Zwölf Kilo Untergewicht und Existenzangst – das war früher. Heute sitzt Ansgar Gmür sicher im Direktorensessel des Hauseigentümerverbandes HEV Schweiz. Monika Breidert traf im Zürcher Hauptsitz einen ernsthaften Arbeiter mit komödiantischem Talent und theologischen Ambitionen.
«Ich habe gekrampft wie ein Esel», erinnert sich Gmür an seine Kindheit. Aufgewachsen in einem Bergdorf, lernte er früh, sein Brot zu verdienen. Damals hätte er nie gedacht, wöchentlich über 300 E-Mails zu beantworten und einen Verband zu leiten, der mehr Mitglieder hat als alle vier Bundesratsparteien zusammen (281'000). Es folgten zahlreiche Medienauftritte und Erfolge. So etwa brach der HEV unter seiner Führung das Bankenmonopol im Hypothekenbereich, baute den Verlag und die Mitgliederzeitung aus und rüstete sich mit modernster Technik auf – vor seinem Amtsantritt im Jahr 2000 wurden 14’000 Rechnungen noch mit Kohlepapier herausgegeben.
Heu und Hunger
1953, Amden im Kanton St. Gallen: Gmür wird als siebtes Kind geboren. Die Mutter stirbt früh, die Familie zieht zum Grossvater auf den Bauernhof. Der Papa, ein «knallharter Kerl», forderte viel von seinem Nachwuchs. Misten und mähen – gearbeitet wurde im streng katholischen Dorf nur sonntags nicht, es sei denn, der Pfarrer habe es ausdrücklich erlaubt. Jahrelang gönnte sich die Familie nur einmal ein Bad, nämlich an Weihnachten. Gmür schmunzelt: Sein Grossvater wusch sich und putzte sich die Zähne ein Leben lang nicht, dennoch musst er erst mit 94 Jahren das erste Mal zum Arzt.
In den Jugendjahren machte sich Gmür auf ins Tal. In Basel absolvierte der Bauernjunge eine Chemielaborantenlehre, bevor er die AKAD-Matura nachholte und in Zürich Ökonomie studierte. Der Werkstudent jobbte als Putzmann, Nachtportier, Kassierer, Lehrer, Ausbilder und Taxifahrer. Letzteres forderte eine ärztliche Voruntersuchung, worauf die Waage zwölf Kilogramm Untergewicht zeigte. «Sie müssen mehr essen», so die Medizinerin. Doch damals reichte das Geld nicht für genügend Mahlzeiten.
Gesegnet mit Humor und mehr
Heute erlebt der Direktor Segen, auch finanziell, futtert genüsslich Schokolade und beäugt belustigt ein paar Rundungen – seinen Humor hat er trotz der Vergangenheit bewahrt. Der Bauch kann mittlerweile sogar mehr als nur knurren: Gmür bestreitet Auftritte als Bauchredner. Das Büro teilt er mit Kühen, die auf dem Regal weiden. Sein bestes Tier, eine batteriebetriebene Kuh aus Plüsch, lässt er muhen und tanzen. Aber auch Trickfilme haben es dem Familienvater angetan: Nebst Robin Hood und Winnie Pooh hortet er zu Hause an die 200 Exemplare. Gmür: «Da ist die Welt noch in Ordnung!»
Lieder im Auto
Sich selbst bezeichnet der Eigentümer als Haus mit felsigem Grund, sehr verwurzelt, innen drin fröhlich, wertkonservativ, aber nicht verstaubt. «Ich bin nicht der beste, aber der lustigste Verbandschef», lächelt der Sanguiniker. Trotzdem kennt er seine empfindliche Seite, ja fühlt sich manchmal von den Herausforderungen bedroht und gibt seine mangelnde Kritikfähigkeit zu. Doch Gmür findet Zuflucht bei Gott. Bereits morgens betet er, hört im Auto Predigten und singt Lieder, mit denen er Gott danken will.
Mittags nährt er sich zusätzlich mit einer Losung zum Tag, und am Abend folgt die Fortsetzung von Gebet und Bibellesen, oft zusammen mit seiner Frau. Mit Erfolg: «Viele Probleme werden dadurch banal.» Als Christ habe man zwar nicht weniger Schwierigkeiten, aber diese seien leichter zu überwinden. Ausserdem wolle er den vollen Segen abrufen, den Gott für ihn bereithalte.
Der HEV-Posten – nicht das Letzte
Der Glaube hat auch Auswirkungen auf den Geschäftsalltag: «(Not-)Lügen gibt es nicht!» Erst kürzlich bestätigte der Direktor persönlich gegenüber dem Radio einen Fehler, ohne nach Ausreden zu suchen, und überraschte mit so viel Ehrlichkeit. Glaube, Gnade, Weisheit – das brauche er auf seinem Posten. Vielleicht auch schon bald auf der Kanzel? Gmür strebt nach der HEV-Ära ein Theologiestudium an. Das Referieren zumindest beherrscht er: Beim kürzlichen Vortrag über das trockene Thema «Statistik» lachten die Zuhörer Tränen. Doch seine Zukunft legt er in Gottes Hand: «Letztendlich ist alles Gnade.»
Der ehemalige BBC-Frühstücksmoderator Dan Walker hat kürzlich in einem Interview mit der britischen Zeitung «The Guardian» über die Bedeutung seines...