Scheitern ist Teil des Lebens, sagen wir, wenn ein anderer die Erfahrung macht. Doch wenn es uns selbst passiert, geht die Welt unter. Warum? Ein Aufruf zum Entschämen von Pascal Görtz.
Pascal Görtz
Ein Freund von mir ist Freelancer. Irgendwas im Bereich «Human
Resources» oder altdeutsch: Personalentwicklung. Bis er arbeiten darf,
muss er sich den Mund fusselig reden, Konzepte ins Blaue hinein schreiben und dann eine Menge Geduld aufbringen. Würde ich so häufig wie
er mit potentiellen Kunden zu Abend essen, um mir in der Woche drauf
telefonisch eine Absage einzuhandeln, mir würde der Appetit vergehen.
Kaltaquise nennt man das. Was auf nichts anderes hinausläuft als auf
eine blutige Nase. Für meinen Freund ist Scheitern deshalb eine
Alltagserfahrung, die ihn nicht mehr davon abhält, es wieder zu
probieren. Ich finde das sehr löblich – nein: beeindruckend. Wie oft
lassen wir uns von Misserfolgen der Vergangenheit die Gegenwart
erdrücken? Wie viel wagen wir erst gar nicht, weil wir uns das Gefühl
des Scheiterns ersparen wollen?
Scheitern der anderen ja, aber bei mir?
Das Verrückte ist doch: Das Scheitern der Anderen finden wir gar
nicht so schlimm. Damit können wir gut umgehen. Dafür haben wir
Verständnis. Gegenstände fallen mal runter, Beziehungen entfremden sich,
Lebensläufe haben Lücken. Das alles darf passieren. Aber doch mir nicht! Oder besser noch: Warum gerade mir? Als sei es ein besonderes
Schicksal oder Gottes Strafe, wenn wir die Dinge mal nicht auf die Reihe
kriegen.
Scheitern als Erfahrungsschatz
Niemand kann sich davor schützen, im Leben zu scheitern. Nicht mal
Christen. Ich weiss: Das ist ein grosser Schock für alle, die dachten, mit
Gott würde ihnen so etwas nicht passieren. Andererseits: Wäre das nicht
ziemlich arrogant gegenüber all denen, die immer wieder scheitern?
Warum machen wir uns nicht mal eins mit denen, die wir vor unseren Augen
scheitern sehen, übernehmen unseren Teil der Verantwortung und hören
auf, uns selbst zu verurteilen, wenn wir mal straucheln?
Cover der Zeitschrift «DRAN NEXT»
Ich will keine Niederlage auf die leichte Schulter nehmen, keine
Schuld beschönigen und kein Gefühl verdrängen. Aber das Scheitern in die
Mitte des menschlichen Erfahrungsschatzes stellen. Und sagen: Scheitern
ist so normal, dafür muss sich niemand schämen.
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