Junge Muslime suchen gezielt und kritisch ihren eigenen Weg im Umgang mit ihrer Religion. Das zeigt die aktuelle Studie «Imame, Rapper, Cybermuftis» auf. Die Studie entstand unter der Leitung von Martin Baumann, Professor für Religionswissenschaft an der Universität Luzern.
Junger Muslim in Moschee
Am meisten überrascht hat die an der Studie mitbeteiligte Religionswissenschafterin Silvia Martens die Feststellung, wie wenig wichtig Internetprediger für die muslimischen Jugendlichen in der Schweiz sind. «Viel wichtiger sind Personen aus dem Nahbereich, also Eltern, Freunde oder Bekannte, die sich im Islam auskennen.» An sie wendeten sich Jugendliche bei Fragen in erster Linie. Martens bezeichnet diese Erkenntnis beruhigend, gerade in Bezug auf den Einfluss radikaler Prediger. Nicht alle Internetprediger seien aber als problematisch einzuschätzen, relativiert sie.
Radikale Positionen als Randerscheinung
Silvia Martens
Noch beruhigender ist für Martens aber eine weitere Erkenntnis aus dem Forschungsprojekt: Die Jugendlichen ziehen bei offenen Fragen nicht nur eine Person zu Rate. Vielmehr konsultieren sie verschiedene Informationsquellen, vergleichen sie und entscheiden dann, was für sie gut ist. Das verringere den Einfluss einer einzigen Person auf die Jugendlichen, betont die Wissenschafterin.
Radikale Positionen sind in der Studie vereinzelt aufgetaucht. «Doch das ist eine Randerscheinung,» so Martens. Oft handle es sich um eine alterstypische Suche nach dem eigenen Platz in der Gesellschaft, wenn einzelne Muslime radikale Prediger attraktiv fänden. Vielleicht wolle der oder die Jugendliche damit provozieren, so Martens. Doch das könne sich schnell ändern.
«Im Allgemeinen pragmatisch»
«Die muslimischen Jugendlichen sind im Allgemeinen pragmatisch bei der Umsetzung ihrer religiösen Praktiken», sagt Martens. Sie empfänden das Leben als Muslime in der Schweiz gelegentlich als Herausforderung, suchten aber nach Lösungen – und fänden diese meist auch. «Ihre Zukunft sehen sie in der Schweiz», so Martens. Denn sie schätzten das Land aus vielen Gründen, auch wegen der persönlichen Freiheiten und der beruflichen Möglichkeiten.
Genügen 61 Interviews?
Den Beteiligten war es ein Anliegen, ein differenzierteres Bild über jugendliche Muslime zu vermitteln, als dies die Medien tun. Für die Studie wurden allerdings nur 61 muslimische Frauen und Männer zwischen 15 und 30 Jahren befragt, deren religiöses Profil von nicht praktizierend bis hin zu umfassend praktizierend reicht. Ob diese Anzahl reicht, um einen repräsentativen Querschnitt über die Ausrichtungen und Probleme muslimischer Jugendlicher in der Schweiz zu beschreiben? Die Studienautoren betonen, dass sie die Befragten in einem aufwändigen Prozess sorgfältig ausgewählt hätten.
Neben Silvia Martens und Martin Baumann beteiligten sich auch Jürgen Endres und Andreas Tunger-Zanetti am Forschungsprojekt. Dieses wurde von der Stiftung Mercator Schweiz mit 412’000 Franken unterstützt. Die Erkenntnisse aus der Studie bieten die Forscher in Form von Weiterbildungen für Fachleute an.