«Liebe deinen Nächsten wie dich selbst», lautet ein Gebot von Gott. Gerne wird es zitiert, doch oft bleibt es nur bei einer Floskel. Wie erfüllt man die Forderung tatsächlich im Alltag? Jesus gibt ein treffendes Beispiel.
Keine Frage, Nächstenliebe klingt gut, sie sollte jeder praktizieren. Doch wer ist denn eigentlich mein Nächster? Wenn es jeder ist, habe ich ja den ganzen Tag lang nichts anderes zu tun, als mich um alle in meinem Umfeld zu kümmern? Dafür habe ich keine Zeit, auch wenn ich wollte!
Wie so oft findet man eine Antwort bei Jesus Christus. Zur Verdeutlichung erzählte er eine Geschichte, nachzulesen in der Bibel im Lukasevangelium, Kapitel 10, Verse 29-37:
Der barmherzige Samariter
«Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster? Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und liessen ihn halbtot liegen.
Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Strasse hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen auch ein Levit: als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber. Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte er ihn; und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn.
Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir's bezahlen, wenn ich wiederkomme. Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war? Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!»
Erbarmen am Leidgeplagten
Der Nächste ist also einer, der uns in einer misslichen Lage begegnet und unsere Hilfe benötigt. Natürlich erfordern auch Familie, Freunde, Verwandte einen gewissen Pflegebedarf, was man meistens ja auch sehr gerne tut, da sie einem «nahe» stehen. Doch «Erbarmen» erweist man an solchen, um die sich sonst keiner kümmert, welche unbeachtet bleiben oder ausgeschlossen werden. Manchmal braucht es etwas Mut, um sich denjenigen anzunehmen, welche die Gesellschaft bereits abgehakt hat.
Jeder wie er kann
Im heutigen Alltag kann der Nächste etwa ein Aussenseiter in der Schule sein, eine einsame alte Dame im Wohnblock, ein Bettler auf der Bahnhofstrasse etc. Doch bedeutet Barmherzigkeit nun, dass wir einfach jeden überall aufsammeln und glücklich machen müssen? Nein, das wäre unrealistisch, nebst allen anderen Aufgaben, die man privat und beruflich zu erfüllen hat, unmöglich. Doch jeder kann nach seinen eigenen Möglichkeiten und Ressourcen handeln: Den Aussenseiter zur Geburtstagsparty einladen, mit der alten Dame einen Spaziergang unternehmen und mit dem Bettler einen Kaffee trinken gehen - das kostet nur Überwindung und etwas Zeitaufwand.
Wie du mir, so ich dir ...
Warum sollten wir das überhaupt tun? Ist nicht jeder sich selbst der Nächste? Wenn das so wäre, würde eine Gesellschaft nicht funktionieren können. Die Bibel schreibt, dass wir jeden so behandeln sollen, wie wir auch behandelt werden wollen. Jeder braucht Liebe und Aufmerksamkeit, alle kommen irgendwann mal an den Punkt, wo sie Hilfe benötigen. Gegenfrage: Warum sollten wir nicht helfen, wenn die Mittel, Möglichkeiten und Zeit vorhanden sind oder noch mit verantwortbarem Aufwand aufgetrieben werden könnten? Es gibt keinen plausiblen Grund, «untätig» zu bleiben.