Helena Adelino

«Nicht ohne meine Kinder»

Im Alter von sechs Jahren wurde Helena Adelino versklavt. Mit 13 Jahren wurde sie vom Sohn des Sklavenhalters mehrfach vergewaltigt und dann in eine andere Familie gegeben. Lesen Sie hier den zweiten Teil ihres erschütternden Porträts.

Isa Hassein heisst der neue Herr von Helena. Im Gegensatz zu ihrem vorherigen Besitzer schlägt Isa sie nur einmal pro Woche. Am Freitag. Denn sie soll Moslemin werden, sie will aber nicht. Helena: «Ich bin Christin. Als ich klein war, hörte ich von Gott und von Jesus – meine einzige Hoffnung!» Die liess sie sich nicht nehmen. Deshalb prügelte Isa die Teenagerin. Für sie war das keine neue Erfahrung. Schon Ibrahim, ihr früherer Besitzer, wollte sie in die Moschee prügeln.

Dabei hatte die Zeit bei Isa gut begonnen. Er hatte zwei Frauen, und die bereiteten ihr bei ihrer Ankunft ein köstliches Essen. «Sie meinten, ich sei nun die Sklavin von allen», erinnert sich Helena. Das war sie auch. Aber «zudem war ich Isas dritte Frau». Als die beiden das erfuhren, war’s vorbei mit der Liebe. Sie erntete Mobbing, Hass und Prügel von den beiden Frauen.

Eine Vierecksgeschichte

Über die Jahre hin demütigten die beiden Frauen ihre Sklavin Helena. Auch Schläge gab es immer wieder. Bis jeweils Isa schützend dazwischenfuhr. Helena: «Er fragte dann, warum sie mich schlagen würden. Schliesslich sei ich im Gegensatz zu ihnen ja fleissig.» Schleunigst zogen sich die beiden jeweils zurück. Freitags schlug dann Isa jeweils im Namen Allahs ...

Vier Kinder gebar Helena ihrem Meister. Wenn sie schwanger war, musste sie weniger arbeiten. Den beiden Frauen passte dies nicht, doch Isa gab ihnen den Tarif durch. Aber die Unterdrückung nahm zu. Die Kinder der beiden anderen Frauen waren sehr vertraut mit Helena. Da sie die gesamte Arbeit erledigte und sich auch um die Kinder kümmerte, sagten diese dann "Mutter" zu ihr. Helena: «Das hat mir sehr viel bedeutet.» Die Kehrseite: Die beiden anderen Frauen wurden ihr spinnefeind.

So tun als ob

Flüchten wollte Helena noch nicht. «Ich liebte meine Kinder und wollte sie nicht alleine zurücklassen. Darum wartete ich, bis das kleinste alt war genug für die Flucht.» Aber auch Isa war stolz auf seinen Nachwuchs. Osman (Helena war bei seiner Geburt 15!), Bakhit (16 !), Kadiga (18) und Hawa (20) sollten Allah dienen. Isa wollte, dass sie Sklavenjäger würden. Solche Typen, wie jene, die Helena fingen, Frauen vergewaltigen und Dörfer niederbrennen. Das wollte aber Helena nicht hinnehmen. Insbesondere als Osman und Bakhit allmählich auf die Koranschule geschickt wurden. Helena: «Ich sagte den beiden, sie sollen dort nichts glauben. Sie sollten zwar nicken und so tun als ob. Aber sie sollten diese Indoktrination nicht aufnehmen.»

Isas Freitagsschläge wurden immer brutaler. Zuletzt brach er ihr zwei Rippen und quetschte ihr – als sie auf dem Boden lag – mit einem Fusstritt den Brustkorb. Arzt gab es keinen. «Ich fürchtete, dass er mich töten würde und meine Kinder dann ganz seinem Willen ausgeliefert sind.» Doch ihr Fluchtplan war mittlerweile ausgereift ...

Nicht ohne meine Kinder

«Zuerst brachte ich die Krüge zur Wasserstelle», schaut Helena zurück. Die war 20 Minuten von Isas Grundstück weg. «Dann ging ich zurück, um meine Kinder zu holen. Alle glaubten nun, ich sei am Wasserschöpfen.» Ausser Sichtweise eilten die fünf in Richtung Norden. «Wir gingen runter von der Strasse und flohen im Schutz des Waldes weiter.»

Nicht dass Isa, sobald er die Flucht bemerkt hätte, sie noch einholen könnte. Denn Hawa war damals gerade vier, und die Marschgeschwindigkeit war nicht sehr hoch.

Sieben Tage dauerte die Flucht, bis Helena den schwarzafrikanischen Süden erreichte. «Dort konnten wir uns von der schwierigen Reise erholen.» Zwei Tage später erreichte sie den Ort, wo sie heute lebt, im Gebiet von Aweil Ost. Aus Sicherheitsgründen soll der Name des Ortes hier unerwähnt bleiben.

Zurück zur Nächstenliebe

Anfang dieses Jahres glückte Helena die beschriebene Flucht – nach 18 Jahren in der Sklaverei. Sie konnte nie Kind sein. Nie Teenagerin. «Als Sechsjährige wollte ich für die Regierung arbeiten.» In welcher Funktion war ihr damals egal. «Ich wollte es, weil diese Leute so schön angezogen sind.» Ein Kinderwunsch eben.

Heute sieht ihr Zukunftstraum anders aus: «Ich will einfach meine Kinder ernähren können.» Gar nicht so einfach. Sie wohnt zwar in der ehemaligen Kornkammer des Landes. Doch der Ausrottungskrieg des arabisch-moslemischen Nordens gegen die christlichen und animistischen Schwarzafrikaner im Süden hat es zu einem riesigen Hungergebiet werden lassen.

Man schätzt, dass noch rund 200'000 Südsudanesen – wie früher Helena – im Norden versklavt sind. Helena hat ihre beiden Söhne vorübergehend bei einem Pastor untergebracht. «Ich wollte, dass sie eine Weile bei ihm sind. Das soll die Hirnwäsche und Indoktrination der Koranschule auffangen.» Osman und Bakhit sollen biblische Nächstenliebe lernen und nicht hängenbleiben beim eingetrichterten «Slaveraider»-Gedankengut.

Lesen sie auch die Serie dazu:
1. Teil Ich war 15 Jahre lang eine Sklavin
2. Teil Meine Klinik begann unter einem Baum
3. Teil Ein Arzt im Bombenhagel
4. Teil Noch keine Skorpione
5. Teil Die Milizen geben auf
6. Teil Gefangen, verkauft, unterdrückt
7. Teil Um diese Zeit kommen manchmal die Bomber
8. Teil Hühner schreien zwischen den echten "Music Stars"
9. Teil So wurde aus der Kornkammer ein Armenhaus
10. Teil Vier Kinder vom angetrauten Vergewaltiger
11. Teil Eine entvölkerte Schweiz, mitten im Sudan
12. Teil Die Sternstunde
13. Teil Der älteste Sohn der Familie vergewaltigte mich
15. Teil Schweizer Hilfswerk macht Weltpolitik
16. Teil So wurde die UNO zum Regime-Komplizen
17. Teil Wir haben die Hand Khartums geführt
18. Teil Die USA und das gigantische Missverständnis
19. Teil Wir machen uns zu Komplizen
20. Teil Wie viele sterben noch in Darfur?
21. Teil Nothilfe Sudan
22. Teil Gegen die Hungerkatastrophe im Sudan ankämpfen
23. Teil Weihnachten im Hungergebiet
24. Teil Diesesmal kein Tränengas zu Weihnachten
25. Teil "Wir werden eure Männer und Söhne töten" - wie lange schaut die Welt den Gräueln in Darfur zu?

Webseite: www.csi-int.org

Datum: 14.06.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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