«Ehe für alle»

Und wenn ein Pfarrer Nein sagt?

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Wie viel Freiheit haben Kirchen und Pfarrer, selbst zu entscheiden, ob sie gleichgeschlechtliche Paare trauen wollen? Eine juristische Beurteilung sieht die Möglichkeit, dass Pfarrer sich bei Verweigerung strafbar machen.

Die NZZ am Sonntag bringt in ihrer Ausgabe vom 25. Juli eine Analyse von drei Basler Juristen zum Thema: Rechtsprofessor Felix Hafner (Erstautor), Nadine Zurkinden und Martin Reimann gehen der Frage nach, wie viel «Selbstbestimmungsrecht» Kirchen haben. Auf der Grundlage der korporativen Religionsfreiheit hätten Kirchen zwar das Recht, sich selbst zu organisieren und ihre «inneren Angelegenheiten» nach eigenem Gutdünken zu regeln. Diese Selbstbestimmung gelte jedoch für Kirchen, die öffentlich-rechtlich anerkannt seien, nicht absolut, urteilen die Juristen. Sie müssten die Vorgaben von Verfassung und Gesetz beachten, etwa das Diskriminierungsverbot und die neue Rassismusstrafnorm. Diese wurde im vergangenen Jahr erweitert und schützt seither auch Homosexuelle.

Pfarrer können sich strafbar machen

Nach Ansicht von Hafner, Zurkinden und Reimann müssten die öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchen darum eine Güterabwägung zwischen ihrer Autonomie und dem Schutz vor Diskriminierung vornehmen, schreibt die NZZ. Für Pfarrer und Seelsorgende in öffentlich-rechtlich anerkannten Kirchen bestehe aufgrund der erweiterten Rassismusstrafnorm das Risiko, sich strafbar zu machen, wenn sie gleichgeschlechtlichen Paaren die Trauung verweigerten. «Weil Kirchen als Strafsubjekte grundsätzlich nicht infrage kämen, seien es die Pfarrer und Seelsorger, die je nach Umständen diesem 'Strafbarkeitsrisiko' ausgesetzt seien», zitiert «IDEA Schweiz» den NZZ-Bericht.

Darum empfehlen die Juristen: «Es wäre – insbesondere auch angesichts des Verhältnismässigkeitsprinzips – zu fordern, dass Kantonalkirchen beziehungsweise die Kirchgemeinden in theologischer Hinsicht nach Spielräumen suchen, um homosexuellen Paaren Trauungen oder zumindest trauungsähnliche Einsegnungen zu ermöglichen.»

Berner Professor: Kirchen sind keine Enklave im Rechtsstaat

Markus Müller, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht in Bern, kommt nach «kath.ch» zum gleichen Schluss wie seine Basler Kollegen. Die öffentlich-rechtliche Anerkennung der christlichen Grosskirchen habe für diese nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten zur Folge.

Müller: «Die wohl wichtigste Pflicht ist die Beachtung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze.» Die öffentlich-rechtlichen kirchlichen Körperschaften bildeten «keine Enklave im Rechtsstaat». Der katholische Jurist folgert daraus: «Wollen die Kirchen diesbezüglich frei(er) sein, müssen sie den privilegierten öffentlich-rechtlichen Status aufgeben.»

Reformierte Kirchenspaltung?

Wie «idea Schweiz» berichtet, kommentiert der reformierte Pfarrer Bruno Waldvogel auf Facebook mögliche Folgen: «Die Spaltung ist vorprogrammiert wie in allen Kirchen weltweit zu diesem Thema.» Leider lasse sich die Kirche vor einen Karren spannen, der sie «gleich wieder abhänge», sobald die politischen Ziele erreicht seien. Waldvogel: «Das Kirchenvolk wird abwandern, und der reformations- und bibeltreue Flügel der Pfarrerschaft auch.»  

Zum Thema:
Abstimmung im September: Freikirchen-Dachverband nimmt Stellung für traditionelle Ehe
Reformierte haben entschieden: Ja zur «Ehe für alle» – Kompetenz bleibt bei Kantonalkirchen
Destruktive Diskussion?: Wie die Debatte um Ehe für alle konstruktiv geführt werden kann

Datum: 08.08.2021
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / IDEA Schweiz / kath.ch

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