Schon 26 «Loverboy»-Fälle aus der Schweiz sind
«Act212» bekannt. Es handelt sich um Mädchen ab zwölf Jahre. «Es handelt sich
um Menschen- und Kinderhandel», sagt Irene Hirzel. «Leider nimmt der
Menschenhandel global zu.» Livenet interviewte die Leiterin von «Act212» zu
diesem Thema.
Livenet: Irene Hirzel, was sind die gegenwärtigen Schwerpunkte von
Act212?
Irene Hirzel: Wir haben drei Schwerpunkte. 1. Sensibilisierung und
Schulungen 2. Die Nationale Meldestelle 3. Das Thema Loverboy, das leider auch viele Schweizer Opfer betrifft.
Irene Hirzel
Was beobachten Sie betreffend «Loverboys» in der Schweiz?
Leider haben wir
bereits 26 Meldungen von betroffenen Personen bekommen. Die meisten sind minderjährige
Schweizermädchen, ab zwölf Jahre, wir sprechen hier klar von Kinder- und
Menschenhandel.
Weshalb nimmt dieses Problem in der Schweiz zu?
Das Problem nimmt
nicht zu, es wurde schlichtweg bisher nicht erkannt. Erst als die Meldungen bei
uns reinkamen und wir Untersuchungen gemacht haben, wurde klar, dass hier etwas
gemacht werden muss. Die 26 Meldungen, die wir bekommen haben, sind erst die
Spitze des Eisbergs.
Sie setzen sich auch gegen den Menschenhandel ein. Hat
dieser in den letzten Jahren eher zu oder abgenommen?
Leider nimmt
Menschenhandel global zu. In der Schweiz ist vielen nicht klar, dass
Arbeitsausbeutung – also Dumpinglöhne, lange Arbeitszeiten, mangelnde
Arbeitssicherheit, fehlende Altersvorsorge und so weiter – in den Bereich
Menschenhandel und Ausbeutung fallen und per Gesetz entsprechend behandelt
werden.
Mit wie vielen Betroffenen rechnen Sie in der Schweiz?
Allein in den
verschiedenen Arbeitssektoren muss man von Tausenden von Betroffenen ausgehen.
Im Sexgewerbe ebenfalls. Die Zahlen der Betroffenen können nicht erhoben
werden, dazu müssten sie erst einmal identifiziert werden, wie wir bei den
Loverboy-Fällen sehen.
Welche Fälle haben Sie zuletzt besonders bewegt?
Das war sicher
der letzte Fall, der am 14. Mai in der Berner Zeitung erschien. Ich habe mit
der betroffen Mutter, die bei uns eine Meldung gemacht hat, gesprochen und das
hat mich bewegt. Die Eltern sind selber traumatisiert, weil sie sich von
Behörden und Fachstellen nicht ernstgenommen fühlen. Der einzige Weg etwas zu
bewirken war für sie die Geschichte ihrer Tochter öffentlich zu machen. Leider
hat mich die unsensible Berichterstattung enttäuscht, viel zu viele Details
wurden preisgegeben, die das Mädchen und die Eltern gefährden könnte.
Ist das Bewusstsein in der Schweiz gestiegen?
Solange wir
Schulungen und Konferenzen machen, wird das Bewusstsein steigen. Gute Berichterstattung
ist ebenfalls wichtig. Heute werden die Leute mit so vielen Infos konfrontiert,
dass wir immer wieder darüber berichten müssen, sonst gerät es in
Vergessenheit.
Welchen Unterschied können Sie durch Ihre Arbeit machen?
Es gibt messbare
Fortschritte und solche, die wir nicht messen können. Messbar sind die bald 300
Meldungen, die über die Nationale Meldestelle reingekommen sind. Bei Meldungen
die an die Polizei gehen, wird in verschiedenen Kantonen ermittelt. Über 30
Betroffene konnten durch unsere Vermittlung in ein Schutzhaus gebracht werden.
Hunderte von Personen haben unsere Konferenzen und Schulungen besucht, tausende
von Menschen werden durch Berichterstattungen und über die sozialen Medien
erreicht. Das Thema Loverboy wurde durch uns bekannt gemacht und wird durch die
von uns gegründeten Expertengruppe bearbeitet mit dem Ziel Prävention in
Schulen und Jugendgruppen, Intervention durch Beratungsstellen und Ämter,
polizeiliche Intervention und Ermittlung gegen Täter.
Bundesrätin Simonetta Sommaruga sprach an der Konferenz 2013 zum Thema Menschenhandel.
Bei der «StopArmut»-Konferenz
2013 hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga gesagt, «Kirchen und Gemeinden
spielen im Bereich Menschenhandel eine wichtige Rolle». Ja klar, sie könnten
einen Unterschied machen, das ist aber nur sehr punktuell gelungen. Gerade beim
Thema Loverboy müssten Kirchen aufhorchen, da Opfer in den eigenen Reihen
sitzen könnten.
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