Unfassbarer Schmerz und tiefe Trauer nach der furchtbaren Bluttat vom 15. August 2011 in Pfäffikon ZH. Der reformierte Pfarrer Peter Schulthess ist mit dem Auto unterwegs, als ihn die schreckliche Nachricht erreicht. Sein Einsatz als Notfallseelsorger ist in dieser Situation gefragt. Doch er weiss auch jetzt um Gottes Hilfe.
«Ohne Jesus ginge es nicht»: Pfarrer Peter Schulthess ist seit 15 Jahren auch Notfallseelsorger. (Foto: ideaschweiz)
Es ist um 12 Uhr. Ein 59-jähriger Kosovare erschiesst beim Bahnübergang nahe dem Bahnhof von Pfäffikon seine 52-jährige Ehefrau. Wenige Minuten später schiesst der Mann vor dem 200 Meter entfernten Gemeindehaus auf die 48 Jahre alte Leiterin des Sozialamtes. Sie stirbt im Laufe des Nachmittags im Spital.
Der Täter kann kurz darauf verhaftet werden. Er gesteht den Doppelmord. Seine Frau brachte er um, weil sie sich von ihm scheiden lassen wollte. Und vom Sozialamt habe er zu wenig Geld erhalten.
Trost ohne Worte
Kurz vor halb eins bekommt Peter Schulthess einen Anruf durch den Gemeindeschreiber. Der 59-jährige reformierte Pfarrer und Notfallseelsorger, der gerade mit dem Auto unterwegs ist, zögert keinen Moment. Er konzentriert sich auf den starken Mittagsverkehr und kann sich darum noch gar nicht mit dem beschäftigen, was ihn erwarten wird. Aber er bittet Gott um seinen Beistand.
Vor dem Gemeindehaus angekommen, meldet er sich bei der Polizei. Er lässt sich darüber aufklären, was geschehen ist, und erhält Zugang zum abgesperrten Gemeindehaus. Dort begegnet er geschockten, unter starken seelischen Schmerzen leidenden Menschen, die mit der Sozialamtsleiterin zusammengearbeitet haben.
Schulthess kennt die erschossene Frau persönlich: «Wir hatten einige Male miteinander zu tun. Ich schätzte sie sehr.» Er fragt die entsetzten Menschen, was sie gesehen haben, hört zu. Einige umarmen ihn einfach ohne Worte. Da oder dort legt er eine Hand auf eine Schulter.
Unbeschreiblicher Schmerz
Bald wird Schulthess von der Feuerwehr nach draussen gerufen. Auf der Strasse sei jemand zusammengebrochen. Gerade trifft ein Team von Polizeipsychologen ein, später kommen weitere Notfallseelsorger hinzu. Die Person, die am Strassenrand kauert, ist ein Kind der erschossenen Ehefrau des Täters. Ein Arzt stellt seine Praxis zur Verfügung.
Gemeinsam mit ihm werden die eintreffenden Familienmitglieder betreut. Zunächst muss Schulthess den Ankommenden mitteilen, dass ihre Mutter gestorben ist. Dann versucht er, für die Betroffenen in ihrem unbeschreiblichen Schmerz einfach da zu sein und ihnen etwas Halt zu geben.
Später wird er zu einem Zentrum von Migrantinnen und Migranten gerufen. Hier sind zwei Personen zusammengebrochen. Schulthess wird bald durch die ankommende Rettungssanität abgelöst, so dass er in die Arztpraxis zurückkehren kann.
Wo war denn Gott?
Was kann in dieser schmerzlichen Situation helfen? «Ich habe auf Trostworte, Erklärungen oder Interpretationen verzichtet», sagt Schulthess. «Eine grosse Hilfe war mir selber, dass wir ein Team waren. Rettungssanität, Feuerwehr, Polizei, Gemeindeverwaltung, Arzt - alle arbeiteten zusammen, unterstützten einander. Es war eine starke Solidarität zu spüren, um diesem grauenvollen Ereignis gemeinsam zu begegnen.»
Spricht ein Seelsorger in diesem Moment nicht vom barmherzigen Gott? «Nein», sagt Schulthess unmissverständlich. «Im Chaos sind solche Worte fehl am Platz. Zudem: Wo war denn Gott, dass er die 48-jährige Frau, die zwei Kinder hat, nicht bewahrt hat? Und auch die Mutter von sechs Kindern lebt nicht mehr. Da können religiöse Worte wie Ohrfeigen sein. Denn gerade in dieser Situation, wo der Tod durch ein schreckliches Verbrechen herbeigeführt wurde, herrscht ein explosives Gemisch von Gefühlen. Zudem kamen hier Menschen aus unterschiedlichen Religionen zusammen. Darauf galt es Rücksicht zu nehmen. Im Innern aber war ich mit meinem Gott verbunden.»
Ein Gebet erwünscht
Anderntags bieten der Gemeindeschreiber und der Gemeindepräsident im Gemeindehaus einige Augenblicke des Gedenkens an. Dort spricht Schulthess auch ein kurzes Gebet, in dem er das unermessliche Leid vor Gott bringt und um Beistand bittet.
Am gleichen Morgen geht der Seelsorger mit einer Schar von Migrantinnen und Migranten an die beiden Tatorte. Auch dort spricht Schulthess ein schlichtes Gebet, nachdem er trotz verschiedener Religionen von vielen die Zustimmung dazu erhalten hat.
«Man spürte», erinnert sich Schulthess, «dass das Gebet sehr erwünscht war. Wir waren unvermittelt eine Völkergemeinschaft trotz ganz verschiedenen kulturellen und religiösen Hintergründen.»
Vier Tage nach der Bluttat wird die seelsorgerliche «Erstversorgung» nach einem Rundgang durch die verschiedenen Institutionen abgeschlossen. Einige Personen haben bereits weitere psychologische Betreuung angenommen. Für andere hängt im Gemeindehaus ein Flyer mit Adressen, an die man sich wenden kann.
Starke Solidarität
Wie verarbeitet der Notfallseelsorger das traumatische Geschehen selber? Peter Schulthess: «Regelmässige Gespräche während den letzten Tagen mit andern, die in das Ereignis involviert waren, halfen mir sehr. Dann ist das Eingebettet sein in meine Familie so kostbar und hilfreich. Es kamen auch Leute aus dem Dorf auf mich zu und trösteten mich. Man sagte mir, dass für mich gebetet wird. Diese Solidarität, diese Gemeinschaft tut so gut! Und dann ist natürlich Gott da und Jesus, der mich durch alles hindurch begleitet. Ohne ihn ginge es nicht!»
Der Alltag kommt wieder, Schulthess bereitet sich auf das Einweihungsfest des neuen Alterszentrums mit einem ökumenischen Gottesdienst vor. Er will dort kurz auf das unbegreifliche Geschehen eingehen, besonders im Eingangsgebet.
Doch der Doppelmord soll nicht das ganze Fest überschatten. Das schreckliche Ereignis wird noch lange nachklingen, dessen ist sich Schulthess bewusst. «Es ist, wie wenn das Dorf etwas verloren hat, das erst mit der Zeit wieder gewonnen werden kann.»
Diesen Artikel hat uns ideaSpektrum Schweiz zur Verfügung gestellt. Für weitere Artikel
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