Was für heutige Zeiten recht unspektakulär klingt, liess damals die konservativen Gemüter kochen: Eine Frau, und erst noch Mutter, die als reformierte Gemeindepfarrerin dienen wollte. Erst 1963 erreichte Gerti Caprez-Roffler das fast Unmögliche und wurde
für eine Bündner Kirchgemeinde angestellt.
Doku-Film,
Buch und Hörbuch zeigen ein historisches Ereignis der Schweizer
Kirchengeschichte und spielen damit topaktuell ins Thema der Gleichstellung der
Frau rein. «Die
illegale Pfarrerin» erzählt von Skihosen für Frauen, Familien-Management und
einer geistlichen Würdenträgerin. Als
«Pfarrer im Rock» wurde sie von den Gemeindemitgliedern scherzhaft, aber doch
dickköpfig gegen die unbewegliche Regierung in Chur verteidigt. Mehr sei es ja
nicht.
Schwanger
zum Theologieexamen
1929
lebten die beiden Bündner im weltoffenen Brasilien, wo Greti Caprez-Roffler auf
ihr Theologie-Schlussexamen hin lernte und ihr Ehemann als Ingenieur arbeitete.
Zurück in der Schweiz stellte sich die Frage, ob ihr Theologiestudium mit
dem Muttersein zu vereinbaren ist; zumal die Kirche noch nicht dafür bereit schien.
So
absolvierte sie ihren Theologieabschluss ohne Perspektive auf eine Kanzel,
aber mit Bauch, einem heranwachsenden Baby. Anfang
der 1930er-Jahre waren Frauen gerade mal als Pfarrhelferin akzeptiert und nicht
mehr. Doch für Gretis Vater, der Dorfpfarrer, war sie sein Lieblingskind.
Deshalb wünschte er sich, dass sie in seine Fussstapfen treten könnte. Sie
probierte mehrmals, beim kantonalen Kirchenrat in Chur eine Anstellung als
Pfarrerin zu kriegen, jedoch erfolglos. Frustriert musste sie einsehen: «…hatte
es geahnt, aber noch nicht erfahren müssen, dass es eine Schande ist, ein Weib
zu sein.»
Von
Gott arrangiert, aber gut genug?
Dann
geschah das Unwahrscheinliche. Die Pfarrerin Caprez-Roffler wurde einstimmig,
und von ihrer Mutter vorgeschlagen, von der Dorfbevölkerung zur neuen Pfarrerin
im bündnerischen Furna gewählt. Sie wurde somit zur ersten Gemeindepfarrerin der
ganzen Schweiz. Ihr
Ehemann blieb in Zürich und konnte nur 14täglich zu Besuch kommen. Aber Gott
hätte sie als 25-Jährige dahin gestellt und stand hinter ihr, erklärt Margreth Härdi-Caprez
die Haltung ihrer Mutter.
Der
Churer Kirchenrat beschloss, dass das Ganze gegen das Gesetz geschah und
deshalb ungültig sei. Seine Mitglieder tobten. Doch auf dem Berg oben hielten die Menschen 100 Prozent zu
ihr. «Unser Pfarrer hat halt einfach einen Rock an», werden die Bauern zitiert. Zwei
Monate nach Amtsantritt vollzog die frisch Gewählte ihre erste Taufe. Die
Eheleute diskutierten, ob es denn auch seine Gültigkeit habe. Sie
selber wurde immer wieder von inneren Zweifeln geplagt, ob sie denn genüge. Was
ihr besonders gefiel, waren die Seelsorgebesuche, zu denen sie auch ihr Baby
mitnahm. Die Ratsuchenden schätzten das, weil die Geistliche selber mitten im
Leben stand und so ganz praktisch beraten konnte.
Zum
echten Reformieren erweckt
Die
Autorin hinter der Doku, Christina Caprez, schilderte Livenet gegenüber wichtige
Stationen des geistlichen Lebens von Greti Caprez-Roffler: «In ihrer Jugendzeit
war meine Grossmutter eine stark Suchende, sie zweifelte an ihrem Glauben, das
Gebet war kaum Teil ihres Alltags. In den 1930er Jahren, mit Ende Zwanzig, kam
sie in Zürich in Kontakt mit der Oxford-Bewegung, einer christlichen
Erweckungsbewegung um den Pastor Frank Buchman, die auch in Zürich unter
konservativen Akademikerinnen und Akademikern regen Zulauf fand. Meine Grossmutter hatte dort
ein Glaubenserlebnis und wurde fortan frommer, sie betete z.B. regelmässig und
hielt 'erbaulichere' Predigten – was bei ihren liberalen Eltern (auch ihrer
Mutter, der Pfarrfrau) auf wenig Verständnis stiess.»
Starre
Strukturen durchbrechen
Schon
vor dieser Berührung hatte sie die Kraft und Persönlichkeit zu revolutionären
Taten. Und hier kam eine neue Dimension in ihr Leben. Ebenso
gab sie Kurse, um Skihosen für Damen anzufertigen, was bei schneereichen Wintern
eine Erlösung war. Auch half sie mit, dass Mädchen und Buben dasselbe lernten,
zumindest in der eigenen Familie: Die Knaben strickten beispielsweise Socken. Die
Leiterfigur machte sich jedoch auch in ihren strengen, fixen Vorstellungen von
Erziehung bemerkbar; wie beispielsweise, dass Gott Rechenschaft über jede
«unnütze» Minute fordere.
Zwischen
Kanzel, Kantonsheim und den Kindern
Eine
Wende geschah, als ihr Mann sich ebenfalls entschied, Theologie zu studieren. Der
Trennungsschmerz wurde zu gross, und so zogen sie in Zürich zusammen, wo Greti
Caprez sogar Pfarraushilfen in Gemeinden ausüben konnte. Sie
erkannte beispielsweise, dass der Vater mehr in der Familie zurück sein, mehr
Zeit für Frau und Kind, mehr Mensch sein solle. Die
Herren von Chur taten das ihrige dazu, dass sich die Pfarrerin nicht willkommen
fühlte und wegzog. Grosse Präsenz hatte der vermeintliche Skandal einer Dorfpfarrerin
auch in den Zeitungen der ganzen Nation und wurde heiss diskutiert.
Es
folgten Anstellungen im Bündnerland und wiederum in Zürich, die sie näher
zusammenrücken liessen. So wurde Greti Caprez-Roffler nicht nur Pfarrhelferin,
sondern aktive Seelsorgerin und ebenbürtige Gefährtin ihres Gatten. Mit
der Geburt des sechsten Kindes fragte sie: «Warum willst du, Gott, mehr Kinder
als wir Menschen sie wollen?»
Offiziell
ordiniert
Dann
die Weihe: Als fünffache Grossmutter wurde Greti Caprez-Roffler 1963 im Zürcher
Grossmünster ordiniert. Glücklich
zogen sie nach Graubünden, wo ihr Traum endlich Wirklichkeit wurde. Mit ihrem
Gian zusammen bekleideten sie eine Pfarrstelle im Job-Sharing. Nur schon
dieses Wort existierte damals höchstens in weiter Ferne. Als
Pensionierte kehrte sie an den Ort des Aufbruchs zurück und diente, diesmal mit
ihrem Mann, als Stellvertretung für zwei Jahre der Gemeinde Furna.
Zuversicht
vom Zufluchtsort
Trotz
der vielen Widerstände fand sie immer wieder Zuversicht, um ihren Weg zu
gehen. Das Gebet war ein wichtiger Zufluchtsort. «Der
Glaube war auf jeden Fall eine immense Kraftquelle für sie, ohne die sie die
vielen Rückschläge nicht hätten verkraften können. Umgekehrt könnte man auch
kritisch sagen: Sie floh sich in den Glauben, weil sie an der Welt so
verzweifelte», so die Enkelin Christina Caprez.
Datum:
25.03.2021 Autor: Roland Streit Quelle: Livenet
Kommentare
Submitted by pisteuo on 26. März 2021 - 7:26.
Es besteht kein Zweifel darüber, welchem kirchlichen Segment Greti Caprez heute angehören würde: dem pietistischen, christlich-konservativen, evangelikalen (oder welches Etikett auch immer). Es darf darüber spekuliert werden - sofern es keine Belege gibt -, ob den „Herren in Chur“ dieser Umstand nicht ein grösserer Dorn im Auge war, als dass sie eine Frau war. Deshalb wäre ihre Geschichte nicht nur als benachteiligte Frau, sondern auch als benachteiligte Pietistin zu erzählen. Das würde dann aber nicht mehr so gut zum Seitenhieb gegen die „konservativen Gemüter“ passen.
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