Christian A. Schwarz (Bild: Wikimedia / https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/)
Christian A.
Schwarz ist der Empiriker unter den Theologen. Jetzt legt der Vater der
«Natürlichen Gemeindeentwicklung NGE» sein neues Buch vor: «Gott ist
unkaputtbar». Ein Livenet-Talk mit Florian Wüthrich.
Christian A. Schwarz (62) steht
dafür, dass er Fragen rund um persönliches und gemeindliches Wachstum aus einer
gefühlten in eine nachgefragte Wirklichkeit herausgehoben hat. 1994 begann der
Theologe damit, Gemeinden nach qualitativen Kriterien ihres Alltags zu
befragen. Das begann mit respektablen 1'000 Gemeinden und bewegt sich heute bei
75'000 Gemeinden weltweit.
Inzwischen liefern die Daten dieser
wissenschaftlichen Primärstudie eine Fülle an Informationen über
Gemeindeentwicklungen und Trends der letzten Jahre. Einige davon hat Schwarz in
seinem aktuellen Buch «Gott ist unkaputtbar. 12
Antworten auf die Relevanzkrise des Christentums» zusammengefasst.
Hauptpunkt
Relevanzkrise
Was viele fühlen oder ahnen, belegt
Christian A. Schwarz mit seinen Forschungsergebnissen: Momentan findet ein epochaler
Wandel im Christentum statt – und zwar weltweit. Von der Hauskirche in China über
die Megachurch in den USA bis hin zur Landeskirche in Nordfriesland. Der Wandel
äussert sich durchaus unterschiedlich, aber in den letzten sechs bis acht
Jahren gab es einen «participation shift» – das Beteiligungsverhalten in
Gemeinden (z. B. am Gottesdienst) hat sich deutlich verändert. Christen
besuchen nach wie vor Gottesdienste, aber längst nicht mehr so regelmässig wie
früher. Tatsächlich ist dies ein weltweites Phänomen.
Wie kann Kirche und Gemeinde
trotzdem relevant bleiben? Ein Geheimnis wachsender Gemeinden sei es, die
Bedürfnisse von Menschen anzusprechen. Diese sind heute durchaus anders als vor
zehn Jahren. Und relevant ist dabei das, was andere Menschen als relevant
empfinden, nicht das, was in irgendwelchen Plänen von Gemeinde verabschiedet
wurde.
Die
Bonhoefferfrage
Der Theologe und Widerstandskämpfer
des Dritten Reichs formulierte einmal, dass man den transzendenten Gott mitten
im Leben erfahren müsste. Gott ist aktiv, verändernd und gestaltend. Wer ihn
nicht so erlebt, hat laut Schwarz «ein Relevanzproblem» – und zwar völlig unabhängig
von Denomination und Frömmigkeitsstil, denn diese persönliche Ebene ist
unabdingbar. Versöhnlich ergänzt Schwarz: «…aber daran kann man arbeiten.»
Lernen von der
Ostkirche
Die orthodoxen Kirchen stehen für
mehr als für Ikonen und Zwiebeltürme, ihr Glaube wird bestimmt von einem Staunen
über Gottes Geheimnis. Tatsächlich lässt sich zeigen, dass das, was der
Westkirche am meisten fehlt, in der Ostkirche liegt – und dass das, was die
Ostkirche braucht, von der Westkirche angeboten wird.
Leider findet in diesen
Richtungen kaum Kommunikation statt, obwohl damit so viel Bereicherung möglich
wäre. Erneuerungskonferenzen im Westen haben oft als Ergebnis, dass sich die Gemeinden
noch mehr Richtung «Westen» entwickeln, anstatt die Schätze der Ostkirche zu
entdecken. Leider verschärfen sie damit ihr Problem. Entgegen mancher Ängste
müssten sie weder «katholisch» noch «orthodox» werden, aber sie könnten von
deren Sichtweise profitieren – so wie diese Kirchen von ihnen profitieren
können. Schwarz unterstreicht: «Diesen vorhandenen, aber verborgenen Schatz
müssen wir heben, wenn wir echte Erneuerung wollen.»
Messbare Qualität
Der Anspruch auf qualitatives
Wachstum gehört zum christlichen Glauben. Anders als manche denken, führt er
dazu, dass Gemeinden Bereiche definieren können, in denen sie dieses Wachstum
erleben oder fördern. Die «natürliche Gemeindeentwicklung» hat dazu acht
Qualitätskriterien entwickelt, die gemeindliche Qualität nicht nur messbar,
sondern auch veränderbar machen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit auch des zahlenmässigen
Wachstums. Die Basis dazu ist dieses «Gott persönlich erleben». Nur wenn das
stattfindet, geschieht ein Verbundensein mit Gott – unabhängig von theologischen
Ausrichtungen.
Die Welt ist
mündig geworden
Das betonte bereits Dietrich
Bonhoeffer in den 1930er-Jahren. Bonhoeffer schrieb damals bewusst für die
Zukunft, in eine andere Zeit hinein – in unsere. Schon damals war ihm klar,
dass paternalistisches Bevormunden in Zukunft nicht mehr möglich wäre,
stattdessen suchte er Begegnungen auf Augenhöhe.
Konkret bedeutet dies, dass
Christen im Umgang mit Andersdenkenden gemeinsames Terrain suchen, dass sie Erfahrungen
betonen, bei denen Gottes Energie spürbar ist. Durch ein Miteinander auf
Augenhöhe entsteht so eine neue Dynamik. Schwarz erklärt dies am Beispiel des
Dialoges mit einem Muslim, dem er sagte: «Ich will von dir als Muslim lernen,
weil ich ein besserer Christ werden möchte.» Auf dieser Basis, die dem anderen
nichts verkaufen, aber auf ihn hören will, wachsen Freundschaft und Vertrauen –
und das Evangelium findet hier seinen Platz. So werden christliche
Gesprächspartner für andere wieder interessant.
Eine sehr konkrete Möglichkeit ist
es, im Gespräch den Begriff «Gott» durch «Energie» zu ersetzen. Das mag sich
esoterisch anhören, aber es verhindert das Gleichsetzen von «Gott» mit
«Kreuzzügen». Schwarz betont, dass dies kein Spiel mit Worten und Begriffen
ist, sondern es dabei um biblische Substanz geht – der Begriff «Energie» ist
nicht nur ein häufiges Synonym für Gott selbst, sondern hat zum Beispiel in der
Ostkirche theologisch einen hohen Stellenwert – in der westlichen Theologie
kommt er dagegen nicht vor, doch das liesse sich durchaus ändern.
Thema
Fundamentalismus
Während er darüber nachdenkt, was Gemeinde
wachsen lässt, spricht Schwarz auch über das Thema des Fundamentalismus. Dabei
geht es ihm nicht um die Liebe zur Bibel, sondern um vorgefasste, feste
Meinungen, mit denen manche Christen an die Bibel herantreten. Für ihn ist dies
ein Holzweg. «Dabei geht es nicht um meine persönliche Meinung, die ist relativ
uninteressant.» Stattdessen bemüht Schwarz die Ergebnisse seiner Studie. Er hat
mit seinem Team einen «Fundamentalismus-Quotienten» entwickelt. Wenn der bei
einer Gemeinde sehr hoch ist und sich die Gemeinde dann mit NGE auseinandersetzt,
dann sinkt dieser Fundamentalismus. Die Folge davon ist keine «Ich nehme die
Bibel nicht mehr ernst»-Haltung, sondern tatsächlich eine gestiegene Liebe zur
Bibel und eine neue Hingabe an Evangelisation. Das sind keine Mutmassungen,
sondern konkrete Ergebnisse der vorliegenden Umfragen.
Schwarz erfährt es immer wieder,
dass sein Reden von der «Energie Gottes» keine Lernbereitschaft hervorruft,
sondern einen Abwehrmechanismus. Begeisterung für die Bibel? Fehlanzeige.
Stattdessen schiebt sich hier eine Lehre in den Vordergrund, die kaum biblische
Grundlagen hat. Tatsächlich stellt sich bei einigen vehementen Gegnern bald
heraus, dass sie weniger die Bibel verteidigen als ihre eigene Komfortzone –
«sola scriptura» ist hier nur noch ein Schlagwort. Dabei reicht eine Lehre von
Gott nicht aus, stattdessen braucht jeder Mensch die persönliche Begegnung mit
Gott und der Bibel. Das ist mehr als Gefühl, denn es bedeutet, Dinge anders zu
machen, Veränderung zu akzeptieren.
Unkaputtbar
Es scheint so, als wäre Hingabe an
Christus nicht mehr gleichzusetzen mit regelmässiger Beteiligung z. B. an Gottesdiensten.
Deshalb sollte es gar nicht das Ziel sein, alle Christen jeden Sonntag in einer
Gemeinde zu versammeln. Stattdessen sollten sie fürs Leben als Christen in ihrem
Alltag ausgerüstet werden. Natürlich kann hier der wöchentliche Gottesdienst
eine wichtige Rolle spielen, doch Dreh- und Angelpunkt des Glaubens ist er
nicht.
«Unkaputtbar» als Titel klingt erst
einmal salopp, aber dahinter steht, dass Gott ewig und unzerstörbar ist.
Energie lässt sich nicht wegnehmen. Gott kommt mit seinen Gemeinden zu seinem
Ziel – und er gebraucht uns trotzdem dabei, während Gottes transzendente Welt
mit unserem Diesseits in Kontakt tritt.
Sehen Sie sich hier den Livenet-Talk mit Christian A. Schwarz an:
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