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Wohl die meisten Christen fragen sich: Sind die Ideen, Gedankenblitze, Fantasien ... in mir von Gott, der sich in Erfahrung bringt, oder bin ich es nicht vielmehr selbst, der solche Situationen und Zeichen „auf Gott hin deutet“?
Wenn ich in der Bereitschaft zum Hören und zur Lebenshingabe ehrlich und wahrhaftig nach dem Willen Gottes frage1, dann ist Gottes Heiliger Geist in mir am Werk. Denn niemand besitzt die Bereitschaft zum gläubigen Hören und den Willen, sich Gott zur Verfügung zu stellen, von sich aus. Es sind die Wirkmacht des Wortes Gottes und die Gnade des Heiligen Geistes in uns, welche sich bei uns Raum verschaffen. Das „Ich“ in mir ist also immer mehr als nur meine Person allein.
Hier einige Hinweise für die Praxis des Hörens:
1. Lektüre der Bibel, die ja in einmaliger Weise Wort Gottes ist. Ähnlich auch die Auseinandersetzung mit Predigten, geistlichen Gesprächen oder die Beschäftigung mit dem Leben von Heiligen. Von all dem geht eine Botschaft aus, die in der hörenden Bereitschaft: „Gott, was willst du mir damit sagen“? erst noch zu entziffern ist. Das Urbild hörenden Glaubens ist Maria. Sie hört auf Gottes Wort, fragt nach, bewegt es in ihrem Herzen, lässt es wachsen und bringt es zur Welt. Sie versteht das Wort, weil sie aus ihm, mit ihm und in ihm lebt2.
2. Mit allem Ernst aufmerksam Tag für Tag fragen: Wo, in welchen Ereignissen und Begegnungen liegt ein Anruf Gottes verborgen? So oft sagen wir: es geschieht so viel; es passiert ... Fragen wir uns: Wo wird das „Es“ zum „Du“ Gottes? Machen wir uns die Blick- und Hörweise Jesu zu eigen. Er sah in der Schönheit der Lilien auf dem Feld und in der Nahrung, welche die Vögel des Himmels finden3, ein Zeichen für die Sorge und Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen. Aktuelle Tagesereignisse wie eine politische Mordtat oder der Zusammenbruch eines Turmes4 vernahm Jesus als Anruf Gottes, der damit die Menschen zur Umkehr bewegen will. So waren Welt und Geschichte für Jesus durch und durch transparent für Gottes Stimme und Ruf.
3. Von Zeit zu Zeit ist es gut, längere Gebetszeiten zu halten. Die folgende Gliederung hat sich bei vielen Christen bewährt: 10 Minuten pro Tag, 1 Stunde pro Woche, 1 Tag pro Monat, 1 Woche pro Jahr. Es ist sehr wertvoll, nicht nur kurze Momente der Stille, sondern auch längere Stille-Zeiten zu pflegen. Dabei zeigt die Erfahrung, dass diese bewusst geplant werden müssen. Zunächst kommen einem dann ganz viele Gedanken, Ideen, Dinge, die man noch hätte tun wollen... Doch mit der Zeit wird man leer. Und es kommen Stimmen auf. Fragt sich jetzt nur: Welche dieser Stimmen ist Gottes Stimme? Wo spricht in all dem Gott, wo ist Gottes Heiliger Geist am Werk?
Allein die Stimme, die sich auf ein Wort der Heiligen Schrift, insbesondere auf ein bestimmtes Verhalten oder eine konkrete Weisung Jesu zurückführen lässt, ist unter den vielen anderen Stimmen die Stimme Gottes.
Kyrilla Spiecker, eine katholische Ordensfrau, sagt: „Wenn ich Gefahr laufe, den Herrn zu verraten, frage ich mich, ob ich den Herrn in unser Beisammensein einladen will oder ob er unerwünscht ist. Dann habe ich Klarheit5.“ Und ich ergänze hier: In den Fragen, wo er wahrscheinlich sagen würde: „Das spielt keine Rolle“ kann ich auch getrost „meinen Weg“ gehen. Eine Leitfrage für mich persönlich ist: Stimmt die Richtung? Stimmt wenigstens die grobe Richtung: auf Gott hin – oder führt sie eher von Gott weg?
Charakteristisch für den Ruf Gottes ist Gehorsam – gehorsam bis in den Tod. Gottes Ruf ist daher oft nicht bequem, unsere Trägheit und Bequemlichkeit fördernd. Er wird mich nicht in meiner Ichsucht bestätigen. „Das Leben verlieren, um es zu gewinnen“ ist typischer. Oft macht uns Gottes Wille demütiger und kleiner. Deshalb wird die Stimme Gottes sich oft nicht in die eigenen Wunsch- und Zielvorstellungen und auch nicht in die Vernünfteleien und Plausibilitäten der Zeit einfügen, sondern quer dazu stehen. Wie beim Ruf an Abraham: Zieh’ fort, bleibe nicht, wo du bist, handle anders6!
Gottes Stimme ist vernünftig. Achtung: Vernünftig heisst nicht „so wie alle anderen“! Gottes Handeln ist vielen zum Ärgernis geworden. Die Vernunft des Evangeliums ist „höher als alle Vernunft“ (der Menschen). Doch deswegen ist Gottes Ruf nicht wider alle Vernunft. „Gott lenkt alle Dinge so, dass er die in ihnen angelegte und ihnen gegebene Natur und deren Dynamik sich verwirklichen lässt“ (Augustinus).
Gottes Stimme ist die einzige Stimme im Gewirr, die aus einer guten, lichten Ursache erwächst, auf ein helles Ziel hinlockt und dafür gute Mittel empfiehlt. Ausschlaggebend ist dabei oft die innere Haltung. Meist mischen sich auch viele unlautere, „böse“ Beweggründe unter die guten. Das lässt sich nicht verhindern. Dennoch sollten wir in diese Richtung gehen! Auch wenn Unreines und Unfertiges darin mitgeht. Gottes Stimme zeichnet sich dadurch aus, dass sie „rundherum“ in einem guten Kontext steht.
Gott ruft immer dahin, wo man letztlich Trost, Freude, Zuversicht und Hoffnung findet. Im Letzten und Tiefsten weiss ich: So ist es gut, so ist es recht, so soll es sein! Gottes Stimme stürzt nicht in Sorge, Unruhe und Angst. Das Evangelium ist ja die Botschaft der Freude. Gott will uns zur Lebensganzheit führen. Leben in der Nachfolge Christi heisst „ganz werden“. Ignatius von Loyola: „Vor einer wichtigen Entscheidung soll man sich selbst gleichsam in seiner Todesstunde vorstellen und fragen, welche Entscheidung man aus dieser Sicht getroffen haben möchte.“ Wir sollen einen Blick fürs Ganze entwickeln. Nicht aus der Stimmung des schnelllebigen Augenblicks handeln. Achtung: Letztlich und im Tiefsten Freude finden heisst nicht, dass uns Gottes Ruf zunächst nicht gewaltig erschrecken und in Angst versetzen kann. Umgekehrt formuliert: Wer glaubt, einen Ruf von Gott gehört zu haben und doch darüber niemals wirkliche Freude, innere Ruhe und Gelöstheit empfindet, muss sich sagen: Ich habe mich getäuscht, hier kann nicht Gottes Geist am Werk gewesen sein.
Gottes Ruf überfordert mich nicht. Tue vielleicht nicht gleich das „Ganze“. Geh’ einen Schritt in die Richtung, wohin es dich treibt. Lass dich dabei ein wenig mehr vom Evangelium treffen als vordem, ja tue vielleicht sogar ein wenig mehr als du glaubst, du habest die Kraft dazu. Dann wird sich zeigen, ob dieser erste Schritt trägt, ob du – im Sinne von Regel 4 – dabei Freude, Trost und Frieden findest. Und dann magst du weitergehen. Keine falsche Radikalität! Hugo von Sankt Viktor: „Beim rechten Handeln sind zwei Übel zu vermeiden: Traurigkeit und Stress.“ Traurigkeit entsteht, wenn man sich mit dem, was man nicht gut kann, ungeduldig abquält. Stress entsteht, wenn man das, was man gut kann, über alle Massen betreibt. Traurigkeit führt zur Bitterkeit, Stress zu Oberflächlichkeit. Gemeinsame Wurzel von Traurigkeit und Stress aber ist die falsche Radikalität.
Gottes Stimme ist immer konkret. Das heisst: Sie ruft in meine konkrete Situation hinein und will diese in Bewegung bringen. Gott meint immer mein Hier und Jetzt. Sein Wort betrifft nicht eine irreale Situation, meint nicht eine
Zukunft „irgendwann einmal“, bringt mich nicht ins Träumen „Es wäre schön, wenn ...“. Gedanken, die sich nur auf das aus der jetzigen Situation Herausträumen beziehen wie z.B. „Wenn ich nicht mehr hier wäre...“ oder „Wenn ich eine andere Arbeit, andere Vorgesetzte, andere Nachbarn... hätte, dann...“ stammen gewiss nicht vom Heiligen Geist. Viele Menschen erwarten viel von einer äusseren Umstellung, z.B. von einem Orts-, Berufs- oder sogar Partnerwechsel. Zunächst geht es aber meistens darum, dass Gottes Ruf nicht zu äusseren Veränderungen, sondern zu einem inneren Perspektiven- und Einstellungswechsel ruft. In Jesus ist Gott konkret geworden. Jesus hat 30 Jahre in einem kleinen „Kaff“ namens Nazareth gelebt. Alltäglichkeit. Banalität. Aufreibendes Einerlei. Über dieses Leben berichten die Evangelisten nur, dass er es geführt hat. Konkretes, alltägliches Leben. Aber Jesus hat es so gelebt, dass er gerade in diesem Nazareth „an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen zunahm7“. Und auch in seinem öffentlichen Leben war das nicht wesentlich anders. Jesus „sprang“ nicht von Situation zu Situation, sondern lebte, wirkte, handelte, heilte und predigte, wo er eben gerade war.
Die Stimme Gottes, die wir zu hören glauben, muss sich – wenigstens in wichtigen Fällen – dem Urteil anderer aussetzen lassen. Wenn wir nicht bereit sind, andere um Rat zu fragen und uns gegebenenfalls mit ihrer Einstellung ehrlich auseinander zu setzen, so ist dies fast immer ein Zeichen dafür, dass wir unseren eigenen Stimmen und Wünschen nachhängen. Rat, Empfehlung, Warnung und Urteil anderer gläubiger Christen sind ein Mittel, aus dem Kreisen um sich selbst und der möglichen Selbsttäuschung herauszukommen. „Christus im Bruder erkennt oft mehr und unterscheidet deutlicher als Christus im eigenen Herzen“ (Dietrich Bonhoeffer).
Diese Regeln aus der christlichen Tradition sollen helfen, hörfähiger zu werden und Gott Antwort zu geben.
Dass Gott schweigt, ist ein Zeichen seines Gott-Seins. Er redet wann, wie und wo er will. Luther spricht vom verborgenen Gott, deus abscunditus. Manchmal entzieht er sich uns. Und es macht dann wenig Sinn, sich endlos zu hinterfragen, warum das wohl so sei.
Anders ist es, wenn man längere Zeit hindurch nie Gottes Stimme hört; wenn alles stumm und leer bleibt, wenn man im geistlich-religiösen Leben nur auf lange schon eingefahrenen Geleisen lustlos weiterfährt. Dann muss man sich ernstlich fragen: Ist es Gott, der schweigt, oder verschliesse ich die Ohren meines Herzens? Man kann Gottes Stimme im selbstgemachten Lärm des Alltags verdrängen und verliert immer mehr die Hörfähigkeit. Das Herz wird immer härter und verliert alle Sensibilität. Man kommt in die Lage des Kapitäns, dessen Schiff so stark aus Stahl und Eisen gebaut ist, dass die Magnetnadel des Kompasses nur noch auf die Eigenmasse des Schiffs selbst zeigt, statt nach Norden. Mit einem solchen Schiff erreicht man kein Ziel. Es fährt nur noch im Kreis und ist der Strömung und dem Wind ausgeliefert. So läuft das Leben leer . Es gilt, Mut zum Neubeginn zu haben und die Lebensübergabe an Gott zu erneuern.
* Dr. Markus Lerchi arbeitet als Chemiker und Ethiker in Zürich und ist als freier Mitarbeiter in der VBG-Berufstätigenarbeit in den Bereichen Pädagogik und Stille/Kontemplation tätig. Viele Gedanken und Zitate dieses Aufsatzes stammen aus dem – vergriffenen – Büchlein: „Gottes Willen tun – Gehorsam und geistliche Unterscheidung“ von Gisbert Greshake, Herder Verlag 1984.
1 Vgl. Samuel: „Rede, Herr, dein Diener hört!“ 1 Sam 3,10
2 Lk 1,26-38; Lk 2,1-20
3 Mt 6,26-28
4 Lukas 13,1-5
5 Kyrilla Spiecker: „Zerreissproben. Nazihaft – Ärztin im Kriegseinsatz – Klosteralltag“.
TOPOS Taschenbücher, 4. Auflage 1998, Seite 102.
6 Vgl. 1 Mose 12,1
7 Lk 2,52
Autor: Markus Lerchi