Christen zwischen Fundamentalismus und Beliebigkeit
Das erste Forum für Grenzgänger zeigte am Samstag in Basel die Spannung und die Grenzen für Christen auf, die sich in der Gesellschaft engagieren.
Thomas Schirrmacher
Schon das Konzept der Tagung sprengte traditionelle Grenzen, indem es einen katholischen und einen evangelischen Referenten wählte. Thomas Schirrmacher ist weltweit bekannt als Religionswissenschafter, Experte für Religionsfreiheit, Buchautor und Rektor des Martin Bucer Instituts. Er legte das theologische Fundament. Der katholische Theologe Andreas Knapp erzählte von der Arbeit der «kleinen Brüder vom Evangelium» im sozialen Grenzgebiet von Leipzig.
Thomas Schirrmacher nahm Mass an den Erfahrungen und Entscheidungen der alttestamentlichen Persönlichkeiten Josef, Daniel und Mordechai. Alle drei haben sich in einer fremden Kultur intensiv engagiert und gesellschaftliche Verantwortung getragen. Gleichzeitig wurden alle drei vor eine Schlüsselentscheidungen gestellt, bei der es um die Treue zu Gott oder vollständige Anpassung an das politische und religiöse Umfeld ging. Im entscheidenden Moment hielten sie Gott die Treue. Alle drei nahmen später Schlüsselpositiionen ein, ohne Gott und seinen Willen zu verraten.
Zwischen Anpassung und Widerstand
Ebenso wie die drei Männer aus dem Alten Testament stehen aktive Christen in der Spannung zwischen Anpassung und Widerstand bzw. Prinzipientreue. Diese Spannung sollte nicht dadurch aufgelöst werden, dass sich Christen entweder zu den Konservativen oder den Progressiven schlagen und sich somit dem einen oder andern Zeitgeist anschliessen. Ebenso wenig könnten sie die Beliebigkeit als Prinzip teilen oder ihren Wahrheitsanspruch mit Gewalt durchsetzen wollen (Fundamentalismus), so Schirrmacher.
Es sei daher normal, dass sich Christen oft zwischen Stuhl und Bank wiederfinden, sagte der katholische Studentenseelsorger Christoph Albrecht bereits in der Einleitung zur Tagung. So sei es bereits den Profeten gegangen. Christen grenzten sich mit ihrer Grundüberzeugung von der Gesellschaft ab, seien aber dennoch gerufen, für diese Verantwortung zu übernehmen und sie mitzugestalten. Sie müssten sich aber selbst eine Grenze setzen. «Eine Grenze ist aber keine Mauer», betonte der Theologe Albrecht.
Die kleinen Brüder von Leipzig
Andreas Knapp
Wie solches Engagement (auch) aussehen kann, beschrieb der katholische Theologe und ehemalige Verantwortliche für Priesterausbildung, Andreas Knapp. Er lebt mit drei weiteren Mitgliedern der «kleinen Brüder vom Evangelium» in einer Plattenbausiedlung am (sozialen) Rande von Leipzig. Es ist der Teil Deutschlands, der am höchsten säkularisiert ist. Knapp arbeitet am Tage in einer Fabrik am Fliessband und knüpft in der Freizeit Kontakt zu den Menschen vor Ort. Die Brüder bieten ihnen Beratung, Hilfe und Gastfreundschaft an. Er umschreibt diesen Einsatz und dieses Leben als «nazarenische Spiritualität». Eine Spiritualität, die das Leben und Wirken von Jesus von Nazareth zum Vorbild nimmt.
Jesus habe in einem Dorf gelebt, wo man soziale Not, Krankheit und Tod kannte. Er war den Menschen nahe, die um ihre Existenz kämpften. Er sei deshalb diesen Menschen immer näher gestanden als dem religiösen Establishment. Ähnlich wie Jesus wollen die «kleinen Brüder» ihr Leben mit einfachen Menschen am Rande der Gesellschaft teilen.
In Workshops wurde anschliessend über die Schlussfolgerungen für gesellschaftliche Bereiche wie Kultur, Migration, Bildung und Wirtschaftsethik über die Konsequenzen für gesellschaftlich engagierte Christen diskutiert. Das Grenzgängerforum soll im nächsten Jahr eine Fortsetzung finden.
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