Vor 500 Jahren hatten Luther, Zwingli und Co. den Mut, Glaubenssätze und Traditionen, die von der Kirche als einzige Wahrheit verkauft wurden, zu hinterfragen. Nach wie vor sind die Kirchen reformbedürftig. Livenet bringt daher Thesen zur Inspiration. Heute hat Manuel Schmid, Theologiebeauftragter des ICF Movements und Pastor von ICF Basel, das Wort.
Manuel Schmid
These:
«Bescheidenheit ist eine Zier… Was Christen und Kirchen im 21.
Jahrhundert gut ansteht, ist eine fette Portion Bescheidenheit.»
Auch und gerade evangelikale, freikirchliche Christen werden öffentlich oft als besserwisserisch wahrgenommen – als Menschen, welche die Wahrheit besitzen, die Weisheit mit Löffeln gefressen haben und entsprechend schnell bereit sind, Urteile zu fällen. Manchmal wird den Christen damit Unrecht getan. Aber allzu oft handelt es sich um eine zutreffende Beobachtung. Weil es uns um «die Wahrheit» geht, meinen wir, wir müssten die ganze Welt in schwarz-weiss malen und die ganze Menschheit in drinnen und draussen einteilen.
«Jesus schonte seinen Zeigefinger und liebte Menschen gesund»
Dabei verfehlen wir ebenso das Vorbild von Jesus selber. Er hatte nicht nur «die Wahrheit», er war sie, verkörperte sie, lebte sie. Er hielt sich nicht damit auf, alles und jeden zu beurteilen, sondern er begegnete den Menschen in kompromissloser Liebe – und veränderte sie gerade dadurch. Jesus musste seinen Mitmenschen nicht zuerst demonstrieren, dass sie «falsch», «daneben», «draussen» waren. Er schonte seinen Zeigefinger und liebte sie gesund. Dabei war und ist er tatsächlich Gott, und wir sind's nicht.
Was Christen und Kirchen daher im 21. Jahrhundert gut ansteht, ist eine fette Portion Bescheidenheit. Das ist nicht lahm, nicht halbherzig, nicht lasch – Bescheidenheit ist enorm kraftvoll. Sie verzichtet auf Verteidigung und Manipulation und tut nicht so, als wäre in dieser Welt alles schon klar. Bescheidenheit vertraut darauf, dass die Kraft unserer Botschaft nicht in unseren cleveren Argumenten oder unserer psychologischen Überzeugungsfähigkeit liegt, sondern in der Liebe Gottes, die auch uns selbst in unserem unperfekten, zerbrochenen Leben trägt. Bescheidenheit traut es Gott selbst zu, dass er das Leben anderer Menschen verändert und ihr Schicksal für immer wendet – und dass er uns dazu gebraucht.
«Reich Gottes wird nicht mit selbstsicheren Superhelden gebaut»
Woher haben wir eigentlich die Idee, dass nur ein Christ, der alle seine Sachen «im Trockenen» hat und der ganz genau Bescheid weiss über Gott und die Welt – dass nur ein solches Kaliber einen Unterschied machen kann?
Wir sollten uns mal das Ende des Matthäusevangeliums anschauen. Da hält Matthäus wohl extra für uns fest, dass von den zwei Handvoll Jüngern, denen Gott die Zukunft der Kirche in die Hände legt, «einige noch zweifelten» (Die Bibel, Matthäusevangelium, Kapitel 28, Vers 17). Lassen wir uns das mal auf der Zunge zergehen: Jesus vertraut den paar übriggebliebenen Jüngern die Verantwortung für die Kirche an – und einige der Vertreter dieses originalen Stosstrupps trugen noch handfeste Zweifel mit sich herum…
Aber Jesus sah darin offensichtlich keinen Hinderungsgrund. Er wusste, dass das Reich Gottes nicht mit selbstsicheren Superhelden gebaut wird, sondern mit normalen, halbfertigen, unausgegorenen, problembeladenen, fehlerhaften Menschen, die ihrem Gott etwas zutrauen.
Zur Person
Manuel Schmid ist seit 12 Jahren Pastor im ICF Basel und seit einem Jahr Theologiebeautragter des ICF Movements. Er hat am Theologischen Seminar auf Chrischona und an der Universität Basel Theologie studiert. Manuel Schmid wohnt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Basel.
Hinweis: Die Meinung der Autoren in der Serie «Change! – Thesen
für die Kirche muss sich nicht mit jener der Redaktion von Livenet
decken.
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