Jürg
Spielmann ist blind. Er muss sein Leben daher komplett anders gestalten.
Trotzdem kann der Pfarrer von Bülach sich eigene Bilder machen,
Menschen begegnen und Trauernde trösten. Er organisiert
Jazz-Gottesdienste, Kinderweihnachten und macht auch mal eine
Gitarreneinlage in der Kirche.
Restaurant «Blinde Kuh» in Zürich
Weil
ihre Sehkraft stark eingeschränkt ist oder sie blind sind, können
325'000 Menschen in der Schweiz diesen Artikel nicht oder nur mit einer
Lupe entziffern, schreibt das «Migros Magazin». Zu ihnen gehört der 54-jährige Jürg
Spielmann. Erarbeitet seit einem Vierteljahrhundert
für die reformierte Landeskirche, seit 13 Jahren als Pfarrer in Bülach
ZH. Spielmann ist in Speicher AR aufgewachsen und war seit Geburt stark
sehbehindert. Mit fünf Jahren erblindete er komplett. «Ich sehe gar
nichts. Es ist nicht hell, es ist nicht dunkel. Es ist nichts», sagt der
verheiratete, zweifache Vater.
Ein etwas anderes Restaurant
Jürg Spielmann
Pfr. Jürg Spielmannist Mitinitiant eines Restaurants der anderen Art: In der «Blinden Kuh»,
einem sozial-diakonischen Projekt, das es mittlerweile in Zürich und
Basel gibt. Menschen mit
einem objektiven Nachteil lernen, einen kreativen Umgang mit ihrer
Begrenztheit zu gewinnen. Die «Blinde Kuh» ermöglicht
grenzüberschreitende Begegnungen von Sehenden und Blinden, in denen
beide sich und den andern neu und anders sehen und kennenlernen. «Diese
Erfahrungen sind für mich impliziter Ausdruck des Evangeliums», sagt
Spielmann.
Der Arbeitsalltag
Auf Schritt
und Tritt wird er begleitet von der dreijährigen Labradorhündin Alegra.
Sie ermöglicht Spielmann Mobilität und damit Freiheit. Und sie
erleichtert soziale Begegnungen, wie er dem «Migros Magazin» erklärt:
«Der Blindenstock wirkt eher trennend, Alegra hingegen ist eine
Sympathieträgerin.»
Der Seelsorger besucht regelmässig Mitglieder seiner
Gemeinde zu Hause, wenn sie über Leben, Glauben oder
Eheprobleme sprechen möchten. Bei der Vorbereitung der Gottesdienste ist
für ihn die Technik ein Segen: Er muss sich nicht mehr von einer
Hilfsperson in die Bibliothek begleiten lassen, sondern kann auch als
Blinder googeln. Ein Mal pro Woche sitzt Spielmann mit seiner
Pfarramtsassistentin zusammen. Sie hilft, Arbeitsblätter für Vorträge
oder den Konfirmationsunterricht zu gestalten – was ihn allein Tage
kosten würde.
Hilfe und Hoffnung weitergeben
Seine
Mutter hat ihm stundenlang aus Büchern vorgelesen, sein Vater lehrte ihn
schwimmen und Ski fahren, die Geschwister nahmen ihn mit in die Badi
und in den Ausgang. Jürg Spielmann ist bis heute dankbar dafür. Und er
ist überzeugt, dass er vom Himmel viel Kraft fürs Leben erhalten hat.
«All das hat mich motiviert, Pfarrer zu werden.» Er will das
weitergeben, was er von oben bekommt, und anderen helfen: «Es ist eine
schöne Erfahrung, nicht nur Hilfe in Anspruch zu nehmen, sondern Hilfe
weiterzugeben. Das gibt dem Leben einen grossen Sinn.»
Doch wieso wollte
Gott, dass Jürg Spielmann blind ist? «Es ist offenbar so gedacht, weil
ich gerade als blinder Mensch Dinge erfahre, die mir als Sehender
verschlossen blieben.» So gebe er nicht behinderten Menschen viel
Hoffnung, wenn sie erkennen, dass auch jemand unter diesen Bedingungen
positiv durchs Leben gehen könne.
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