Die Konsumgesellschaft funktioniert über den Neid: zu begehren, was der Andere schon hat. Und dies obwohl Millionen unter Habgier leiden. An der Spitze der Pyramide, im strahlenden Licht des Überflusses, stehen die Reichen. Doch sind sie zu beneiden?
Einst predigten die Kirchen gegen die Sünden, die aus den sieben Hauptlastern erwachsen, namentlich Hochmut und Eitelkeit, Geiz und Habgier, Völlerei, Wolllust. Raffern und haltlosen Genussmenschen wurde von der Kanzel herab die Hölle heiss gemacht. Die so genannten Todsünden auszurotten gelang zwar nicht – aber sie wurden als solche angeprangert. Jene Zeiten sind lange vergangen. Doch die Empörung über Geldgierige ist nicht verdampft; sie braucht und sucht sich andere Ventile. Helvetia (die Dame auf dem Zweifränkler) wird in den nächsten Monaten aufmerksam den Debatten über die Abzocker-Volksinitiative lauschen.
Die Marktwirtschaft hat das Profitstreben geadelt. Heute ist es Kult. Banken haben jahrelang Irrsinns-Gehälter und Boni gezahlt an Spezialisten, die Milliarden aufs Spiel und (wie es sich nun beim Platzen der Blase erweist) in den Sand setzten.
Der masslose Mensch als Mass aller Dinge?
Wer kann dem verbreiteten Gieren nach Besitz, Macht und Genuss wirksame Schranken setzen, wenn die Religion es nicht tut? Alles Gerede um Ethik und Werte und Solidarität greift nicht, während die Globalisierung mit ihrer Vernetzung der Finanzmärkte neue Verlockungen schafft, Milliarden zu scheffeln. Wir erleben: Der Mensch ist masslos, wenn er sich selbst zum Mass nimmt.
Der Theologe Leonhard Ragaz (1868-1945) und andere christliche Kapitalismuskritiker haben die Worte in der Bibel, welche gegen die Habgierigen und rücksichtslos Reichen und Mächtigen gerichtet sind, ernst genommen und in ihre Zeit hineingerufen. Diese Worte, von Gott inspiriert, von Jesus, Propheten und Aposteln vermittelt, sind unvermindert aktuell. Denn sie weisen den Weg zu einer nachhaltigen Lebensqualität. Einige Anstösse:
- Gott ist reich, und in seiner Liebe will er Menschen reich machen mit dem, was auf Dauer glücklich macht. Jesus mahnte: „Sammelt euch nicht Schätze auf Erden, wo Motte und Rost sie zerfressen, wo Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch vielmehr Schätze im Himmel… Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz“ (Matthäus 6,19-21).
- Wohlstand ist nicht zu verachten – und nach vielen Worten der Bibel ein Geschenk Gottes, der seine Schöpfung mit Fülle ausgestattet hat. Gott will, dass wir für unseren Unterhalt arbeiten, genug für uns und sogar etwas weiterzugeben haben (Epheserbrief 4,28). Er leidet mit den Bedürftigen; er will nicht Mangel – aber auch nicht, dass wir auf materiellen Gewinn fixiert sind und dem Profitstreben unsere seelische Integrität oder die Entfaltungschancen anderer opfern. „Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber Schaden nimmt an seinem Leben?“ (Matthäus 16,26).
- Wir müssen uns entscheiden, auf wen wir unser Leben letztlich ausrichten, wer unsere Werte bestimmen darf. Ist es das Unternehmen, das eine Karriere verheisst, der Börsenguru, der fette Gewinne verspricht, der Lottozettel, das Glücksspiel im Casino – oder Jesus Christus, der unvergleichliche Lehrer des Augenmasses und der Liebe zu den Mitmenschen? „Geben ist seliger als nehmen“ – ein Wort des Mannes aus Nazareth, genauso sprichwörtlich wie: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Apostelgeschichte 20,35; Matthäus 6,24).
- „Nichts haben wir in die Welt mitgebracht, so können wir auch nichts aus ihr mitnehmen“, sagt der Apostel Paulus und lässt am Ende seines ersten Briefs an Timotheus die Weisung folgen: „Den Reichen in der Welt gebiete, nicht überheblich zu sein und ihre Hoffnung nicht auf den flüchtigen Reichtum zu setzen, sondern auf Gott, der uns alles in reichem Mass zukommen und es uns geniessen lässt. Sie sollen Gutes tun, reich werden an guten Werken, freigebig sein und ihren Sinn auf das Gemeinwohl richten. So verschaffen sie sich eine gute Grundlage für die Zukunft, die dazu dient, das wahre Leben zu gewinnen“ (6,7.17-19).
- „Hütet euch vor jeder Art Habgier!“ warnt Jesus. „Denn auch dem, der im Überfluss lebt, wächst sein Leben nicht aus dem Besitz zu“ (Lukas 12,15). Habsucht ist ganz einfach Götzendienst: Jemand anders nimmt die Stelle ein, die Gott, unserem Schöpfer und Versorger, zukommt (Kolosser 3,5).
- „Das Gericht (gemeint: Gottes; Red.) kennt kein Erbarmen mit dem, der nicht Barmherzigkeit übt“, macht Jakobus seinen Lesern klar (2,13). Schauen wir weg, wenn Elend unseren Blick trifft, wird dies im Gericht, das Gott allen Menschen bereitet, zu Buche schlagen. „Wohlan, ihr Reichen, weint nur und jammert über das Elend, das über euch kommen wird“, ruft Jakobus den Ausbeutern zu.
- Jesus schockiert seine Freunde mit dem grellen Bild: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in das Reich Gottes“ (Matthäus 19,24). Johannes zählt auf, was uns von einem Leben, wie es Gott zeigt, fernhält: „Alles, was in der Welt ist, das Begehren des Fleisches und das Begehren der Augen und das Prahlen mit dem Besitz, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Und die Welt vergeht, mit ihrem Begehren; wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit“ (1. Johannes 2,16.17). „Wer stiehlt, rafft, auch wer trinkt, andere beschimpft oder beraubt, wird das Reich Gottes nicht erben“ (1. Korinther 6,10).
Achtung: Geiz verunstaltet das Leben, und Habsucht verstellt – nachhaltig, endgültig – den Weg zu dem Gott, der uns echt reich macht.
Darum empfiehlt es sich, einen Lebensstil zu wählen, der nicht zum Absturz führt, sondern zu einer gerechteren Welt beiträgt. Was Gott sich am Anfang, im Paradies dachte, peilt er mit den Menschen an, für die Jesus vor dem Portemonnaie kommt, die sich von ihm verändern und leiten lassen.
Der ehemalige BBC-Frühstücksmoderator Dan Walker hat kürzlich in einem Interview mit der britischen Zeitung «The Guardian» über die Bedeutung seines...