So viel Welt war noch nie in Thun. Aus allen Erdteilen kamen die 330 Teilnehmenden der Konferenz des Micah Network, das christliche Missions- und Entwicklungsorganisationen verbindet. Den roten Faden der Woche bildete der Appell, das Evangelium nicht bloss weiterzusagen, sondern durchgängig auszuleben.
Motivierender globaler Austausch: Sheryl Haw (vorne links), Direktorin des Micah Network, im Schlussplenum der Thuner Konferenz.
Sheryl Haw, Direktorin des Micah Network, zog gegenüber Livenet eine positive Bilanz der Thuner Konferenz. Der globale Austausch sei praxisbezogen verlaufen und habe aufs Handeln gezielt. «Wenn wir wissen, ohne zu handeln, betrügen wir uns selbst. Was ist Gottes Herz für Gerechtigkeit, für Mitmenschlichkeit – und welchen Gehorsam erwartet er von uns als Antwort auf seinen Ruf?» Sheryl Haw macht den Erfolg davon abhängig, dass die inspirierenden Tage in Thun zum Handeln führen. «Du kannst von einer Sache überzeugt sein – aber dann kommt es darauf an, dass du dich entscheidest etwas zu tun!» Haw verwies auf die Schlusserklärung, welche die Teilnehmenden und die christliche Öffentlichkeit mit präzisen Fragen zum Handeln auffordert. «Be the change you want to see», hiess es auf einem Banner: «Sei der Wandel, den du sehen willst.»
90 Schweizer öffneten ihr Haus
Die in Simbabwe aufgewachsene Tagungsleiterin dankte den Schweizern Organisatoren und Gastgebern. 90 Familien nahmen Gäste auf, was die Kosten ermässigte. Manche Teilnehmende aus Übersee sprachen in Gemeinden, einige trafen Parlamentsabgeordnete. Haw: «Wir wollten nicht herkommen und gleich wieder abreisen (hit and run), sondern die Schweiz spüren lassen, was wir empfinden.»
Joel Edwards, Leiter der mit dem Netzwerk verbundenen Micah Challenge-Kampagne, lobte den Spirit der integralen Mission, der in Thun spürbar gewesen sei. Micah Challenge (in der Schweiz: StopArmut 2015) ruft Christen zum Einsatz zugunsten der Armen auf. Im Oktober 2013 will man weltweit Korruption anprangern und Auswege aufzeigen. In Thun konnte Edwards die Kampagne vorstellen.
Evangelisation und soziales Engagement
Kind im Osten Kongos: Wird es gute Tage sehen oder der Gewalt zum Opfer fallen?
Als wegweisend erachten Teilnehmer die Thesen über ethische Evangelisation, die Elmer J. Thiessen vorlegte – ein heisses Eisen, da missionarischen Christen oft unterstellt wird, Empfänger von Hilfe mit Druck «bekehren» zu wollen. Thiessen hielt fest, die Verbindung von Evangelisation und sozialem Engagement stelle das Ideal dar und die beiden durchwirkten sich gegenseitig. Doch könnten sie im Kern getrennt werden; umso wichtiger sei die Balance, welche Christen «insgesamt und auf lange Sicht» zwischen den beiden Aspekten ihrer Mission halten müssten.
Ein (einseitiges) Engagement für soziale Gerechtigkeit ist im Auftrag von Jesus begründet, die Armen zu speisen und gegen Armut und Ausbeutung zu kämpfen. Und auch wenn nur dies geschehe, sagte Thiessen, trage es doch mittelbar zur Evangelisation bei, denn die Hilfsempfänger würden irgendwann die christliche Motivation erfassen. «Christliche Hilfsorganisationen leisten nicht Hilfe an Bedürftigen, damit sie evangelisieren können, sondern weil es ihre christliche Berufung ist, ihnen unter die Arme zu greifen.»
Leitlinien für ethische Evangelisation
Thiessen bedauerte, dass Christen im Lauf der Kirchen- und Missionsgeschichte gegen christliche Grundsätze verstossen haben, und formulierte Leitlinien für ethische Evangelisation: Die Würde von Hilfsempfängern ist zu wahren, auch ihre gemeinschaftliche Identität ist zu achten. Im Bild Gottes geschaffene Menschen sind frei, auf das Evangelium einzugehen oder es abzulehnen. Evangelisation hat ohne psychologische Manipulation zu geschehen. Sind Menschen schwach oder verletzlich, ist besondere Zurückhaltung geboten. Demut soll den Evangelisten oder Helfer auszeichnen. Er darf seine starke Stellung nicht ausnutzen, um Ziele mit Drängen zu erreichen. Und: Hilfsempfängern soll klar gemacht werden, dass sie Hilfe bekommen, auch wenn sie eine Entscheidung für Christen ablehnen.
Auf alle Bedürfnisse achten
Lebe den Wandel, von dem du träumst: René Padilla vor dem Panel aus Australien, der die Stossrichtung des Netzwerks wiedergibt.
René Padilla, der seit der historischen Konferenz in Lausanne 1974 zu den prägnanten Köpfen der evangelikalen Bewegung gehört, betonte in Thun, «dass das bisherige Verhalten der reichen Länder und die Armut im Rest der Welt zusammenhangen». Evangelische Christen hätten sich zu lange auf die Erlösungsbedürftigkeit der Menschen konzentriert – doch bräuchten diese «auch Essen, Wasser und ein Dach über dem Kopf und Weiteres». In den bald 40 Jahren seit der Lausanner Konferenz hat sich, so Padilla, allerdings viel verändert. «Unsere Mission ist ganzheitlich. Das Reich Gottes schliesst die gesamte Schöpfung ein, alles Leben, und zielt auf Gerechtigkeit und Frieden.»
Armut als Thema – in der reichen Schweiz
Die Schweizer Veranstalter mussten sich wegen der Ungerechtigkeiten im globalen Finanzsystem einiges anhören. Marc Jost von der Evangelischen Allianz: «Es war unmöglich, nicht darüber zu reden. Was haben wir Christen unternommen, um ungerechte Strukturen zu korrigieren?» Jost will die Anliegen des Netzwerks vermehrt in die Schweizer Kirchenlandschaft tragen. Markus Dubach, Schweizer Leiter der Überseeischen Missionsgemeinschaft ÜMG, schätzte den globalen Austausch unter Leitern von Kirchen, Missionen und Hilfswerken. «Wir hörten bewegende Berichte von dem, was Gott auf anderen Kontinenten tut.»
Mutiger evangelisieren
Soziales Engagement und die Verkündigung des Evangeliums gehören gemäss Dubach zusammen – und dies ist auch in Politik und Gesellschaft zu vertreten. «Wir setzen uns für Gerechtigkeit ein, aber nicht allein um ihrer selbst willen, sondern weil Gott so ist und sie zu unserem Wesen gehört. Wir sind Vertreter eines Gottes, der gerecht, liebevoll und barmherzig ist – und dies in Demut.» Die Stossrichtung der Konferenz für Dubach: «Seid mutiger im Evangelisieren – und habt die Augen offen für Nöte um euch herum. Und kombiniert das.»
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