Ralf Hickethier ist Direktor der 2009 gegründeten christlichen Paulus-Schule in Königswartha. Nach Vorbild des gleichnamigen Apostels sollen die Schüler dort eine biblische Werte-Erziehung erhalten.
Mit diesem Ansatz wollen Hickethier und sein Team gegen den individualistischen Zeitgeist steuern. Kurz vor den Sommerferien spricht er im Interview mit dem Medienmagazin «pro» über seine Erfahrungen aus einem Jahr Paulus-Schule.
pro: Sie vermitteln christliche Werte. Wie sieht das praktisch aus?
Ralf Hickethier: Weniger indem wir darüber reden, sondern wir setzen Werteerziehung im alltäglichen Umgang um. Ich erkläre es an einem Beispiel: Wir praktizieren Respekt, indem die Schüler aufstehen, wenn ein Erwachsener in die Klasse kommt. Wenn ein Erwachsener das Schulgelände betritt, sollen die Kinder zuerst grüssen. Wir haben ein gemeinsames Frühstück, bei dem jeder seine Frühstücksbrote mitbringt. Eine Hälfte wird in die Mitte gelegt, die andere Hälfte selbst gegessen. So lernen die Kinder teilen. Solche Formen schaffen eine praktische Basis, um über Werte zu sprechen und sie zu vermitteln.
Welche Werte wollen Sie denn vermitteln?
An erster Stelle stehen Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl. Ein zweiter Wert ist der freundliche Umgang. Wir gehen höflich miteinander um, wir helfen uns gegenseitig, Gewalt und Beleidigungen sind tabu. Wir sprechen auch über den Glauben: Mehr als die Hälfte unserer Schüler ist nicht christlich sozialisiert. Aber sie werden eingeladen, am Mittagstisch zu beten. Die meisten nehmen diese Einladung an.
Die Paulus-Schule wurde erst vor kurzer Zeit, im Sommer 2009 eröffnet. Welche Kinder besuchen Ihre Schule?
Wir haben hier 27 Mittelschüler zwischen 10 und 12 Jahren. Die staatliche Schule wurde vor kurzem geschlossen und die Eltern wollen eine regionale Schule vor Ort haben. Auch deshalb schicken viele ihre Kinder zu uns. Viele wünschen sich eine christliche Erziehung. Anderen Eltern ist unser Ansatz wichtig: Liebe durch Ordnung. Wer Liebe fördern will, braucht Ordnung, auch seelische und soziale. Dann kann man sich öffnen.
Was passiert, wenn ein Kind die Regeln nicht befolgt?
Das Entscheidende ist die Freundlichkeit. Jeder macht Fehler, das ist kein Problem - wenn man daraus lernt. Wenn man aber vorsätzlich immer wieder den gleichen Fehler macht, dann ist das ein Problem. Wir weisen die Kinder zunächst freundlich auf Fehler hin. Dazu nutzen wir ein Zeichen: die erhobene Hand. Kinder können nicht ununterbrochen aufmerksam sein. Aber in Phasen, in denen es darauf ankommt, signalisieren wir es durch diese Geste. Wenn Schüler dann immer noch quatschen, gibt es eine Strafe. Sie müssen 8 oder 16 Zeilen schreiben, in denen sie zum Vergehen Stellung nehmen und ihre Sicht der Dinge beschreiben. Dieses Vorgehen ist auch für die Lehrer gut, denn sie laufen nicht Gefahr, wütend oder beleidigend zu werden. Sie sagen einfach: «acht Zeilen».
Welche Rolle spielen die Eltern bei dieser Art von Erziehung?
Eine grosse. Viele Eltern glauben, Liebe zeige sich darin, es den Kindern recht zu machen. Ich verstehe das. Mir selbst fällt es auch schwer, manchmal hart zu sein. So ist eben der Zeitgeist in einer individualisierten Gesellschaft. Wir als Lehrer müssen oft gegen diesen Alltag der Kinder steuern und aufpassen, dass es von den Eltern nicht falsch verstanden wird.
Arbeiten Sie mit den Eltern zusammen?
Eltern können jederzeit zu uns kommen, es gibt keine Anmeldungen. Sie können Probleme sofort ansprechen oder sich an die Schulleitung wenden - das ist ein Vorteil einer kleinen Schule. Es gibt einen Stammtisch, zu dem die Eltern alle 14 Tage kommen können. Wir verstehen die Elternsprecher ausserdem als erweiterten Teil der Schulleitung. So soll ein Konflikt zwischen Lehrern und Eltern vermieden werden. Wir wollen eine Gemeinschaft aus Schülern, Lehrern und Eltern sein.
Wie begegnen sie vermeintlich negativen Einflüssen für Kinder, wie dem sprichwörtlichen «schlechten Freundeskreis» oder den Medien?
Die Freunde sind ja hauptsächlich Mitschüler. Wir als Schule versuchen, das Klima der Schüler untereinander positiv zu beeinflussen. Etwa indem wir den Schülern vermitteln, dass sie ehrlich und ruhig ihre eigene Meinung sagen sollen. Wenn es Probleme gibt, soll jeder zuerst nach seinem eigenen Anteil daran schauen. Die Kinder erlernen dieses Verhalten und gehen so auch besser miteinander um. Ich halte es für ganz falsch, Umgang zu verbieten. Das ist, als ob Eltern Kindern verbieten würden, rauszugehen, weil sie sich dort mit Krankheiten anstecken könnten. Die Kinder müssen sich ausliefern. Wenn sie selbst innerlich gestärkt sind, macht sie die Auseinandersetzung mit der Aussenwelt noch stärker. Zu sagen, ihr dürft mit denen da keinen Umgang haben, ist der falsche Weg. Das gleiche betrifft die Medien. Natürlich ist da vieles schädlich, aber die Kinder dürfen fern schauen, nicht zu viel natürlich. Wenn sie eine gute Stellung in Schule und Familie haben, können sie das aushalten.
Haben Sie schon einmal erlebt, wie sich ein Kind sprichwörtlich vom Saulus zum Paulus gewandelt hat?
Es gibt einen eindeutigen Fall. Wir hatten zwei Jungen, die sich immer bekriegt haben, schon im Kindergarten. Es ging sogar so weit, dass Eltern gesagt haben, wenn diese Kinder auf Ihrer Schule sind, melden wir unsere nicht an. Wir hatten schon zu Anfang verabredet, dass einer gehen muss, wenn wir die Situation nicht in den Griff bekommen. Das Entscheidende war aber immer der Optimismus: Wir schaffen das. Die beiden gehen inzwischen freundlich und vernünftig miteinander um.
Welche Tipps geben Sie Eltern, die nicht wissen, wie sie ihren Kindern Werte vermitteln können?
Der Alltag ist entscheidend. Eltern müssen Rituale und Sicherheiten schaffen. Zusammensein, sich austauschen, reden. Beim Essen zusammen zu sitzen und darüber zu sprechen, was den einen oder anderen berührt hat, ist Werteerziehung. Man kann Werte nicht referieren oder dozieren. Die Liebe geht durch den Magen, deshalb bietet es sich an, das Essen damit zu verbinden und zwar täglich.