Im Zürcher Quartier Niederdorf nimmt die Strassen-Prostitution immer mehr zu. In der Neujahrsnacht wurde eine junge Frau direkt vor einer evangelischen Freikirche vergewaltigt. Die Gemeinde will sich in dem Quartier mehr engagieren.
Lokal der «Gemeinde für Christus» im Zürcher Niederdorf.
Die Stadt Zürich hat ein Problem, dem sie kaum Herr wird: Die Prostitution breitet sich immer stärker aus. Durch eine neue Verordnung soll die Bevölkerung besser vor deren negativen Auswirkungen geschützt werden. Mit sogenannten «Verrichtungsboxen» und der Verlagerung in Randbezirke will man die Lage entschärfen. Der Strassenstrich im zentralen Stadtteil Niederdorf soll weiterhin erlaubt sein. Die Einwohner wehren sich vehement und haben nun sogar eine private Sicherheitsfirma engagiert. Am Neujahrsmorgen wurde eine 25-jährige Frau überfallen und sexuell missbraucht - direkt vor der Gräbligasse 14, dem Versammlungslokal der Gemeinde für Christus (GfC) Zürich.
Gottes Liebe weitergeben
Die Heilsarmee-Soldatin Cornelia Zürrer Ritter ist seit 13 Jahren im Zürcher Niederdorf unterwegs. Auch sie stellt fest, dass sich die Situation deutlich verschlechtert hat. Das Geschäft mit dem Sex spielte sich früher immer in den Häusern ab. Im Rahmen der EU-Personenfreizügigkeit seien viele Frauen aus Osteuropa angereist. «Diese Frauen stehen unter einem grossen Druck von ihren Zuhältern und sind teilweise vom Menschenhandel betroffen. Sie müssen sehr viel aggressiver Werbung für sich machen.» Der Strich verlagerte sich auf die Gasse. «Für die Frauen ist das gefährlich. Sie stehen an der Strasse und steigen bei den Freiern in die Autos ein.» Cornelia Zürrer Ritter selbst begegnet den Frauen mit der Würde, die ihnen sonst fehlt. Zusammen mit dem Team «Rahab» der Heilsarmee fragt sie bei ihren Besuchen nach dem Befinden, verteilt Essen, berät die Frauen in praktischen Fragen oder vermittelt den Zugang zu Fachstellen. «Durch unsere Arbeit spüren wir etwas davon, was es heisst, nachts bei jedem Wetter unterwegs zu sein. Es ist unser Wunsch, den Frauen etwas von Gottes grosser Liebe weiterzugeben und ihnen neue Hoffnung für ihre Zukunft zu machen», heisst es auf der Website des Teams.
Stärker nach aussen wirken
Walter Hartmann ist Mitglied der Gemeindeleitung der GfC Zürich in der Gräbligasse. Die Gemeinde fühlt sich durch das Milieu nicht beeinträchtigt oder gestört. Im Gegenteil: Ein Grossteil der Gemeindeglieder möchte eigentlich stärker nach aussen wirken. Das wünscht sich auch Walter Hartmann: «Wenn Gott unser Umfeld so bestimmt hat, dann hilft er uns auch, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen.» Ganz einfach sei das natürlich nicht. Im letzten Jahr habe man die Anwohner zu einem Nachbarschaftsapero eingeladen. Interesse habe es durchaus gegeben. Tatsächlich vorbeigekommen seien aber nur wenige. Hartmann setzt seine Hoffnung stark auf die Jugend.
Erste Schritte
Vor zwei Jahren wurde ein Hauskreis gestartet, der heute aus knapp 20 jungen Leuten besteht. Deren Leiter ist der gelernte Polizist Theo Büschlen. Er hat die Vision und den starken Wunsch, das Quartier zu erreichen. Mit dem Hauskreis geht er einmal im Monat auf die Strasse. In Zweier- oder Dreiergruppen sprechen sie mit Passanten über Jesus. Jeden Mittwoch wird für das Quartier gebetet. Am 25. Dezember half man bei einer Gassenweihnacht mit. Bevor sie aber gezielt auf Randgruppen zugehen, möchte Büschlen eine «solide Gruppe beisammen haben». Dazu sind sie auf einem guten Weg. Eine junge Frau etwa macht gerade ein Praktikum bei «Heartwings», der Gassenarbeit des Ehepaars Widmer. Erste Schritte wurden also unternommen. Schritte, die vielleicht mehr bewirken können als das blosse Engagieren einer Securitas-Firma.
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