Juden, die an Jesus glauben: Messianische Gemeinden in Israel stossen an

Mit der Gründung des Staates Israel 1948 ist das komplexe Verhältnis von Christen und Juden in eine neue Phase getreten. Im Westen kamen sich Vertreter der beiden Religionen nach Jahrhunderten von Verachtung, Verfolgung und Misstrauen näher, in Israel entstanden Gruppen von Juden, die den Brückenschlag persönlich vollzogen: Sie anerkannten Jesus von Nazareth als Messias ihres Volks und als ihren Erlöser.

Heute gibt es 5-7'000 so genannte messianische Juden – eine kleine Randgruppe in Israel, die christliche Solidarität verdient. Der Kanadier David Boyd, Präsident des ‚Israel College of the Bible’ in Jerusalem, gehört zu den bestinformierten Beobachtern der Szene. Er schilderte Livenet, wie sich die messianischen Gemeinden entwickeln – und womit sie kämpfen.

Livenet: Messianische Juden unterscheiden sich in einem Punkt deutlich von ihren Landsleuten: Sie glauben, dass Jesus von Nazareth der Messias und der Sohn Gottes ist. Und doch gleicht ihr Alltag dem anderer Israelis…
Der durchschnittliche Israeli fühlt sich weniger vor den Kopf gestossen durch einen messianischen Juden (Anteil an der Bevölkerung 0,1 Prozent) als durch den Ultra-Orthodoxen (Anteil 15 Prozent). Denn der messianische Jude geht arbeiten, zahlt seine Steuern, und fordert von seinen Nachbarn nicht, dass sie so wie er leben. Der messianische Jude hat nicht 10-15 Kinder und lebt auch nicht von der staatlichen Fürsorge. Kurz: Er gehört zu den produktiven Gliedern der Gesellschaft.

Er dient auch in der Armee – all dies lässt den durchschnittlichen Israeli sagen: „Er ist wie wir. Auch wenn sein Glaube sich unterscheidet, lebt er doch normal. Er kostet mich nichts.“ Für die Ultra-Orthodoxen (die den Militärdienst verweigern) muss er seinen Kopf hinhalten und für die Kinderzulagen, die ihnen zukommen, Steuern zahlen.

Ist der Glaube an den Messias Jesus für viele Juden eine Möglichkeit, die sie für sich erwägen?
Ich denke, Tausende von Juden sehen heute den Schritt zum Vertrauen in Jesus als möglich an. Ob sie sich überlegen, den Schritt zu tun, ist etwas ganz Anderes. Früher war die Idee, dass ein Jude an Jesus glauben und dabei Jude bleiben könnte, ihnen ganz fremd. Heute ist dies anders.

Die messianische Gemeinschaft ist in den letzten zehn Jahren vor allem wegen des Zustroms von Menschen aus Äthiopien und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion gewachsen. Muss man im übrigen nicht von Stagnation reden?
Nein. Auch wenn man die Hälfte des Wachstums oder mehr diesen beiden Gruppen zuschreibt, wäre immer noch ein bedeutendes Wachstum zu verzeichnen. In den 90er-Jahren wurden 57 neue messianische Gemeinden begonnen. Als der Staat Israel gegründet wurde, gab es bloss zwei Gemeinden. Heute können Israelis in etwa 100 Gemeinden, die übers ganze Land verstreut sind, den Messias feiern. Auffällig ist in den letzten Jahren vor allem das Wachstum der spanisch- und französischsprachigen messianischen Gemeinden in Israel.


Vor welchen Herausforderungen stehen die messianischen Gemeinden?

Am meisten Not tut die Ausbildung von Leitern. 80 Prozent der amtierenden Pastoren haben weniger als ein Semester Theologie studiert. Die meisten tun ihren Dienst nebenamtlich und sollten finanziell unterstützt werden. Jene, die vollzeitlich angestellt sind, reisen oft ins Ausland, um für ihre Gemeinden Geld zu sammeln; das läuft zeitlich auf Dasselbe hinaus, als hätten sie eine andere Arbeitsstelle. Mit anderen Worten: Bloss eine Handvoll Pastoren ist wirklich vollzeitlich für die Gemeinde da.

Zweitens fehlen vielen Gemeinden immer noch Räumlichkeiten, die sie auf Dauer nutzen können. Manchen wird gekündigt, nachdem die Vermieter unter Druck gesetzt oder gar erpresst worden sind. Restaurants zögern deswegen, ihre Säle an messianische Gemeinden zu vermieten. Diese teilen sich vermehrt die Räumlichkeiten, die zur Verfügung stehen.

Was die Gemeindeglieder selbst betrifft, sehen wir, dass viele mit minimalen Löhnen auskommen müssen. Typisch für sie sind Wächter-Jobs, wo sie jeden Tag ihr Leben aufs Spiel setzen – für einen ganz tiefen Lohn. Sie sollten bessere Stellen finden.

Sie sind Kanadier und Nicht-Jude. Wie bringen Sie den Glauben an den Messias Jesus in Israel zum Ausdruck?
Ich finde es leichter, in Israel von meinem Glauben zu erzählen als in Kanada, wo ich herkomme. In Kanada wird alles Religiöse in den privaten Bereich abgedrängt. Religion ist Privatsache; jeder kann denken, was er will, und Gleichgültigkeit herrscht. In Israel wollen die Leute eher wissen, was man glaubt.

Mein Nachbar ist ein Fernsehreporter, der aus der ultra-orthodoxen Schas-Bewegung hinausgeworfen wurde, als er über finanzielle Unregelmässigkeiten berichtete. Er hat mir viele Fragen über den messianischen Glauben gestellt. Mich als Nicht-Juden fragt man ständig, warum ich in Israel lebe. Und wenn ich als Christ meine Liebe zu den jüdischen Menschen ausdrücke, staunen viele, weil sie Christen nicht als ihre Freunde sehen. Wenn sie Vertrauen zu mir gewinnen, geht das Fragen so richtig los.

Wie erklären Sie den Einheimischen, warum Sie in Israel leben?
Von klein auf habe ich jüdische Freunde gehabt. Sie brachten mich dazu, dass ich als Christ das Alte Testament vertieft studierte. In Gesprächen mit Israelis hebe ich hervor, dass wir als Christen die Juden lieben sollen und dass ich gegen Antisemitismus kämpfe. Zugleich mache ich deutlich, dass wir als Christen Jeshua für den Messias der Juden halten. Unser College befindet sich in einem 100-jährigen Kirchengebäude im neueren Teil Jerusalems und wird immer wieder von jüdischen Gruppen besucht. Nach der Führung haben sie regelmässig viele Fragen, unter anderem, warum wir kein Kreuz auf dem Dach haben. Unser College, das ‚Israel College of the Bible’, bietet übrigens auch dreiwöchige Sommerkurse für Studenten aus der ganzen Welt an…

Ein Artikel über das Kursangebot des ‚Israel College of the Bible’ folgt.

Das College im Internet: www.israelcollege.com

Weitere Infos über die messianischen Juden in Israel bei: www.amzi.org

Livenet-Artikel zum Thema:
Ein anderes Pessach-Fest: Messianische Juden feiern Jeshua
Messianische Juden und der Palästinenserkonflikt
Übersicht Christen in Israel
Artikel über das Israel College of the Bible

Bilder: amzi, Reinach BL

Datum: 08.04.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

Glaubensfragen & Lebenshilfe

Diese Artikel könnten Sie interessieren

Im Iran
Viele Christen versammeln sich jeden Abend im Iran, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern und das Abendmahl zu nehmen. Im Vergleich zu einmal pro Monat...
Isaak und Abimelech
Evan Thomas hat über 40 Jahre der Versöhnung zwischen lokalen Nachfolgern Jesu im israelisch-palästinensischen Konflikt gewidmet. Er stellt das...
Neuausrichtung
Vreni Müllhaupt ist in einer Bauernfamilie gross geworden. Dass sie einmal Strassenkinder der peruanischen Hauptstadt Lima aufsuchen würde, hatte sie...
In Mikronesien
Ein Missionsflugdienst leistet humanitäre Hilfe im Inselgebiet Mikronesien. Er nimmt aber auch Passagiere an Bord und breitet das Evangelium aus.

Anzeige