Es muss umgesteuert werden!

Mitgliederschwund in deutschen Kirchen

2017 verloren die beiden grossen Kirchen in Deutschland 660'000 Mitglieder. Das ist eine traurige Zahl. Doch einmal provokant formuliert: Eine höhere Zahl wäre vielleicht besser. Dann würde sich vielleicht etwas bewegen.

Es soll an dieser Stelle nun wirklich nicht den Kirchenaustritten das Wort geredet werden. Doch hinter der bewussten Provokation steht der Wunsch und die Überlegung, dass noch grössere Zahlen vielleicht dazu führen würden, dass sich die evangelischen Kirchen und die katholische Kirche auf ihre Ausrichtung besinnen, vor allem auf ihren missionarischen Auftrag. Denn im Bereich des Sozialen tun die Kirchen bereits sehr viel Gutes.

Viel weniger Evangelische

660'000 Mitglieder weniger in Deutschland. Das waren 390'000 weniger evangelische Mitglieder unter dem Dach der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). In der katholischen Kirche liegt das Minus bei «nur» 270'000. Seit Jahren liegt die Zahl der Austritte bei den evangelischen Kirchen höher als bei den Katholiken. Dass es auch im Lutherjahr 2017 so war, muss besonders enttäuschen, denn selten waren die evangelischen Kirchen so präsent.

Leider scheint es für die traditionellen Kirchen keinen Grund zum Umsteuern zu geben. Denn an den Mitgliederschwund haben sich viele gewöhnt und – das ist von entscheidender Bedeutung – die Finanzentwicklung zeigt für die Kirchen weiter nach oben, die Kirchensteuer wächst weiter. Der Rückgang der Mitglieder wird – sozusagen – finanziell abgefedert. Wäre der Mitgliederschwund grösser und vor allem der Finanzfluss rückläufig, gäbe es sicher eine hitzige Diskussion darüber, wie die Kirchen mit der Situation umzugehen hätten. So aber besteht dazu scheinbar kein Grund.

Einseitig missionarisch ist nicht die Gefahr

Wenn es denn eine irgendwie gedachte Mitte zwischen dem missionarischen und dem diakonischen Auftrag der Kirchen gibt, dann gab es wohl kaum eine Phase, in der die traditionellen Kirchen zu sehr auf der Seite der Mission standen. Dennoch gibt es starke Kräfte in beiden Kirchen, die immer wieder genau vor dieser Einseitigkeit warnen. Doch diese Diskussion führt nicht weiter; beide Bereiche, Diakonie und Verkündigung, sind Wesensmerkmale der Kirche, gehören dazu und greifen ineinander.

Vor Jahren hatte der EKD-Ratsvorsitzende Professor Wolfgang Huber Beschlüsse vorangebracht, die den Boden für mehr Mission und die Gründung von Richtungsgemeinden bereiten sollten. Huber erlebte als Berliner Bischof hautnah, wie sehr die evangelische Kirche an Mitgliedern und Zuspruch in einer Grossstadt verlor. Er focht die Beschlüsse hartnäckig durch, doch missionarische Initiativen und Richtungsgemeinden sind seitdem, landesweit betrachtet, dennoch eher selten.

Über Glaubenserfahrungen sprechen

Wichtig ist aber vor allem, über Gott, Glaubenserfahrungen sowie die Inhalte und Zusagen des Wortes Gottes zu sprechen. Auch hier gibt es innerkirchliche Skeptiker, die es für zu subjektiv oder gar naiv halten, wenn Menschen von ihren Erfahrungen im Glauben sprechen. Doch wie anders will Kirche für den Glauben werben, wenn sie nicht darüber spricht, wie sich dieser Glauben im Leben äussert, was er bewirkt, wie er einen Menschen verändert, herausfordert, leitet, korrigiert…?

Von Gott und vom Glauben zu sprechen, das sollte zum Beispiel in den kirchlichen Kindergärten fester Bestandteil sein. Von Glaubenserfahrungen zu sprechen, das sollte auch mehr in den Predigten passieren. Es geht hier nicht darum, dass Predigende ihr Privates nach aussen kehren, aber dass sie darüber sprechen, wie sie Gott in ihrem Leben erfahren.

Räume der Gemeinschaft

Welcher Pfarrer und welche Pfarrerin spricht schon vom eigenen Glauben und ermutigt auch die Mitglieder der eigenen Gemeinde dazu? Und wo werden die Aussagen des Wortes Gottes so vermittelt, dass deutlich wird, welche Bedeutung sie für die eigene Lebensführung haben und wie sie teils völlig konträr zum Zeitgeist stehen?

Aber es geht um noch mehr: Wo schaffen Kirchengemeinden neben dem Gottesdienst überschaubare Räume der Gemeinschaft von Glaubenden? Es ist nicht so, dass es das in den grossen Kirchen nicht gibt, doch zumeist sie sind eher die Ausnahme, vor allem, wenn es darum geht, dass auch der Glaube dort Thema ist und man dazu Impulse bekommt, sich darüber austauscht und gegenseitig ermutigt. Das ist ein Kernauftrag, der für alle Kirchen gilt. Das meinte Jesus damit, als er die Jünger beauftragte, Menschen zu Jüngern zu machen.

Zum Thema:
Gegen Mitgliederschwund: Persönliche Beziehung wirkt stärker als Kirchenfrust
Gottesdienst in der Kneipe«Kirche ist kein Gebäude, Kirche ist Beziehung!»
Sichtweise eines 21-Jährigen: Warum so viele Jugendliche die Gemeinden verlassen

Datum: 24.07.2018
Autor: Norbert Abt
Quelle: Livenet

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