70‘000 ägyptische Christen beteten eine ganze Nacht
Koptische Christen in Kairo
Wenige Wochen vor den Wahlen hat das zerstrittene Ägypten eine bewegende Demonstration christlicher Einmütigkeit erlebt. In der bisher grössten Versammlung beteten Zehntausende von Christen am Stadtrand Kairos durch die Nacht von Freitag auf Samstag.
12 Stunden während einer ganzen Nacht, von sechs bis sechs Uhr, riefen sie Jesus Christus an, lobten Gott und erbaten Frieden und Segen für ihr Land und benachbarte Völker. Auf dem Abhang vor der Höhlenkirche St. Samaan waren gegen 50‘000 koptische, evangelische und katholische Christen versammelt – ein Novum für Ägypten. Tausende weitere Christen folgten der Gebetsnacht auf Leinwänden vor benachbarten Grotten. Eine unabhängige Kairoer Zeitung schätzte die Teilnehmerzahl auf insgesamt 70‘000.
«Jassoua» – eine Viertelstunde lang
Der christliche Satellitenkanal Sat 7 übertrug die zwölf Stunden live. Laut Sat 7 verfolgten Millionen von Christen in Ägypten und der arabischen Welt die Sendung; viele schlossen sich vor dem Fernseher stehend im Gebet den Versammelten an. Morgens nach fünf, als manche Zuschauer am Einnicken waren, wurden sie geweckt durch den von Klatschen begleiteten Ruf «Jassoua» (ägyptisch für «Jesus»), der eine volle Viertelstunde dauerte.
Initiative junger Christen
Die Initiative zur Gebetsnacht hatten junge Christen zwei Wochen zuvor ergriffen und übers Internet eingeladen. Koptische Priester übernahmen die Verantwortung, führten in die Anbetung, beteten und predigten. Im Kontrast zur letzten Protestdemo am 9. Oktober 2011, bei der 26 Christen getötet worden waren, hatte die «Nacht des Gebets und der Rückkehr zu Gott» ein geistliches, versöhnliches Gepräge. Politiker und Prominente bekamen keine Bühne. Die Priester betonten, dass die Christen ihre muslimischen Brüder lieben.
«Gott liebt alle Ägypter»
70'000 Teilnehmer bei Gebetsnacht in Kairo
Im Vordergrund der Predigten stand der Aufruf zur Umkehr, weg vom Egoismus zu einem hingegebenen, geheiligten Lebensstil. Die Christen sangen Anbetungslieder, die die junge Generation über alle Konfessionen hin verbinden. Sie beteten vor den Wahlen für ihr tief verunsichertes, politisch zerrissenes Land, in dem die Aufbruchstimmung des Frühlings der Resignation über Machenschaften der Militärs weicht. Sie proklamierten in Gebeten und Liedern die Liebe von Gott für alle Ägypter, brachten ihr Verlangen zum Ausdruck, dass Gott das Land segnen möge, und beteten für die Armee und den herrschenden Militärrat.
Solidarität mit Christen in den Dörfern
Die grosse Versammlung drückte auch die Solidarität der Christen der 18-Millionen-Metropole mit den bedrängten Brüdern und Schwestern in den Dörfern Oberägyptens und des Nildeltas aus. Ein Priester aus Syrien berichtete von der Angst seiner Landsleute. Im Lauf der Nacht kamen auch die Christen am Golf und auf der Arabischen Halbinsel in den Fokus des Gebets.
Wegweiser für die Mitbürger
Mit der Versammlung, so der Eindruck vor Ort, haben sich die Christen als geeinte, friedliche Kraft für den Weg zu einem besseren Ägypten präsentiert. Dies lässt sich laut George Makeen vom Sender Sat 7 auch am Medienecho ablesen. Der koptische TV-Kanal übernahm die Sendung von Sat 7, zwei unabhängige TV-Stationen in Kairo strahlten Ausschnitte der Gebetsnacht aus. Sie wurde mit der Versammlung der Pilger in Mekka verglichen. Andere, auch islamistische Medien, erwähnten die christliche Gebetsnacht.