Die Frage nach Schöpfung oder Evolution ist seit
Jahrzehnten ein «Kampfthema». Viele haben sich daran abgearbeitet. Ein neuer
Zugang zu diesem Thema stammt ausgerechnet aus dem 19. Jahrhundert – aber er
ist überdenkenswert.
Es gibt Gesprächsthemen, bei denen man nur verlieren
kann, wenn man versucht, einen verbindenden Standpunkt einzunehmen. Aber stimmt
es tatsächlich, dass eine respektvolle Auseinandersetzung rund um strittige
Themen nicht möglich ist? Ein typisches Beispiel für solch ein Thema ist die
Frage nach der Entstehung der Erde bzw. der Lebewesen darauf. Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland ist davon überzeugt, dass das Leben sich per
Evolution entwickelt hat (61 Prozent laut Statista).
20 Prozent gehen dagegen von einer Schöpfung Gottes aus. Ein Teil dieser
Gläubigen unterstreicht sogar, dass sie von einer buchstäblichen Sechs-Tage-Schöpfung
überzeugt sind. Viele Diskussionen zu dem Thema werden dabei von der Frage
beherrscht: Wer hat recht? (Natürlich ich!) Kaum eine Rolle spielt dagegen die
Frage: Wie gehen wir bei der Diskussion miteinander um?
Gegenseitiges Lächerlich-machen
Ein beliebtes Mittel, um die eigene Position zu
stärken, ist es, Andersdenkende zu diskreditieren – sie lächerlich zu machen.
Damit wirkt der eigene Standpunkt automatisch überzeugender. Als im 19.
Jahrhundert der Gedanke an eine Evolution aufkam, haben die Kirchen und die
kirchlich geprägte Öffentlichkeit genau so reagiert. Kein Wunder, dass das
bekannteste Bild von Charles Darwin eine Karikatur ist,
in der er als Affe mit Menschenkopf dargestellt wird. Inzwischen haben sich die
Mehrheitsverhältnisse geändert. Jetzt sind es die Christen, die sich ein
Gespräch auf Augenhöhe wünschen würden, aber als «Kreationisten»
bzw. Ewiggestrige verunglimpft werden.
Ein Pionier mit Idee
Als Zeitgenosse Darwins lebte der heute fast
vergessene Philip Henry Gosse (1810-88).
Mit 22 Jahren hatte er eine Gottesbegegnung, die ihn tief prägte. Gleichzeitig
interessierte er sich brennend für Naturkunde – zunächst nebenbei, dann
hauptberuflich erforschte er die Vogelwelt auf Jamaika genauso wie die
Meerestiere vor der englischen Küste. Tief beunruhigt von den um sich
greifenden evolutionären Gedanken unter seinen Wissenschaftskollegen
entwickelte er eine Idee, die beide Welten miteinander verknüpfen sollte: die
«ideal time theory» – auf Deutsch: die Theologie der alten Erde.
Philip Henry Gosse mit seinem Sohn Edmund (Bild: Wikimedia)
Gosse sah die geologischen Forschungsergebnisse der
damaligen Zeit und wollte sie mit dem biblischen Schöpfungsgedanken
harmonisieren. Der US-Theologe Roger E. Olson beschreibt die Idee in einem Artikel
sogar als «unwiderlegbar». Gosse erklärte in seinem Buch «Omphalos: an Attempt to Untie
the Geological Knot», dass Gott Adam als einen erwachsenen Mann mit
Bauchnabel («omphalos») geschaffen hatte, dass die Bäume im Paradies bereits Jahresringe
hatten und dass der Schöpfer die Fossilien im Boden einfach mit erschaffen
hatte. Er erklärte damit das Vorhandensein von Fossilien, ohne an die Existenz
von Dinosauriern zu glauben. Gosse wollte den Schöpfungsbericht ernst nehmen
und genauso die Ergebnisse der (damals) aktuellen Forschung. Das Ergebnis:
Sowohl die Kirche als auch die Wissenschaft lehnten den Forscher samt seiner
Ergebnisse ab. Gefragt war keine Harmonisierung, sondern Polarisierung.
Meine Meinung – deine Meinung
Hatte Adam einen Bauchnabel? Gab es ihn als Person
oder steht er als Archetyp für «den Menschen»? Darüber kann man diskutieren.
Ist die Erde 4,6 Milliarden Jahre
alt und hat sich nach dem Urknall vor fast 14 Milliarden Jahren zufällig samt
aller darauf lebenden Spezies entwickelt? Oder hat Bischof James Ussher recht, der den Schöpfungszeitpunkt
auf den 23. Oktober 4004 vor Christus berechnete?
Vielen Menschen werden diese Fragen fast egal sein.
Andere sind bereit, dafür zu kämpfen, dass die Erde jung ist oder alt. Dass
Gott sie in sechs Tagen geschaffen hat oder dass sie in Jahrmillionen zufällig
entstanden ist. Tatsächlich werden die wenigsten Menschen hier eine
Extremposition einnehmen. Glauben, Wissen und Denken entwickeln sich weiter.
Gut so! Da sollte es doch möglich sein, nach 150 Jahren den Kerngedanken von Philip
Henry Gosse aufzunehmen: Schaffen wir es, bei kontroversen Themen auf eine
respektvolle Art und Weise miteinander im Gespräch zu bleiben?
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