Die einzig richtige Art, um mit einer ausgestreckten
Hand und der Bitte um Geld umzugehen, gibt es nicht. Aber es lohnt sich,
darüber nachzudenken, wie wir uns sinnvoll verhalten können – und wie die
ersten Christen Bettlern begegneten.
Ich bin wahrscheinlich typisch in meinem Umgang mit
bettelnden Menschen: Mich überfällt dabei eine grosse Hilflosigkeit, gepaart
mit Schuldgefühlen. Manchmal amüsiere ich mich allerdings auch über kulturelle
Unterschiede, so wie neulich, als ich aus Deutschland in die Schweiz fuhr. Am
Frankfurter Hauptbahnhof fragte mich ein Obdachloser: «Haste mal’n Euro?»
Stunden später in Zürich lautete die Frage seines Schweizer Kollegen: «Kannst
du mir zehn Franken geben?»
Nein, das ist nicht allgemeingültig! Aber es hilft mir
zu verstehen, dass Betteln unterschiedliche Gesichter haben kann. Craig
Greenfield, ein Missionar, der in einem kambodschanischen Slum lebt, hat zehn hilfreiche Gedanken zum Umgang mit Betteln formuliert, die er «auf die harte Art gelernt» hat. Petrus, der
neutestamentliche Apostel, kannte die Armut in und um Jerusalem gut. Er steuert
seine Erfahrungen aus der Begegnung mit einem Bettler bei, siehe Apostelgeschichte, Kapitel 3.
1. Die Beziehung suchen
Es ist eine Sache, jemandem ein Geldstück aus dem
Autofenster zu reichen, während man an der Ampel wartet, und eine andere, sich
mit ihm zu unterhalten oder neben ihn zu setzen. Als Petrus einem Bettler
begegnete, «blickte er ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an!», siehe Apostelgeschichte, Kapitel 3, Vers 4. Dieses
Anerkennen der Menschlichkeit des anderen ist ein guter Start.
2. Lieber Pizza als Bargeld
Ein grosses Problem, das zum Betteln führen kann, ist
Sucht. Um diese nicht zu finanzieren, kann es hilfreich sein, dem Gegenüber ein
Stück Pizza oder ein Busticket zu kaufen – oder ihn nach Hause zum Essen
einzuladen, falls das möglich ist. Auch Petrus stellte schon zu Beginn klar: «Silber
und Gold habe ich nicht», siehe Vers 6. Unsere Gesellschaft ist schnell dabei, Probleme mit Geld lösen zu wollen.
Manchmal ist das genau richtig, manchmal gibt es allerdings einen besseren Weg.
3. Jede Situation ist anders
Craig Greenfield sagt: «Ich gebe bettelnden Menschen
in Asien sehr oft Geld. Jakarta, Kalkutta, Bangkok, Phnom Penh sind voll von
Menschen, die nicht so sehr mit Suchtproblemen zu kämpfen haben, sondern
vielmehr mit chronischer systemischer Armut. Es gibt kein staatliches
Sicherheitsnetz.» Gerade mit Kenntnis der Situation können Geld und
Lebensmittel eine echte Hilfe sein.
4. Anerkennung für Senioren
Wenn ältere Menschen in ihren letzten Lebensjahren
gezwungen sind zu betteln, hat das etwas Endgültiges: Sie werden keine
Umschulung mehr bekommen. Wenn sie bis jetzt keine Rente erhalten, dann werden
sie wohl auch in Zukunft keine bekommen. Was braucht ein mittelloser, von
Armut, Arbeit und Krieg gezeichneter Mensch? Vielleicht jemanden, der ihm einen
besseren Tag ermöglicht.
5. Anstrengungen würdigen
Manche Bettler bieten etwas an, Selbstgebasteltes oder
Blumen, oder sie machen Musik. Wer diesen Menschen etwas dafür gibt, muss ihr
Flötensolo nicht mögen oder ihr Bild aufhängen, aber er verleiht ihnen die
Würde, von ihrer Arbeit zu leben.
6. Kein Geld für Kinder
«Es mag herzlos klingen, aber nachdem ich jahrelang
mit Kindern in den Slums gelebt und gearbeitet habe, die zum Betteln geschickt
werden, habe ich eingesehen, dass es normalerweise nicht hilfreich ist, Kindern
auf der Strasse Geld zu geben.» Damit spricht Greenfield die Probleme an, dass
man quasi Familien dafür bezahlt, Kinder nicht zur Schule zu schicken oder
sogar Menschenhandel unterstützt. Lässt sich vielleicht ein Weg finden, der
ganzen Familie zu helfen? Alternativ kann man ihnen etwas zu essen kaufen – und
versuchen herauszuhören, ob sie in Gefahr sind.
7. Betteln ist nur ein Symptom
Niemand bettelt zum Spass! Manche Menschen gewöhnen
sich vielleicht daran und sind abgehärtet gegen die Demütigung, doch
tatsächlich ist Betteln nur ein Symptom für viel tiefere Probleme: Armut,
Ungerechtigkeit, Sucht oder Krankheit. Meist gibt es hier keine schnelle und
einfache Problemlösung. Petrus bot seinem gegenüber vor dem «Schönen Tor» mehr
als Geld: nämlich Würde, Heilung und Gemeinschaft, siehe Apostelgeschichte, Kapitel 3, Vers 6, doch solch ein Angebot braucht in der Regel Zeit und Engagement – und manchmal
ein Wunder!
8. Liebe zeigen
Was die Begegnung mit einer bettelnden Person
anstrengend und gleichzeitig bedeutsam machen kann, ist die Frage: Wie kann ich
diesem Menschen jetzt Gottes Liebe zeigen? Darauf gibt es keine
Standardantwort, aber wieso sollte Gott solch ein Gebet nicht beantworten?
Greenfield meint: «Vielleicht inspiriert der Geist Sie im Laufe des Gesprächs
zu etwas Kreativem. Beten Sie, dass Gott Ihnen Augen schenkt, um die Menschen
so zu sehen, wie er es tut, und anschliessend den Mut, entsprechend zu handeln.»
Bei Petrus äusserte sich dies in einer einfachen und liebevollen Geste: «Und er
ergriff den Bettler bei der rechten Hand und richtete ihn auf», siehe Vers 7.
9. Begrenzte Möglichkeiten
Bis darauf, jemand anderem ein Stück weit zu
begegnen und ihm Achtung und Liebe zu zeigen, lässt sich nur wenig tun. Das
eigene Helfersyndrom mag fordern: Du musst hier aktiv werden und etwas ändern!
Doch Tatsache ist, dass wir die Welt nicht retten werden. Trotzdem verändert
jedes Würdigen eines anderen die Gesamtsituation. So wie bei Petrus, als er den
ehemaligen Bettler selbstverständlich in den Tempel mitnahm, der diesem bis
dahin verschlossen war, und tatsächlich «trat er mit ihnen in den Tempel, ging
umher und sprang und lobte Gott», siehe Vers 8. «Dies ist einer der oft übersehenen Aspekte dieses Wunders. Er zeigt die Kraft
radikaler Gastfreundschaft», unterstreicht Greenfield.
10. Der Segen von Störungen
Eines der Hauptprobleme beim Umgang mit Betteln wie
auch dem Begegnen von menschlicher Not überhaupt ist, dass dies nicht in den
eigenen Zeitplan passt. Es stört. Eine Untersuchung mag zeigen, wie paradox die
Auswirkungen davon sein können: Studierende an einer theologischen
Ausbildungsstätte sollten eine Predigt über den barmherzigen Samariter
vorbereiten. Dazu sollten sie in ein anderes Gebäude wechseln, und es wurde
ihnen gesagt, dass sie bereits spät dran seien. Auf dem Weg dorthin mussten sie
an einem Mann vorbeigehen, der in sich zusammengesunken am Boden lag. Trotz
ihres Predigtthemas eilten die meisten vorbei, denn unter Zeitdruck beerdigt
man gute Absichten und gute Theologie. Petrus hatte ebenfalls einen «Termin»,
doch seine Augen waren trotzdem offen, weil er wusste, dass Störungen manchmal
keine Störungen sind, sondern der eigentliche Dienst.
Noch einmal: Es gibt keine Standardantworten auf Armut
und keine optimale Reaktion auf Betteln, aber wer sich bewusst macht, dass dies
Gelegenheiten sind, Menschen Gottes Liebe zu zeigen, und darüber nachdenkt, wie
das geschehen kann, der ist auf einem guten Weg. Trotzdem sprechen die
Evangelien darüber, dass Menschen staunen werden, wenn sie einmal von Jesus
selbst zu hören bekommen: «Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.» (Matthäus, Kapitel 25, Vers 35)