Kerzen und ihr Licht gehören unbedingt in die
Adventszeit, doch das war nicht immer so. Tatsächlich beschloss ein
Sozialpädagoge vor über 180 Jahren, verschiedenfarbige Kerzen auf ein
«Adventsrad» zu setzen: als Countdown für Weihnachten.
Johanns Vater war nur ein Fuhrmann, aber er arbeitete
sich hoch und wurde schliesslich sogar Übersetzer. Seine Frau und ihre sieben
Kinder waren Armut gewöhnt. Als es der Familie gerade etwas besser ging und
Johann als Ältester sogar das Gymnasium besuchen konnte, starb der Vater. Damit
war Johann in der Rolle des Versorgers – er machte kein Abitur und arbeitete
als Klavierlehrer, gab Nachhilfe und war Erzieher.
Mithilfe von Freunden holte
er später das Abitur nach, studierte Theologie und trat schliesslich eine
Stelle als Oberlehrer an. Das hört sich besser an als es war, denn er arbeitete
in St. Georg bei Hamburg: Im Mittelalter hatte man hierhin die Pestkranken und
Aussätzigen verbannt, jetzt stand hier der Galgen der Stadt – und es war das
Elendsquartier der Stadt. Doch Johann Hinrich Wichern (1808-1881) war hier,
weil er es wollte!
Das «Rauhe Haus»
Bald nach seinem Dienstbeginn bot man Wichern eine
alte Kate zum Kauf an, «Ruges Haus». Bald schon machte der Volksmund daraus das
«Rauhe Haus». Wichern zog dort mit einer Schwester und seiner Mutter ein – und
sie nahmen Jungen auf, die als «sittlich verwahrlost» galten. In Form einer
Wohngruppe lebten sie zusammen, förderten die Kinder und gaben ihnen eine
Schul- und Berufsausbildung. Es begann mit zwölf Jungen – bald waren es mehr
als hundert Kinder, Jungen und Mädchen, die ins Zuchthaus gekommen wären, wenn
Wichern sie nicht aufgenommen hätte. Er kaufte Häuser dazu und schliesslich war
das «Rauhe Haus» fast ein Stadtteil, jedenfalls eine Institution.
Advent
«Onkel Wichern, wie lange ist es eigentlich noch bis
Weihnachten?» Diese Frage kam in der Vorweihnachtszeit immer wieder. Die
Kinder, die im «Rauhen Haus» lebten, hatten wenig mit dem Christentum zu tun
gehabt, doch jetzt erlebten sie Jesus und die kirchlichen Feste auf eine ganz
besondere Art und Weise. Sie fieberten hin auf die Geburt von Jesus, konnten
sie zeitlich aber nicht einordnen.
Da hatte Wichern eine Idee: Er nahm ein
grosses Wagenrad und steckte dort Kerzen auf – vier grosse weisse und 20 kleine
rote. Mit jeder kleinen Kerze war ein weiterer Tag in Richtung Weihnachten
vergangen, und jede weisse Kerze zeigte einen Adventssonntag an. In seinen
Lebenserinnerungen beschreibt Wichern das Ganze folgendermassen: «Was gucken
die Knaben- und Mädchenaugen so lustig zum Kronleuchter empor? Oh, was sie da
sehen, kennen sie wohl. Auf dem Kranz brennt das erste Licht, weil heute der
erste Adventstag ist.» Zu guter Letzt heisst es: «Brennt der volle Kranz mit
allen 24 Lichtern, dann ist er da, der Heilige Christ in all seiner
Herrlichkeit.»
Der Adventskranz
1839 hing der erste solche Adventskranz im «Rauhen
Haus». Einige Jahre später wurde er bereits mit Tannengrün geschmückt. Und weil
24 Kerzen auf einem Rad mit zwei Metern Durchmesser für den Hausgebrauch viel zu
viel waren, reduzierte sich das Ganze bald auf die Kerzen zu den
Adventssonntagen, die dann allerdings rot wurden.
Die Symbolik überzeugte. Seit
1925 übernahmen auch katholische Gemeinden den neuen Adventsbrauch und
inzwischen ist er universal verbreitet und nicht mehr wegzudenken. Der
Adventskranz war geboren.
Licht der Hoffnung
Noch heute wird in den Einrichtungen des «Rauhen
Hauses» auch ein originaler Adventskranz angezündet. Längst ist die Stiftung
deutschlandweit unterwegs und betreibt in Hamburg neben einer Kinder- und Jugendhilfe eine Sozialpsychiatrie,
eine Seniorenarbeit und eine Arbeit mit behinderten Menschen. Sogar ein U-Bahnhof trägt ihren
Namen. Was sich nicht geändert hat, ist, dass die christlich geprägte Arbeit
ein Licht der Hoffnung aussenden möchte.
Schon lange vor Johann Hinrich Wichern waren Kerzen ein
Zeichen des Lichts mitten in der winterlichen Finsternis. Trotz Energiekrise
und mitten in Krieg und Zukunftsängsten zeigen die Kerzen des Adventskranzes
bis heute ihr wärmendes Licht. Sie standen und stehen für eine lebendige
Hoffnung gegen den Anschein und für das Vertrauen, dass Gott es gut macht.
Daran hat sich in den fast 200 Jahren seit dem ersten Adventskranz nichts
geändert. Damals schauten ein paar Jungen auf die Kerzen und realisierten:
«Gott meint es gut mit uns.» Bis heute merken Menschen, wie Advent und
Weihnachten ihnen Hoffnung vermitteln, weil Gottes Licht in der Dunkelheit
aufleuchtet.
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