Bartimäus, kurz bevor er geheilt wird (Bild: Screenshot Jesusfilm von Inspirational Films)
Jahrelang blind, dann die Chance auf Heilung – aber nein, Gott heilt ihn nicht. Warum nicht? Was hat er falsch gemacht? Wieso wurde der andere Blinde geheilt und er nicht? Während Ben mit Gott streitet, kommt ihm plötzlich ein ganz neuer Gedanke...
«Wir sind da. Setz dich.» Wie
jeden Morgen brachte ihn seine Frau an die Strassenecke, wo die Besucher des Marktes
an ihm vorbeigehen mussten. Sie half Ben, sein Körbchen vor sich zu stellen, in
dem schon eine kleine Münze lag – als Anregung. Wenn es nach ihm ging, sollten
noch viele dazukommen. Doch die Konkurrenz war hart hier in Jericho. Es gab etliche
Blinde.
An diesem Morgen lag eine
besondere Unruhe über der Wüstenstadt. Aufgeregt redeten die Passanten über
einen Besucher, der gerade im Ort unterwegs war. «Stell dir vor, er hat schon
so viele Menschen geheilt…», schnappte Ben auf. Sollte dieser Jesus in Jericho
sein? Ben straffte sich. Den wollte er auf keinen Fall verpassen. Vielleicht
würde er ihn gesund machen? Sehend? Er legte sich gerade zurecht, was er rufen
würde, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen, da kam eine ganze Gruppe von
Menschen die Nachbargasse entlang. Ben holte tief Luft, aber im selben
Augenblick brüllte der alte Bartimäus, der dort sass: «Jesus, du Sohn Davids,
erbarme dich über mich!»
Warum?
Ben blieb erstarrt sitzen. Er
hörte Tuscheln, Reden, dann einen Jubelschrei – es war die Stimme von
Bartimäus. Offensichtlich hatte Jesus tatsächlich ein Wunder getan und ihn von
seiner Blindheit geheilt. Und jetzt … jetzt war er dran. Aber was war das? Die Menschenmenge
lief einfach die Nebengasse weiter. Sie bogen nicht ab. Keiner kam zu ihm. Ben
schrie aus Leibeskräften: «Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich über mich!»,
aber niemand hörte ihn. Ganz langsam sank er in sich zusammen. «Warum?»
Als es Abend wurde, holte seine
Frau ihn ab. Sie steckte die paar Münzen ein, die er bekommen hatte, und fragte
ihn vorsichtig: «Hast du von Bartimäus gehört?» «Ja», schluckte er. «Es ist ein
Wunder», meinte sie, «eigentlich sollte ich mich darüber freuen, aber was ist mit
uns? Warum ist er gesund geworden und du nicht?» Langsam gingen die beiden nach
Hause. In dieser Nacht schlief Ben sehr schlecht.
Als seine Frau ihn am nächsten
Morgen zum Essen holen wollte, sass er bereits im Bett und lächelte. «Was ist
los?», fragte sie ihn. «Du siehst so vergnügt aus.» «Ich habe diese Nacht mit
Gott gestritten», meinte Ben nur. «Und ich habe eine Vereinbarung mit ihm
getroffen.» «Das musst du mir erzählen.» Während die beiden ein Stück
Fladenbrot assen, berichtete Ben von seiner schlaflosen Nacht. Seine Gedanken
hatten sich stundenlang gedreht. Warum hatte Jesus ihn nicht gesund gemacht?
Hatte er es nicht verdient? Hatte er nicht genug geglaubt? Hätte er selbst mehr
dazu tun sollen, gesund zu werden? Schneller und lauter rufen zum Beispiel? War
Bartimäus Jesus wichtiger? Bens Gedanken waren mindestens so dunkel wie die
Nacht, die ihn umgab. Er wälzte sich im Bett, aber er wollte seine Frau nicht
wecken.
Das Recht, dankbar zu sein
«Wohin führt dich dieses Warum?»,
meinte er plötzlich eine Stimme zu hören. «Nirgendwohin», antwortete er. «Aber
habe ich nicht das Recht, wütend zu sein?» «Das hast du», vernahm er in seinem
Herzen. «Aber stell dir vor: Du hast auch das Recht, dankbar zu sein.» «Dankbar…?» Ben verschluckte sich fast. «Wofür denn?» «Für deine Frau, die dich liebt,
obwohl du blind bist. Für eure Tochter. Für das Essen, das jeden Tag auf dem
Tisch steht und noch immer gereicht hat. Und nicht zuletzt für Gott, der dich
unendlich liebt – auch wenn du ihn nicht verstehst.» Das konnte Ben nicht so
stehenlassen. Zu tief war er verletzt. Und Gott, der Heil versprochen hatte,
hatte ihn nicht gesund gemacht.
Doch die neuen Gedanken schlugen
langsam Wurzeln in ihm. Was, wenn es stimmte? Wenn ihn seine Anklage
nirgendwohin führte? Er weinte mit seinen blinden Augen, als er seiner Frau
erzählte: «Der Hahn der Nachbarn hat schon geschrien, da habe ich zu Gott gesagt:
Gut. Du hast mich nicht gesund gemacht, und das verstehe ich nicht. Aber ich
lasse dich trotzdem nicht los. Jetzt erst recht nicht. Ich brauche dich. Und
eines sag ich dir, wenn du wieder einmal bei mir vorbeikommst, dann rechne ich
wieder damit, dass du mir das Augenlicht schenkst.»
Zart streichelte seine Frau ihm
die Hand. Sie gab Ben einen Kuss. Und dann brachte sie ihn an seine
Strassenecke, wo er so blind sass wie am Tag zuvor – aber mit einem Lächeln auf
den Lippen.
Die Geschichte des blinden Bartimäus
steht im Neuen Testament in Markus Kapitel 10, Verse 46-52.
Die Geschichte von Ben steht nirgendwo, aber sie passiert öfter, als man denken
sollte.