In Europas Grossstädten ziehen Migranten-Gemeinden Hunderte und Tausende Besucher an. Das Christentum auf dem Kontinent wird farbiger – Herausforderung für Bleichgesichter.
«Da bewegt Gott etwas»: Hans Henrik Lund an der EEA-Konferenz
Die grösste evangelische Gemeinde in Brüssel hat 3'000 Besucher. Ihr Gründer und Leiter stammt aus dem Kongo. In Hamburg leitet der Ghanaer Victor Akko eine internationale Gemeinde mit tausend Menschen aus 40 Ländern. In Rom versammeln sich 2'000 rumänische Baptisten, um Gottesdienst zu feiern. In Athen entdeckten Forscher 80 Migrantengemeinden, darunter eine mit 300 Chinesen, die sich ganz im Verborgenen trafen. Ein Missionswerk, das in Äthiopien tätig ist, muss zur Kenntnis nehmen, dass sich unweit seines Büros 200 Äthiopier treffen.
Die Impulse der neuen Gemeinden für die eingesessenen Kirchen beschäftigen die Jahreskonferenz der Europäischen Evangelischen Allianz (EEA), die gegenwärtig in Vendrell bei Barcelona stattfindet. Der dänische Pastor Hans Henrik Lund vermutet, dass europaweit bereits 14'000 Migrantengemeinden entstanden sind. Im Track der EEA-Konferenz über multikulturelle Gemeinden plädierte Lund dafür, «die neue Welle als Verheissung zu sehen». Migrantengemeinden spielten eine wichtige Rolle für die geistliche Zukunft Europas und seiner älteren Kirchen. Die Migration prägt die Gegenwart: Nach einer Schätzung leben 250 Millionen Menschen nicht mehr, wo sie herstammen – drei Prozent der gesamten Weltbevölkerung. Gegen 70 Millionen weilen in einem anderen Land. 12 Millionen sind statenlos – sie haben keine Heimat.
«Gott bewegt etwas»
In der Regel ziehen Migranten eigene, neu gegründete (auch instabile) Gemeinschaften den alteingesessenen Kirchen vor. Manche neue Gemeinden stellen die älteren innert kurzem in den Schatten. Dies sollte die Europäer nicht frustrieren. «Sie schütteln uns durch», sagte Hans Henrik Lund in Vendrell. «Niemand hat das im Griff. Gott bewegt da etwas.» Lund beriet einen Nigerianer, der nach Kopenhagen kam, um Dänen für Christus zu gewinnen. Er machte ihm klar, dass der Gottesdienst nicht drei Stunden dauern sollte. Der Nigerianer liess sich raten – inzwischen ist eine «Milch und Honig Evangeliums-Gemeinschaft» entstanden, die sich in einem Hotel trifft.
Von den Gemeinden für Zuwanderer einer Nationalität, Kultur oder Sprache sind internationale Gemeinden zu unterscheiden. Sie suchen Menschen aus verschiedenen Kulturen zu verbinden; laut Beobachtern haben sie ein grösseres Entwicklungspotenzial. Lund verwies an der EEA-Konferenz auf die Geburtsstunde der Kirche an Pfingsten: Auch da fanden Menschen aus vielen Ländern zusammen. In internationalen Gemeinden hat die Abwertung von Fremden – und erst recht Rassismus – keinen Platz. Lund erinnerte daran, dass die Europäer, als sie nach Nordamerika migrierten, monokulturelle Gemeinden bildeten. Eine Gemeinde, in der verschiedene Kulturen geachtet und gepflegt werden, erfordert ein Umdenken und andauerndes Lernen und Anpassen.
Gemeinsam statt nebeneinander
Die christlichen Migranten schaffen in Europas Grossstädten – viele bisher ohne grosse evangelikale Gemeinden – eine komplexe Situation. Wie der Nigerianer landen viele Überseer in Europa mit dem Verlangen, dem säkularisierten Kontinent das Evangelium wieder zu bringen. Die leeren Kirchen bestätigen ihnen, dass Europäer neu von Jesus Christus hören müssen. In Hamburg bringt Victor Akko Vertreter von 40 Migrantengemeinden ins Gespräch. Er öffnet ihnen die Augen für die einheimische Kultur. Die Rivalität unter den Gemeinden ist dem Blick auf die geistlichen Bedürfnisse der Stadt und ihrer Menschen so weit gewichen, dass sie miteinander eine Openair-Tauffeier veranstalteten.
Datum:
10.10.2012 Autor: Peter Schmid Quelle: Livenet
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