Die Erwartungen gegenüber Leitern sind meist extrem hoch. Durch den Druck ziehen sich Leitende zurück oder geben auf. Ist dies zu verhindern? Und wie kann man mit den oft unausgesprochenen Erwartungen anderer umgehen? Gedanken dazu von Doris Lindsay.
Doris Lindsay
Als Leitende sind wir konfrontiert mit vielen
Erwartungen von unseren Teams und Gemeindegliedern. Neben der Fähigkeit,
mit Vision zu führen, wünschen sie sich liebevoll betreut, in
ihren Möglichkeiten gefördert und bei ihren Herausforderungen ernst genommen zu
werden. Dies alleine wäre oft schon genug zu tragen und kann unsere
Kapazitäten sprengen.
Doch dem nicht genug. Wie Schmetterlinge im Sommer
um die Blumen kreisen, in freudiger Erwartung auf Nektar, schwirren
auch noch andere Erwartungen um uns herum. Wir sollten ein gutes Vorbild
sein im praktischen Arbeiten: Gruppenleitung, Konfliktbewältigung,
Predigen und Seelsorge. Doch auch unsere Bereitschaft, unseren
überforderten Schäfchen den Stress zu reduzieren, ihre Lasten zu tragen,
ohne selber auszubrennen, ist ein Teil davon. All diese oft
unausgesprochenen Erwartungen lassen unsere romantische Vorstellung von
Leiterschaft zusammenbrechen. Leitende ziehen sich zurück und die Blume
schliesst die Blumenblätter und hat keine Lust mehr auf diese
anspruchsvollen Schmetterlinge. Realität ist: Zu viele Leiter geben
auf, obwohl sie immer noch Vision in sich tragen. Der Druck und die
Enttäuschung lastet zu schwer. Schade!
Wachstumsverzögerung durch Angst und Defizite
Ja,
Erwartungen sind real. Doch sind sie immer so erdrückend wie sie uns
scheinen? Sprechen wir mit unserem Team darüber? Meistens nicht.
Wenn
ich mich selber reflektiere sind meine eigenen Erwartungen an
Leiterschaft auch ziemlich hoch. Ich beobachte Menschen um mich herum
und sehe viel Potenzial. Leider ist dieses Potenzial oft nicht
ausgeschöpft, da Charakter- oder Gabendefizite die Entfaltung
verhindern. Selbstbezogenheit, Angst vor Verantwortung oder Konflikten,
Kontrolle oder das fehlende Einfühlungsvermögen für Menschen
verzögern das Wachstum des Leiters.
Perfektion gibt es nicht
Während
den letzten 20 Jahren habe ich erkannt, dass Leiterschaft nicht perfekt
gelebt werden kann. Das Streben nach Perfektion funktioniert nicht, da
wir Menschen sind. Leiter versagen und sie stolpern über ihre eigenen
Unzulänglichkeiten. Sie sind nicht angekommen an ihrem Ziel, sondern die
Reise wird zum Ziel.
Ich bin auch eine von ihnen.
Meine Erwartungen an mich selbst sind oft viel zu hoch. Ich enttäusche
mich selbst immer wieder, da ich nicht die perfekte Leiterin sein kann,
die ich eigentlich sein möchte.
Werkzeuge, die helfen
Doch wie bleibe ich als Leiterin oder als Leiter gesund? Ich
muss mich immer wieder daran erinnern, dass ich nicht einen Rucksack
mit Sandwiches mit mir herumtrage, die ich den Menschen füttere, damit
ihr Hunger nach Perfektion gestillt wird. Ich trage einen Rucksack mit
Werkzeugen, die mir helfen, als Leiterin zu leben und zu wachsen.
Eines der wichtigsten Werkzeuge ist Gnade. Gnade
für mich und für andere. Gnade befähigt mich zu realisieren, dass ich
genug bin – für mich selbst und für andere. Ich kann nur tun, was ich tun
kann. Ich werde nie perfekt sein. Ich bin am Lernen und werde es auch
immer sein. Wenn ich die Gnade, die Gott über meinem Leben ausspricht, in
meinem Leben annehme und praktiziere, dann werde ich auch gnädiger mit
anderen Menschen um mich herum.
Ein weiteres Werkzeug ist Transparenz. Wenn
ich mir selbst und anderen nicht zugestehen kann, dass ich
herausgefordert oder schwach bin, dann verpasse ich es, ein
authentisches Leben zu führen. Doch es braucht eine klare Entscheidung
dazu. Transparent zu leben und mein Team einzubeziehen in meine Fragen
oder in meine Herausforderungen, macht mich nicht schwächer, sondern
stärker. Die Menschen um mich herum haben so die Gelegenheit, mein Herz
zu spüren, und können Anteil nehmen. Vertrauen wächst und ich bin eine
von ihnen.
Begegnung mit Gott
Gnade und Transparenz
gehen Hand in Hand. Gott ist ein Gott von beidem. Er leitet mich auf
ein Feld mit der Absicht, mir als Leitende zu begegnen. In dieser
Begegnung verändert sich meine enge Perspektive von Perfektion und
Erwartungen. Er öffnet meine Augen, damit ich erkennen kann, wer ich bin und wer er
ist. Erwartungen von Menschen, ob ausgesprochen, unausgesprochen oder
auch einfach nur vermutet, engen uns ein. Gnade und Transparenz öffnen
meinen Horizont und führen mich auf die grüne und weite Wiese, wo
ich Gott und den Menschen authentisch begegnen darf.
Zur Person:
Doris Lindsay ist Leiterin & Missionarin in Südafrika bei All Nations Cape Town und hat das Internetportal morethanpretty.net gegründet. Sie zog 2012 mit ihrem Mann Stefano und den drei Kindern von Burgdorf nach Kapstadt, um dort gefährdeten Teenagern und armen Familien zu helfen.
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