Ist Zweifeln im christlichen Glauben erlaubt? Darf
man enttäuscht sein, auch über eine – vielleicht gar nicht eingetroffene –
Antwort von Gott, seinem Frust freien Lauf lassen?
Die Bibel selbst
schenkt auf diese Fragen eine Antwort – oder, besser gesagt, ein Buch der
Bibel, nämlich die Psalmen. In wohl kaum einer Liedersammlung haben die
unterschiedlichen Autoren ihre Gefühle so offen dargelegt wie hier. Es geht von
überschwänglicher Freude über Trauer und Enttäuschung bis hin zu knallharter
Wut – und diese Gefühle betrafen oft auch ihren Glauben an Gott. Doch die
Liederdichter gingen mit ihren Glaubenszweifeln nicht zum Nachbarn, mit der Wut
über ihre Feinde nicht zur Polizei, mit der Enttäuschung über Gottes
Nichteingreifen nicht zum guten Freund. Nein, sie gingen direkt zu Gott.
Völlig ehrlich
Da schreibt
David: «O Gott, hörst du nicht meinen Hilfeschrei?» Psalm 4, Vers 2a oder inPsalm 6: «Herr, du lässt mich deinen Zorn spüren. Ich flehe dich an: Strafe mich
nicht länger! Hab Erbarmen mit mir, Herr, ich kann nicht mehr!» In Psalm 10
heisst es: «Herr, warum bist du so weit weg? Warum lässt du uns im Dunkeln
umherirren, wenn wir dich am nötigsten brauchen?» oder in Psalm 13: «Herr, wie
lange wirst du mich noch vergessen, wie lange hältst du dich vor mir verborgen?
Wie lange noch sollen Sorgen mich quälen, wie lange soll der Kummer Tag für Tag
an mir nagen?»
Hier geht es nicht um hochpoetische Lieder, sondern um einen
krassen Alltag, in dem die verschiedenen Autoren nicht mehr weiter wussten und
zu Gott schrien – manchmal vielleicht gar nicht davon überzeugt, ob er sie
überhaupt hörte. Genau wie wir heute.
Gott kann unsere Gefühlsausbrüche aushalten
Wenn diese Lieder
in Gottes Wort selbst verzeichnet sind, zeigt das ganz klar: Auch Zweifeln ist bei
Gott erlaubt. Sich ärgern, die Enttäuschung rauslassen. Gott ist grösser als
unsere Gefühle oder Gefühlsausbrüche. Und noch mehr: Er liebt jeden von uns so
sehr, dass er sich nichts sehnlicher wünscht, als dass wir auch mit unseren
Enttäuschungen und unserem Frust zu ihm kommen anstatt zu anderen Menschen zu
laufen – selbst wenn sie ihn betreffen. Denn wenn wir zu ihm kommen, uns ihm
öffnen, dann hat er die Chance, uns zu trösten, uns neue Kraft zu geben, in
Situationen einzugreifen und uns zu zeigen, dass er sehr wohl hört und sehr
wohl helfen will – wenn wir ihn nur lassen.
Von Enttäuschung zu neuer Zuversicht
Noch etwas
Interessantes, das wir von den Psalmen bzw. ihren Autoren lernen können. Fast
jeder Psalm, der in Enttäuschung, Verzweiflung oder Angst beginnt, endet im
Dank oder in der Zuversicht, dass Gott eingreifen wird. Nehmen wir noch einmal
die Beispiele von oben. Psalm 4 endet mit den Worten: «Und wirklich: Du hast
mich wieder froh gemacht. […] Ich kann
ruhig schlafen, auch wenn kein Mensch zu mir hält, denn du, Herr, beschützt
mich.» Oder Psalm 6, in den vorletzten Versen: «…denn der Herr hat meine Tränen
gesehen! Er hat mein Schreien gehört und mein Gebet angenommen.» Und Psalm 13
endet so: «Ich aber vertraue auf deine Liebe und juble darüber, dass du mich
retten wirst. Mit meinem Lied will ich dich loben, denn du hast mir Gutes
getan.» Wer sich Gott im Gebet öffnet, ihm allen Frust und alle Zweifel und
Ängste offen darlegt, der kommt früher oder später an den Punkt, an dem er
einfach ruhig wird vor Gott, ihm plötzlich wieder neu vertraut oder ihm einfach
danken kann für das, was er hat.
Haben Sie Zweifel
am Glauben? Dann bringen Sie diese zu Gott. Sind Sie enttäuscht, weil er nicht
eingegriffen hat? Seien Sie ehrlich mit ihm. Fühlen Sie sich von Gott verlassen
oder zweifeln daran, dass er Sie überhaupt hört? Rennen Sie nicht von ihm weg,
sondern laufen Sie zu ihm. Er kann es aushalten. Er möchte Sie begleiten – und Sie zu einer neuen Gewissheit und Zuversicht führen.