Israels messianische Juden und die Sehnsucht nach Shalom

Eine Popversion der uralten Geheimlehre Kabbalah ist der letzte Schrei für Madonna und weitere Stars. Abseits der Schlagzeilen ringen die messianischen Gemeinden in Israel um gesellschaftliche Anerkennung. Der Israelkenner Hanspeter Obrist weist auf die Gegenbewegung hin: dass mehr Christen zum Judentum übertreten.

Livenet: Hanspeter Obrist, bringt Madonnas neuster Fimmel auch mehr Israelis dazu, in die okkulte Welt der Kabbalah einzutauchen? Welche Heilsversprechen finden im jüdischen Volk aktuell am meisten Anklang?
Hanspeter Obrist: Zurzeit erlebt Israel einen echten New Age-Boom. Zu jedem jüdischen Fest finden auch New Age-Festivals statt. Zugleich gibt es eine neue Tendenz, Gräber von verstorbenen Leuten und Rabbis aufzusuchen und dort um Hilfe zu beten. So entwickelt sich langsam eine neue Religiosität und ein neuer Kult.

Über die messianischen Gemeinden in Israel zirkulieren verschiedene Zahlen. Wie viele Gemeinden gibt es?
Es gibt rund 100 Gemeinden und Kreise. Rund 6000 messianische Juden und rund 2000 Christen aus anderen Völkern zählen sich zurzeit dazu. Offizielle Zahl gibt es nicht. Jede Woche kommen einzelne neue Menschen dazu. Nach wie vor machen sie nur ca. ein Promille der Bevölkerung des Landes aus.

Viel grösser dagegen ist die Zahl der Christen, die zum orthodoxen Judentum übertreten. In Israel sind es vor allem Einwanderer, die nach dem religiösen Regelwerk, der Halacha, nicht als Juden anerkannt sind, dies aber wünschen.
In Europa treten viele Christen aus Überzeugung zum Judentum über. So sind bereits mehr Menschen zum Judentum übergetreten, als Juden zu glauben beginnen, dass Jesus der jüdische Messias ist.

Kann man überhaupt von einer Bewegung mit einer gemeinsamen Identität reden, oder handelt es sich um verschiedene Strömungen, die nur lose miteinander verbunden sind?
Die gemeinsame Identität ist der gemeinsame Glaube an den jüdischen Messias Jeschua (Jesus). Die konkrete Gestaltung dieses Glaubens wird jedoch unterschiedlich wahrgenommen. Doch die vereinenden Elemente überwiegen. Wie unter Christen gibt es auch bei messianischen Juden die unterschiedlichsten Formen. Viele Pastoren treffen sich regelmässig zum Austausch und Gebet.

Wie wird die Rückgabe von Gaza in messianischen Gemeinden bewertet?
Die Politik wird von einzelnen Gemeindegliedern unterschiedlich beurteilt. Es gibt wie bei uns keine einheitliche Meinung.

Wie stehen die Gemeinden der messianischen Juden Ende 2005 rechtlich und gesellschaftlich da?
Die Organisationen Yad LeAchim und Lev LeAchim versuchen immer wieder alles Mögliche zu unternehmen, um Leute vor den Gemeinden zu warnen. So störten sie ein Konzert in Bat Yam. Die Gur Chassidim machen das Leben der Gemeindeglieder in Arad im Negev schwer.

Doch Israel ist ein Rechtsstaat. So haben auch die messianischen Leute die Möglichkeit, vor Gericht zu gehen. Nur ist dies nicht immer einfach und sehr kostenintensiv. Die messianischen Juden werden immer mehr als eine existierende Realität wahrgenommen. Viele Israeli haben aber noch nie von ihnen gehört, obwohl überdurchschnittlich viel über sie in den Medien berichtet wird.

Eine messianische Gemeinde in Arad wurde massiv bedroht. Hat sich ihre Situation gebessert?
Freunde Israels aus aller Welt haben Briefe an ihre Botschafter geschrieben. Dadurch wurde der Staat auf die Missstände aufmerksam. Nun greift die Polizei vermehrt ein und schützt messianische Mitbürger. Der Hass der ‚Gur Chassidim’ ist aber dadurch nicht beseitigt. Einzelne Mitglieder der Gemeinde werden immer wieder bedroht und belästigt.

Wie entwickeln sich die Bücher- und Medienarbeit und die Rehabilitationsarbeit unter Drogensüchtigen?
Zurzeit gibt es drei wichtige Verleger für hebräische Bücher. Ein grosser Bedarf besteht an guter russischer Literatur. Immer wieder ist es aber auch eine Frage des Preises. Die Kaufkraft der messianischen Gemeindeglieder ist sehr gering.

Die Rehabilitationsarbeit unter Abhängigen wächst. Die vielen Süchtigen aller Art brauchen Orte der Therapie. Es entstanden verschiedene Einrichtungen, die sich dieser Personen annehmen. Von staatlicher Seite sind aber auch Grenzen gesetzt, was die Möglichkeiten freier Werke stark einschränkt.

Womit kämpfen die Gemeinden am meisten? Haben sie die Mittel für Löhne und Saalmieten?
Viele Gemeinden verstehen nicht, weshalb die Christen im Westen mit Millionen den israelischen Staat unterstützen und keine Hilfe an die Glaubensgeschwister weitergeben. Unter den Gemeindegliedern gibt es viele russische Einwanderer, die schlecht bezahlte Arbeiten haben, was dazu führt, dass die Gemeinden Schwierigkeiten haben, ihre Unkosten zu decken.

Was bieten die messianischen Juden ihren jüdischen Mitmenschen?
Das jüdische Volk wartet auf einen Messias, der Frieden bringt. In Jeschua (Jesus) können wir Frieden erfahren, auch wenn wir in einer hasserfüllten Umwelt leben. Dieser Friede befreit, prägt und bringt Hoffnung, die das jüdische Volk braucht.

Hanspeter Obrist ist Leiter der Arbeitsgemeinschaft für das messianische Zeugnis an Israel (AmZI). Der eidgenössisch diplomierte Ausbilder und Theologe lebt in Arlesheim.

Mehr zum Thema:
Israel und seine Nachbarn am Jahresende 2005:

Arbeitsgemeinschaft für das messianische Zeugnis an Israel
www.amzi.org

Mehr über Juden, die an Jeschua glauben:
www.livenet.ch/www/index.php/D/article/181/16047/

Bilder: AmZI

Datum: 29.12.2005
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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