Warum stoppen Katholiken Aufarbeitung der Missbrauchsfälle?
Die katholische Kirche in Deutschland bremst ein kriminologisches Forschungsinstitut aus, das Sexualdelikte aufdecken wollte. Kritiker reden von Zensur und zweifeln am Klärungswillen der Bischöfe.
Die katholische Kirche in Deutschland hat ein Erklärungsproblem.
Im Jahre 2010 erschütterte ein Missbrauchsskandal die katholische Kirche. Vor allem in Deutschland wurden Sexualdelikte in grösserem Umfang bekannt. Die Kirche reagierte mit Versprechen über eine umfassende Aufarbeitung der Vorgänge.
Ein Jahr später beauftragte die deutsche Bischofskonferenz ein Institut von Kriminologen mit der wissenschaftlichen Untersuchung der Geschehnisse. Mit dem Ziel, Täterprofile und Rahmenbedingungen aufzuklären, Erkenntnisse über das Verhalten der Kirche zu gewinnen und in letzter Konsequenz die Prävention zu verbessern. Für die Studie sollten in 27 deutschen Bistümern relevante Unterlagen von 1945 bis 2010 ausgewertet werden.
Doch die Nachforschungen werden nun von der Bischofskonferenz abrupt gestoppt. Was ist geschehen? Wegen der möglichen Herausgabe kircheninterner Dokumente ist zwischen Kirche und Wissenschaftlern ein Streit entfacht. «Bischöfe forderten nachträglich, Veröffentlichungen aus wichtigen Gründen verbieten zu können. Und das, obwohl alle Bistümer dem Projekt beim Start zugestimmt hatten», erklärt Christian Pfeiffer, der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts. «Die ersten Monate der Zusammenarbeit liefen vorzüglich», sagt er in der ARD. Doch dann sei plötzlich deutlich geworden, dass der «Wunsch nach mehr Kontrolle» zu vernehmen war.
Wollen die Bischöfe eine Zensur?
Stephan Ackermann ist Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz. Er bedaure sehr, dass es zur Kündigung des Vertrages gekommen sei. «Leider mussten wir feststellen, dass das Vertrauensverhältnis zum Leiter des Projekts, Professor Pfeiffer, derart zerrüttet ist, dass es nicht wiederhergestellt werden kann und wir uns deshalb zu diesem Schritt genötigt sahen», gibt Ackermann zu Protokoll. «Es geht hier um Personalakten von aktiven Priestern, es geht um Akten von Verstorbenen – also um eine hochsensible Materie!», betont er und fügt an, dass Datenschutz und Persönlichkeitsrechte zu gewährleisten seien. «Wir können ja nicht versuchen, Unrecht aufzuklären und auf der anderen Seite das Recht beugen», fügt er an.
Mögliche Datenschutzverletzungen werden auf Rechtsstufe von Sexualdelikten gestellt? Das Vorgehen der Bischöfe wirft Fragen auf. Kritiker sprechen von Zensur. «Das stimmt so nicht», findet Bischof Ackermann. «Es gab zwei Knackpunkte: Die Frage der Anonymisierung – wir wollten, dass man nicht auf Personen zurückschliessen kann. Und das Zweite war die Frage der Veröffentlichung: Wenn es zum Abschlussbericht abweichende Stellungnahmen gibt, wollen wir nicht, dass Professor Pfeiffer öffentlichkeitswirksam Ergebnisse präsentiert und wir Bischöfe dann im Nachhinein versuchen müssen, auch unsere Sicht einzubringen.»
Katholiken rechnen mit Austrittswelle
Die katholische Reformbewegung «Wir sind Kirche» spricht von einem «katastrophalen Zeichen». Die Amtskirche wolle sich «nicht mehr in die Karten gucken lassen», sagte «Wir sind Kirche»-Chef Christian Weisner. Das zeige, dass sehr zu zweifeln sei «am grundlegenden Willen zur Aufarbeitung der Ursachen, die zu sexueller Gewalt innerhalb der katholischen Kirche führen». Weisner prognostiziert, dass die Vorgehensweise der Kirche zu einem «Eklat» und einer «Austrittswelle» führen werde. Eine grundsätzliche wissenschaftliche Aufarbeitung müsse «ohne Zensur seitens der Bischöfe» veröffentlicht werden.
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