Erziehen im Vertrauen

Kinder folgen ihren Eltern von Natur aus

Der Heilpädagoge und Erziehungsberater Heinz Etter zeigt mit der Vertrauenspädagogik auf, wie Eltern Machtkämpfe in der Erziehung überwinden und ein Verhältnis des Vertrauens zu ihren Kindern aufbauen.

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Herr Etter, von Ihrem Buch «Erziehen im Vertrauen» sind in den vergangenen Jahren mehrere tausend Exemplare verkauft worden – und dies, obwohl das Buch in den Medien kaum beworben wurde. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Heinz Etter:
Es gibt wohl nichts, was Menschen mehr berührt und erschüttert, als wenn sie merken, dass ihre eigenen Kinder sich ihnen mehr und mehr entfremden. War es früher möglich, mit Strafen und anderen Druckmitteln, wenigstens den äusseren Schein von Autorität und Respekt zu wahren, sehen sich Eltern heute vor einem unlösbaren Problem.  

Was unterscheidet denn die Vertrauenspädagogik von andern Erziehungsmethoden?
Kinder sind von ihrem inneren Naturell dazu bestimmt, ihren Eltern zu folgen – beachten sie die schöne Doppelbedeutung – und ihnen zu vertrauen. In unserem Buch «Erziehen im Vertrauen» beschreiben wir, wie Eltern und Kinder in der sogenannten «Join-up Beziehung» zueinander stehen. Es ist eine hierarchische Vertrauensbeziehung zwischen Menschen gleicher Würde.

Eine gewagte These, dass Kinder von ihrem Naturell her sich in eine hierarchische Vertrauensbeziehung einordnen.
Dieses intuitive Wissen ist uns unter dem Druck des Zeitgeistes unbemerkt abhandengekommen. Dabei erinnern Sie sich vielleicht gerade jetzt an jemanden, dem Sie bereitwillig gefolgt sind.

Eltern in unserer Kultur leben in der Erwartung, dass die Kinder nur ungern folgen und sie haben sich daran gewöhnt, mit dem latenten Widerstand der Kinder umzugehen. Druckmittel und Belohnungen aller Art scheinen deshalb unverzichtbar. 

Eltern suchen oft nicht die Beziehung, sondern sie versuchen, das Verhalten des Kindes zu beeinflussen. Dabei nutzen sie nicht selten Mittel und Methoden, die sie als Kinder selber leidvoll durchlebt haben und die sie eigentlich überwinden wollten. In der «Vertrauenspädagogik» hingegen ermutigen wir Eltern, dem natürlichen Fahrplan der kindlichen Entwicklung zu vertrauen.

Sie sagen: Eltern orientieren sich am Zeitgeist und nicht an ihrem inneren Wissen über die Kinder. War das schon immer so?
Vielleicht schon. Aber es spitzt sich laufend zu. Mein Herzensanliegen ist, dieses angeborene Wissen mit der «Vertrauenspädagogik» wieder zugänglich zu machen. Dieses fürsorgliche Vertrauensverhältnis zwischen Leitendem und Geleitetem zieht sich wie ein roter Faden nicht nur durch die Bibel, sondern auch durch die Schöpfung. Jesus selber bezeichnet sich als den Guten Hirten, dem Seine Schafe vertrauensvoll folgen, nicht weil sie sich vor negativen Konsequenzen fürchten, sondern weil sie «Seine Stimme kennen».

Sie betonen in ihrem Buch immer wieder die «Selbststeuerung des Kindes». Ist die Vertrauenspädagogik ein anderer Name für antiautoritäre Erziehung?
Es geht um die Quelle der Autorität. Diese darf nicht darin bestehen, dass Kinder sich dem Druck jener beugen, die Macht über sie haben, sondern die Quelle der Autorität muss in der Vertrauensbeziehung liegen. Die Autorität in der «Vertrauenspädagogik» wird durch die «Join-up Beziehung» aufrechterhalten. Dies schliesst nicht aus, dass Eltern im einen oder andern Fall liebevoll ihre körperliche oder psychologische Überlegenheit ins Spiel bringen müssen – vor allem im Umgang mit kleinen Kindern, die mit den Gefahren des Alltags noch nicht umgehen können.

Was unterscheidet die Vertrauenspädagogik denn konkret von der antiautoritären Erziehung?
Eigentlich beruht die antiautoritäre Erziehung auf einer demokratischen Haltung. Die Würde der Kinder wird aber fatalerweise mit Gleichberechtigung gleichgesetzt. Das funktioniert dort wunderbar, wo Kinder in der Join-up Beziehung sind und den Verantwortlichen folgen wollen. Sobald diese Beziehung nicht mehr gegeben ist, fühlt sich für die Kinder Widerstand und Machtkampf besser an als Kooperation und Gehorsam. Wenn Kinder geschützt und geborgen sind von einer starken und liebevollen Autorität, sind demokratische Entscheidungsfindungen möglich. Vermutlich funktionieren die politischen Demokratien auch nur dort, wo ein gewisses gemeinsames Grundverständnis der Werte gegeben ist und wo sich die Einzelnen dem Ganzen zugehörig fühlen.

Und wenn die Vertrauenspädagogik nichts bringt. Dürfen Eltern dann Gewalt anwenden?
Gegenfrage: Fördert Gewalt das Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Kind? Nein! Allerdings geht bei der ganzen Diskussion um körperliche Gewalt die seelische Gewalt oft vergessen. Ich bin überzeugt, dass die grösste Gewalt, die Eltern den Kindern je antun können, jene ist, sie zu verstossen oder damit zu drohen. Ich habe eine Hühnerhaut, wenn ich daran denke, wie oft das geschieht und wie ahnungslos die Gesellschaft damit umgeht. Wohl deshalb, weil seelische Gewalt nicht so fassbar ist wie die Körperstrafe.

Wenn Eltern verzweifelt sind und nicht mehr weiter wissen, dann nutzen sie immer irgendwelche «Notfallprogramme». Wer etwas dagegen tun will, muss den Eltern Alternativen aufzeigen, die sich in der Praxis bewährt haben. Genau hier zeigt die Vertrauenspädagogik gute Alternativen auf.

Eltern geben in der Erziehung oft das weiter, was sie von ihren Eltern gelernt haben. Inwiefern sind wir als Eltern in Erziehungsfragen überhaupt lernfähig?
Unabhängig von eigenen Erfahrungen tragen die meisten Menschen eine Sehnsucht in sich, wie es sein sollte. Selbst Eltern, die schwer traumatisiert sind durch ihre eigene Kindheit und gefangen sind in Zwängen und Ängsten, tragen das Idealbild von Elternschaft in sich. Wohl deshalb sitzt auch der Frust so tief – bei Kindern und Eltern – wenn es anders ist. Vertrauenspädagogik zeigt einen Weg auf, wie wir destruktive Muster erkennen und überwinden können und wie wir tragfähige Beziehungen zu unsern Kindern aufbauen können. Dabei geht es immer auch darum uns selbst und unsere Kinder von innen her zu verstehen, statt vorschnell zu urteilen oder gar zu verurteilen.

Webseite:
Vertrauenspädagogik
Kurse in Vertrauenspädagogik 
Schweizerische Stiftung für die Familie 

Datum: 29.01.2014
Autor: Markus Döbeli
Quelle: SSF

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