Jakutien, Nordosten Russland

Missionar am Ende der Welt

Mit vier Freunden ist Michail Pilipenko im klirrenden Winter Jakutiens 8000 Kilometer gefahren. Die Jakuten leben im fernen Nordosten Russlands. Das Neue Testament in der Landessprache kam so in 22 entlegene Dörfer. Am 24. Oktober erzählte Pilipenko am Missionstag von «Licht im Osten» in Winterthur von seinem weissen Abenteuer. Auszüge:

Einmal fuhren wir drei Tage von einem Dorf zum nächsten - 800 Kilometer. In den Bergen Jakutiens, unterwegs zum Kolyma-Fluss, gibt es weder Hotels noch Läden. In der Ladekabine des Geländefahrzeugs führten wir umfangreiche Vorräte mit - und einen Holzofen, um zu kochen. Abends mussten wir Schachteln abladen, weil zwei von uns auf den eingebauten Pritschen schliefen. In der Führerkabine war Platz für drei. In den Nächten sank das Thermometer manchmal unter -50 Grad.

Fahren oder erfrieren

Unser fünfköpfiges Team bestand aus zwei jakutischen Christen und einem Gläubigen aus dem Volk der Ewenen, einem Russen und mir. In Gefahr kamen wir nicht wegen wilder Tiere, sondern als unser Fahrzeug stehen blieb und sich die Ladekabine infolge der Erschütterungen löste. Eine erste Befestigung klappte nicht. Ohne Kabine wären wir bald erfroren. Wir hatten weder Mobiltelefon noch Funk.

Interesse und Ablehnung im Dorf

Die Jakuten sind vom Geisterglauben ihrer Vorfahren nicht losgekommen, obwohl es infolge der Sowjetherrschaft kaum mehr Schamanen gibt, die mit Geistern umgehen. Im ersten Dorf, das wir ansteuerten, wollte die Bürgermeisterin von einer Verteilung Neuer Testamente nichts wissen. Doch wir begegneten ihrem Vater; der lud uns ein und ermöglichte dann - vom Widerstand seiner Tochter unbeeindruckt - zwei Vorstellungen des Buchs in Schulen und ein Gespräch mit Lehrern. Wir erzählten, wie das Buch unser Leben verändert hat, und jeder, der es wünschte, erhielt ein Testament geschenkt.

Isolierte Gruppen

 Valentina stammt aus der Ukraine. Die Christin half dort in der Sowjetzeit im Geheimen Bibeln drucken. Deshalb wurde sie zu zehn Jahren Freiheitsentzug verurteilt und nach Jakutien verschickt. Nach dieser Zeit blieb sie im Dorf. In ihrem Häuschen versammelt sich heute eine Hausgemeinde. Wir freuten uns, nach Tagen in Schnee und Eis mit Christen zusammenzutreffen.

Die Bibel in der Sprache des Herzens

Wenn wir christliche Lieder in Jakutisch sangen, gingen manchen Einheimischen die Augen über. Viele sind dem Alkohol verfallen und depressiv angesichts ihres verpfuschten Lebens. Das kostbare Buch in der Sprache ihres Herzens gratis zu erhalten, bedeutet ihnen sehr viel. Die Verteilung ist etwas Wunderbares; sie bewegte uns tief. Dabei tun wir gar nicht viel. Gott selbst ist am Wirken.

Weitere Expeditionen nötig

 Nur in zwei der 22 Dörfer, die wir besuchten, hatten die Bibliotheken das Testament zugeschickt erhalten und aufgelegt. Um ganz Jakutien die Testamente zu bringen, müssen wir noch sechs solche Winterexpeditionen unternehmen. Im Sommer gibt es im Schlamm und über die Flüsse kein Weiterkommen. 2005 wurde nach über zehnjähriger Übersetzungsarbeit das Neue Testament in Jakutisch gedruckt. Ende 2008, kurz vor unserer Reise, kam die zweite Auflage von 10'000 Exemplaren aus der Druckerei, dank der Unterstützung von „Licht im Osten".

Angst vor Geistern

Dass Menschen im Westen sich für Schamanismus interessieren, kann ich nicht verstehen. Denn alle, die bei uns noch nach schamanischer Weise an Geister glauben, haben Angst. Schamanen gibt es eigentlich keine mehr - aber Leute, die mit übersinnlichen Fähigkeiten auftrumpfen oder sie vorspiegeln, haben Zulauf. Die Leute fallen auf sie herein, weil sie keine echten Schamanen mehr kennen. Um die Geister günstig zu stimmen, opfert man ihnen Wodka und Nahrungsmittel und hängt Gebetsfahnen auf. Im Haus sollen Talismane sie vor dem Bösen beschützen.

Der Gott aller Völker

 Der Schamanismus gilt den Jakuten als ihre uralte Volksreligion. Russische Christen verweisen darauf, dass ihre Vorfahren einst auch im Geisterglauben lebten. Der christliche Gott ist nicht allein ein Gott der Russen, betonen sie. Gott ist nicht an ein Volk gebunden. Die Bibelübersetzung unterstreicht dies. Es gibt heute die Tendenz, in Jakutien den Schamanismus zu stärken, da er als ein kultureller Pfeiler der Identität gesehen wird.

Wir wollten ins Dorf Beresowka (Birkendorf) fahren und dort Testamente verteilen. Im Nachbarort warnte man uns davor: Wenn wir nicht Wodka mitbrächten, würde man uns umbringen. Wir berieten uns und beteten. Ich zögerte, die jakutischen Brüder sprachen sich dafür aus. So fuhren wir hin - denn, so schlossen wir, sonst würden sie nie davon hören. Und man hat uns nicht umgebracht.

Grossvater verbannt

Seit der sechsten Klasse lebe ich in Jakutien. Das Land ist meine zweite Heimat geworden. Mein Grossvater war zur Zeit der Revolution aus der Ukraine nach Kasachstan verschickt worden, weil er einen Betrieb besass. Ich habe nie in Europa gelebt - an diesem Wochenende bin ich zum ersten Mal in den Westen gelangt. Jakutien hat grosse Goldvorkommen. Meine Tante zog 1980 in die Hauptstadt Jakutsk, um in der Goldförderung zu arbeiten; wir kamen nach. Im Alter von 21 Jahren habe ich in einem jakutischen Dorf zum ersten Mal überhaupt von Jesus Christus gehört.

Von Orthodoxen verleumdet

Die russische orthodoxe Kirche behindert unsere Arbeit; man diffamiert uns Baptisten als Sektierer. In manchen Dörfern stehen verlassen kleine orthodoxe Kirchlein. Einmal oder zweimal im Jahr kommen Priester hin und taufen - und dann bezeichnen sich die Leute als gläubig. Wir suchen den Kontakt zu orthodoxen Priestern und machen darauf aufmerksam, dass durch unsere Arbeit Menschen frei werden vom Alkohol, dass Männer, die gläubig geworden sind, bei ihren Familien bleiben und für sie sorgen. Wenn sie nichts tun, sollen sie uns doch nicht behindern.

Wir sind in ungefähr 20 Dörfern mit 30 Gruppen präsent; neben uns gibt es in Jakutien Pfingstler, Charismatiker und Adventisten. Etwa 500 Jakuten gehören der Baptistenkirche an; in den Dörfern sind es 5-40 Personen, in Jakutsk etwa 100. Kinos und öffentliche Gebäude können wir nicht mieten; dies blockiert die orthodoxe Kirche. Für unserer Jahreskonferenz in Jakutsk laden wir Beamte und Journalisten ein, um sie davon zu überzeugen, dass wir keine Sekte sind. Wir konnten dafür das Gebäude der Neuapostolen mieten.

Das Grauen des Gulag, Schatten über dem Land

Die Bergstrassen, die wir auf unserer Expedition befuhren, wurden in den 1930er Jahren von Gulag-Sträflingen erbaut. Im Distrikt Mittel-Kolyma gab es in der Stalinzeit nicht weniger als 24 Straflager. Unter den Tausenden, die bei der Zwangsarbeit umkamen, waren viele Christen. Die Leichen warf man einfach in den Strassengraben. Dieser Horror hat uns unterwegs stark beschäftigt.

Unter Stalin kam es auch vor, dass man unbescholtene Leute auf der Strasse aufgriff und sie zwangsweise in den Fernen Osten verfrachtete, damit sie die Region entwickelten. Ich traf einen Mann, dem dies widerfahren war. Jahrelang hatte seine Familie von seinem Verbleiben keine Kenntnis. (Erst in den 70er Jahren wurden die Bestimmungen gelockert und Verschickte konnten in ihre Heimat zurückkehren; viele waren inzwischen gestorben.) Der Mann wurde im Lager Christ. Er sollte wie tausend andere am Ufer des Flusses erschossen werden. Wie er mir erzählte, färbte sich das Wasser rot von den Leichen, die in den Fluss fielen; er überlebte, weil er sich, ohne getroffen zu sein, ins Wasser fallen liess.

Jesus Christus macht frei

In den Städten streben die jungen Leute nach Unterhaltung. In den Dörfern stellen wir mehr Interesse am christlichen Glauben fest. Auf unserer Reise zeigte sich ein Mann sehr interessiert am Evangelium. Die Leute im Dorf hielten ihn für einen Schamanen. Wir stellten fest, dass er hungrig war nach der Botschaft, die wir brachten: dass Gott uns durch Jesus die Rettung und ein erfülltes Leben anbietet.

Auf die Fragen nach den Geistern geben in unserem Team die jakutischen Brüder Antwort. Sie verstehen besser auf ihre Landsleute einzugehen und schaffen es, die Botschaft des Evangeliums so zu vermitteln, dass sie keine Angst auslöst. Zuvor kam es vor, dass Jakuten uns Russen sagten: Ihr habt es gut, ihr könnt gehen, aber wenn wir hier Christen werden, dann strafen uns die Geister. Jetzt zeigen jakutische Christen, dass Jesus uns anhaltend beschützt und segnet. Ein jakutischer Pastor ist ein lebendiger Beweis dafür - und er sagt dies auch -, dass Jesus von der Angst befreit, vom Alkoholismus frei macht.

Mehr zu Jakutien auf der Webseite von „Licht im Osten" 

 
 


Datum: 30.10.2009
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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