Am 20. Juni war Weltflüchtlingstag. Für viele Helfende
ein Datum, bei dem ihr Herzensanliegen zur Sprache kam. Für andere war es eine
Möglichkeit zu erfahren, in welchem Ausmass Menschen weltweit auf der Flucht
sind.
In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist es leer
geworden. Nachdem die letzten Einwohner der drei Nationen ihre Koffer gepackt
haben, wird das ganze Ausmass deutlich: Über die Hälfte sind im eigenen Land
auf der Flucht, die anderen versuchen, in Frankreich, Polen, aber auch in
Kanada oder sogar Australien unterzukommen…
Was sich sehr ungewohnt anhört, liegt näher an der
Wirklichkeit als viele vermuten würden. Tatsächlich sind zum ersten Mal in der
Geschichte über ein Prozent der Weltbevölkerung auf der Flucht: laut UNO 100
Millionen Menschen.
Das sind ziemlich genau so viele Menschen, wie in der Schweiz, Österreich und
Deutschland leben.
Worte sind wichtig
Anlässe wie der Weltflüchtlingstag unterstreichen, wie
wichtig es ist, die betroffenen Menschen und ihre Situationen nicht aus dem
Blick zu verlieren. Dabei ist es gut, sich immer wieder bewusst zu machen, wie
wir (bzw. andere) darüber sprechen. Wenn ein Theologe vorschlägt, lieber von
Migranten zu sprechen als von Geflüchteten, «weil das neutraler klingt», dann
wird dies sicher der Situation eines indischen IT'lers gerecht, der auf der
Suche nach besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen in Europa landet.
Martha
Newsome,
die Vorsitzende von «Medical Teams International» hält dagegen fest: «Die
meisten Flüchtlinge verlassen ihre Länder aufgrund von
Menschenrechtsverletzungen: Krieg, Völkermord, systematischem Missbrauch,
Naturkatastrophen, Klimakrisen und religiöser oder anderer Verfolgung.» Sie
migrieren (wandern) nicht, sondern sind tatsächlich auf der Flucht – ob im
eigenen Land als sogenannte IDPs (intern Vertriebene) oder weltweit. Eine scheinbar
neutralere Darstellung ihrer Geschichte macht diese selten objektiver, stattdessen
weicht sie tatsächlich erlebte Härten auf.
Weltweite Perspektive
Als der Systemforscher Fredric Vester vor 50 Jahren
von der Welt als einem «vernetzten System» sprach, klang das für die meisten
sehr abstrakt. Heute ist es Alltag. In der Ukraine herrscht Krieg – hier
steigen die Benzinpreise. In China stockt die Abfertigung in den Häfen – hier gibt
es Produktionsengpässe in der Autoindustrie.
Noch einmal Martha Newsome: «Wenn das Ausmass dieser
Krisen uns etwas zeigt, dann, dass die Flüchtlingskrise eine globale Krise ist.
Wir müssen uns der Wahrheit stellen, dass es sich nicht länger um 'ihre' Krisen
handelt, sondern um 'unsere'. Unsere kollektive Menschlichkeit und
Verbundenheit erfordern eine neue Denkweise, gemeinsame Verantwortung und
praktisches Mitgefühl.»
Am praktischen Mitgefühl arbeiten wir noch – da sind
uns europäische Frauen auf der Flucht aus der Ukraine oft näher als syrische
Männer. Aber insgesamt wird es immer mehr Menschen klar, dass Globalisierung
nicht nur für die selbstverständliche Verfügbarkeit von Waren aus der ganzen
Welt steht, sondern auch für ein gemeinsames Angehen von Krisen und
Auseinandersetzungen. Für Christen ist dies so etwas wie eine
Vater-unser-Perspektive. Denn darin hielt Jesus bereits vor 2'000 Jahren fest:
«Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden.» (Matthäus,
Kapitel 6, Vers 10) Und
damit verknüpfte er die Idee von Gottes Gegenwart in seinem Reich mit der
gesamten Welt – und nicht nur mit einzelnen Kirchen, Gemeinden und
Landstrichen.
Hoffnung in die Hoffnungslosigkeit
Warum machen sich Menschen irgendwo auf der Welt auf
den beschwerlichen Weg in andere Länder? Wenn sie nur verzweifelt wären, würden
sie wahrscheinlich bleiben. Doch wer geht, hat einen Funken Hoffnung. Nicht
jede Hoffnung ist berechtigt und erst recht lassen sich nicht all diese
Hoffnungen nach Frieden, Versorgung, Arbeit, Zugehörigkeit etc. direkt
umsetzen. Aber wer Geflüchtete als Menschen auf der Suche nach Hoffnung sieht, gewinnt
eine neue Perspektive.
Um Menschen Hoffnung zu bringen, reisten Missionare
jahrhundertelang an die sogenannten Enden der Welt. Missionswissenschaftler
stellten fest, dass die schwierigsten Regionen heute dafür (oft ohne
Möglichkeit, als Christ einzureisen) im Gürtel zwischen dem 10. nördlichen und
dem 40. südlichen Breitengrad liegen. Von der Ukraine einmal abgesehen kommen
die meisten Geflüchteten aus diesen Regionen. Und schon im Alten Testament
wurde ihnen ein besonderer Status verliehen und Schutz zugebilligt: «Wenn ein
Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll
bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie
dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland. Ich bin der Herr, euer Gott.» (3. Mose, Kapitel 19, Vers 33-34)
Wir können nicht alle Probleme der Welt lösen, es
reicht, wenn wir erst einmal die geflüchteten Menschen ganz praktisch lieben.
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