Livenet sprach mit Wilf Gasser, Johanna Bernhard und
Boris Eichenberger darüber, was eine gesunde Lehre ausmacht und wie wir uns
vor Irrlehren schützen können.
Livenet-Talk mit Florian Wüthrich, Boris Eichenberger, Johanna Bernhard und Wilf Gasser
Während Krisen wie der
aktuellen Coronazeit sind viele Menschen verunsichert und dadurch offener für
neue Gedanken. Livenet sprach mit drei Gästen über gesunde Lehre und Irrlehre.
Jesus als
chinesische Frau wiedergekommen?
Wilf Gasser
Wilf Gasser, seit 2008 Präsident
der Schweizerischen Evangelischen Allianz und Teil des Leitungsteams der Vineyard
Bern, wurde gleich zu Beginn des Talk zu seiner Meinung über «Die Kirche des
Allmächtigen Gottes», die in sozialen Medien sehr aktiv ist, befragt. «Eine
markante Eigenschaft dieser Gruppe ist, dass sie sich primär auf Christen
ausrichtet, um diese von der eigenen Überlegenheit zu überzeugen.» Die Kirche
des Allmächtigen Gottes behaupte, Jesus sei in Gestalt einer chinesischen
Frau bereits zurückgekehrt. «Hier sollten eigentlich schon alle Alarmleuchten
angehen.»
Boris Eichenberger ist
Studienleiter beim IGW (Master of Advanced Studies in Praktischer Theologie) und
Pastor der Vineyard Aarau. Er warf den Gedanken auf, dass solche Lehren
populär werden, weil in diesseitig orientierten Gemeinden wenig über die
biblischen Aussagen der Wiederkunft Jesu gesprochen wird.
Kompetente
Theologen oder mündige Christen?
Johanna Bernhard war Pastorin
der FEG Düdingen und bereitet sich aktuell auf ein Pfarramt vor. «Ich habe eine
Sehnsucht nach mehr theologischer Erkenntnis und bewege mich Schritt für
Schritt vorwärts.» Sie sieht ein Spannungsfeld im Anliegen, Gläubige als
mündige Christen zu behandeln und gleichzeitig auf ihr Bedürfnis einzugehen, sich
an einer Lehre zu orientieren. Wilf Gasser nahm den Gedanken auf: «Dass selbst
langjährige Christen sehr wenig über die Bibel wissen, ist eine Not, die wir
überall auf der Welt kennen.»
Ausführlich erzählte Boris
Eichenberger, wie Christen ins Gespräch über Bibeltexte kommen können. Er
glaubt, dass Bibelgespräche zum Kennenlernen von Gottes Wort wichtig sind. Wilf
Gasser pflichtete bei: «Die beste Prävention gegen Irrlehre ist, wenn Christen
lernen, selbst die Bibel zu lesen und darüber zu sprechen.»
Was ist
denn eigentlich eine gesunde Lehre?
Wodurch unterscheidet sich
eine «gute Lehre» eigentlich von einer «Irrlehre»? Bei der Aussage, Jesus sei in
Gestalt einer chinesischen Frau wiedergekommen, ist das einfach – dies
widerspricht klar biblischen Aussagen. Oft ist es aber schwieriger. «Für mich
muss eine Lehre lebensfördernd sein», erklärte Johanna Bernhard. «Sie muss
Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen abholen können.»
Boris Eichenberger (Bild: Vineyard Aarau)
«Meistens, wenn wir von
Irrlehre reden, liegt eine einseitige Betonung vor», sagte Wilf Gasser und wurde darin von Johanna Bernhard bestätigt. Als Beispiel erwähnte sie einseitige Aussagen
wie «Gott beantwortet jedes Gebet», welche bei einzelnen Christen immer
ernsthafte Fragen hervorrufen. «Die Bibel ist wie ein Abbild unseres Lebens», erklärte
Boris Eichenberger. Für jede Lebenssituation fände sich irgendwo ein Text und
deshalb gälte es, nicht nur einzelne Aussagen, sondern die Bibel als Ganzes zu betrachten.
Alle Gesprächspartner waren sich
einig, dass eine gesunde Theologie Raum für Fragen lassen muss. Wir müssen
demütig anerkennen, die Wahrheit nie vollends erfassen zu können.
Wir müssen
lernen!
Ein klarer Konsens des
Livenet-Talks war: Wir müssen lernen! Dieses Lernen bezieht sich einerseits aufs
Kennen der Bibel, andererseits darauf, uns in einer pluralistischen Welt gut zu verhalten.
Wilf Gasser: «Als Christen müssen wir lernen, unsere Verantwortung wahrzunehmen
– in einem respektvollen und liebevollen Ton.» Boris Eichenberger bedauerte, wie
lieblos Christen zuweilen daherkommen. «Es tut mir weh, wenn Menschen würdelos
behandelt werden.» Konkret sprach er die ganze Diskussion über die «Ehe für alle»
an. «Natürlich sollen wir unsere Meinung vertreten. Trotzdem soll die Würde
Andersdenkender gewährt sein. Ich wünsche mir, dass wir Christen zu einem
besseren Ton finden.»
Auf keinen Fall möchte Boris
Eichenberger für das Wohlstandsevangelium oder Hyper Grace werben. «Doch auch
diese Strömungen haben viel Gutes gebracht.» Er liebe Vielfalt und
Spannungsfelder in der Christenheit und plädierte zum gegenseitigen Zuhören. Auch
Johanna Bernhard ist überzeugt, dass wir gerade durch den Dialog mit
Andersdenkenden bereichert werden können. Wenn wir die eigene Meinung reflektieren,
können wir selbst zu einer neuen oder gefestigten Position kommen.
Fazit
Wir sollten nicht wie
Kammerjäger werden, welche die Verkündigung anderer nach allfälligen Fehlern
unter die Lupe nehmen. Stattdessen gilt es, sich in Gottes Wort zu vertiefen
und zu lernen, anderen zuzuhören und den eigenen Standpunkt respektvoll zu
vertreten.