bessere Weg ist

«Ein Kind, dessen Eltern nicht an seine Ressourcen glauben, kann nicht von einem Tag auf den andern seinen eigenen Verstand brauchen.» Der Pädagoge Heinz Etter macht Mut, Kindern Vertrauen zu schenken. Menschen sollten miteinander so umgehen, wie Gott mit ihnen umgeht. Umdenken lohnt sich, ist er überzeugt.

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Die Eltern entlasten, die Kinder freisetzen: Die Pädagogen Hanni und Heinz Etter setzen auf eine veränderte Herzenseinstellung.
Wie und wo schenken Sie selber Vertrauen?
Heinz Etter: Ich bin ein sehr vertrauensseliger Mensch. Seit ich mit der «Vertrauenspädagogik» (VP) unterwegs bin, noch mehr als früher. Mein Vertrauen gilt dabei mehr dem Wort Gottes als den Menschen um mich herum. Es ist so befreiend, den Menschen zu vertrauen - wohl wissend, dass wir alle wenig vertrauenswürdig sind. Aber auf Jenen ist Verlass, der uns lehrt, einander zu lieben. Wie wäre das ohne Vertrauen möglich?

Was braucht es, um sich gegenseitig zu vertrauen?
Wer sucht, der findet. Es gibt immer viele Gründe, zu vertrauen und noch mehr, zu misstrauen. Mir ist es eine Hilfe zu wissen, dass die meisten Menschen aus ihrer Sicht das Richtige und einigermassen Anständige tun wollen. Aber mein Vertrauen in die Menschen beruht in erster Linie auf der Bereitschaft und dem Entscheid, lieber über den Tisch gezogen zu werden, als Menschen zu Unrecht üble Gedanken zu unterstellen.

Seit 2006 beschäftigen Sie sich bereits vollzeitig mit «Vertrauenspädagogik». Ihre Definition?
Es ist die Abkehr von verhaltens­orientierter Erziehung hin zu einer beziehungsorientierten. Ge­horsam soll aus der Loyalität kommen und nicht aus der Furcht vor unangenehmen Konsequenzen. Die wichtigen Dinge im Leben, wie Liebe, Vertrauen, Respekt und letztlich auch den Gehorsam, kann man weder einfordern noch erzwingen. Sie kommen aus der Vertrauensbeziehung.

Wer ist Ihr Zielpublikum?
Meist sind das christliche Gemeinden und Schulen, ab und zu auch christliche Unternehmer. Ein grosser Teil meiner Arbeit besteht in der Beratung von Familien in Erziehungs- und Beziehungsproblemen.

Wie reagieren Eltern und Lehrkräfte beim Erstkontakt?

Den meisten Menschen leuchtet das Konzept spontan ein, und sie sind guten Mutes, es auch umzusetzen. Nach der ersten Euphorie durch die Anfangserfolge erleben viele, wie alte Verhaltensmuster zurückkehren. Dann kommt es darauf an, ob sie sich auf diese Situation entsprechend vorbereitet haben.

Braucht es für die «Umstellung» einen gewissen Leidensdruck?
Ja, leider. Viele Menschen - das ist auch mit dem Glauben an Gott so - lassen den Dingen ihren Lauf, solange es geht. Deshalb bedeutet das Wort Krise nicht nur Ungemach, sondern auch Chance.

Was gab den Ausschlag zur VP?
Zunächst einmal erkannte ich als Heimleiter im Umgang mit Kindern, die durch alle Netze gefallen sind, dass das keine Monster sind, sondern verletzte, hilfsbedürftige Menschen, die wie alle geliebt und angenommen sein wollen. Ich habe erlebt, dass sie sich in jenen Momenten, in denen sie sich angenommen fühlten, ganz normal verhalten haben. Es wurde mir bewusst, wie kontraproduktiv es war, sie unter Druck zu setzen. Die Arbeit meiner Frau, die nach den Methoden des Pferdeflüsterers Monty Roberts Kindern den gewaltfreien Umgang mit Pferden zeigt, war dann der Kontext für die Offenbarung der VP.

Gibt es Pilot-Projekte?
Ja, und mit beglückenden Erfahrungen. In meinem Buch «Vertrauens-Schule», das sich an Lehrkräfte an Volksschulen richtet, die VP unterrichten wollen, habe ich angedeutet, dass VP an einer Privatschule viel tiefgreifender umgesetzt werden könnte. An unserer Pilotschule in Sirnach im Thurgau machen wir die Erfahrung, dass Kinder lernen und sich führen lassen wollen. Und dass es nicht nur wenig bringt, sie unter Druck zu setzen, sondern dass Zwang zwar zu einer kurzfristigen Anpassung des Kindes führen kann, langfristig aber Reifung und Bildung behindert und oft verhindert.

Sie betonen die «Natur der Sache». Sprechen Sie auch den «gesunden Menschenverstand» an?
Ich bin überzeugt, dass unsere schöpfungsgemässen Verhaltensweisen durch unsere Kultur auf destruktive Weise überlagert sind. Jede Mutter weiss zum Beispiel, was sie tun muss, wenn ihr Baby die Brust sucht. Dennoch haben wohlmeinende Mütter jahrzehntelang, angeleitet von wohlmeinenden Psychologen, Kinder frustriert, indem sie sie in einen Vier-Stunden-Rhythmus drängen wollten. Die Kinder lernten den zwar, aber sie lernten gleichzeitig, dass ihr Mami sie offenbar nicht versteht. Kinder gehen von Natur aus davon aus, dass ihre Mutter merkt, dass sie Hunger haben, und ebenso, dass sie «bitten dürfen und ihnen gegeben wird».

Sie sind Berater, Referent und Autor. Warum sollte ich Ihre Bücher lesen?
Meine Bücher zeigen zunächst auf, wie unsinnig und kontraproduktiv unser Erziehungsverhalten in vielen Belangen ist und wie oft wir uns besser auf unser Bauchgefühl verlassen sollten. Es geht also gewissermassen um ein Zurückbesinnen auf etwas, was in uns bereits angelegt ist. Das gilt in erster Linie für den sogenannten Normalfall. Es ist erstaunlich, wie schnell Kinder reagieren, wenn Eltern ihre Haltung den Kindern gegenüber ändern. Wie wenn sie darauf warten würden. In Tat und Wahrheit ist es auch so.

Greifen Ihre Methoden auch bei «Problemkindern»?
Ja und nein. VP bringt in jeder Situation eine Verbesserung. Es gibt aber Kinder mit Problemen, die Eltern überfordern. Ein wesentlicher Teil meiner Arbeit besteht in der Beratung solcher Eltern. Ich arbeite dabei mit dem Material des kanadischen Psychologen Gordon Neufeld. Sein Ansatz passt genau zur VP und erweitert und vertieft das «Join-up-Konzept» auf faszinierende Weise. Ich habe in dem Jahr, als ich bei ihm studierte, mehr über Kinder und ihre Probleme gelernt als in all meinen Ausbildungen zuvor. Neufeld lehrt übrigens am 10. November in Küsnacht im Kanton Zürich zum Thema «Kinder verstehen statt verurteilen».

Jesus lehrte Gewaltfreiheit, handelte aber im Einzelfall oft sehr konsequent...
VP fusst hauptsächlich auf den Lehren Jesu, die er in der Bergpredigt ausgebreitet hat. Eigentlich verstehe ich selber nicht, dass das nicht völlig normal ist unter Christen. Und ich verstehe auch mich selber nicht, warum ich als überzeugter Jünger Jesu jahrzehntelang in so vielen Belangen «im Rat der Gottlosen» gewandelt bin.

Was könnten Gemeindeleitungen von der VP lernen?
Sie hat mein Christsein tief verändert. Viele Pastoren fragen und beten darüber, wie die Konsequenzen der VP für das Gemeindeleben aussehen müssten. Die Gemeindezucht ist dabei nicht der wesentliche Teil. Aber zum Beispiel unsere Tendenz, die geistliche Bildung der Kinder an die Gemeinde zu delegieren oder auch unsere Tendenz, uns an Gleichaltrigen zu orientieren anstatt an Vätern und Müttern. Wir sollten uns vermehrt Generationen-übergreifend zusammenfinden und Beziehungen pflegen in der Überzeugung, dass Unterschiedlichkeit keine Störung, sondern eine Bereicherung ist und kein Leib aus gleichen Organen besteht.

Diesen Artikel hat uns freundlicherweise «ideaSpektrum Schweiz» zur Verfügung gestellt.


Webseite:

Vertrauenspädagogik

Bücher zum Thema:
Heinz Etter: Erziehen im Vertrauen
Heinz Etter: Vertrauens-Schule
Gordon Neufeld: Unsere Kinder brauchen uns

Datum: 17.08.2012
Autor: Thomas Feuz
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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