Was befähigt Freikirchen, gegen den säkularen Trend zur selbstbezogenen Lebensgestaltung zu bestehen? Neue Studien belegen eine bemerkenswerte Dynamik in der Szene.
Einsegnung von Babies in der Stami St. Gallen
Auf einen Reformierten gehen landesweit zwei Freikirchler in den Gottesdienst. Manche Freikirchen wachsen, während andere schrumpfen oder stagnieren. Das Nationale Forschungsprogramm NFP 58 des Bundes hat die Dynamik von Freikirchen aufgezeigt. Insgesamt zählen sie gemäss dem Neuenburger Religionssoziologen Olivier Favre 150'000 Mitglieder.
Familie und Verantwortung
Am Leiterforum der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA) am 5. Dezember in Oberägeri verband Olivier Favre NFP 58-Ergebnisse mit Erkenntnissen seiner Doktorarbeit (2006), der ersten religionssoziologischen Gesamtdarstellung der Freikirchen des Landes. Besucher einer Freikirche entsprechen in vielem dem helvetischen Durchschnitt, etwa beim Haushaltseinkommen.
Doch laut Favre sind sie überdurchschnittlich häufig in sozialen und pädagogischen Berufen sowie in leitenden Stellungen vertreten. Bei ihnen ist der Anteil der Verheirateten um die Hälfte höher als bei den Reformierten. Frauen haben mehr Kinder (1,9 gegenüber 1,4) und gehen weniger häufig einer Erwerbstätigkeit nach. Während weniger als 10 Prozent der Gesamtbevölkerung täglich oder wöchentlich die Bibel lesen, tun dies in freikirchlichen Gemeinden neun von zehn Christen.
Religiös distanziert
Olivier Favre
Die freikirchlichen Gemeinden leben inmitten einer spätmodernen Gesellschaft. Heute sei die Kirche nicht mehr sozial prägend, sondern Teil der Freizeitgestaltung, erläutert der Soziologe Favre. «Zwar bleiben die Schweizer religiös, aber mit Distanz.» Forscher schätzen den Anteil der religiös Distanzierten auf 64 Prozent.
«Sie glauben an eine höhere Macht», sagt Favre, «sie gehen an Weihnachten vielleicht zur Kirche, sind aber auch offen für Yoga, allerdings ohne ihm eine geistliche Dimension zu geben.» Das Christentum zeige sich für sie in Toleranz und Hilfe für Bedürftige, nach dem Motto: «Die Kirche ist wichtig für jene, die sie brauchen – aber nicht für mich». Religiös Distanzierte mögen es nicht, wenn man ihnen sagt, was sie glauben sollen.
Auf den Umbruch reagieren
Geraten die Freikirchen in diesem gesellschaftlichen Umbruch ins Abseits? In der Postmoderne sind diejenigen erfolgreich, die sich vom Zeitgeist herausfordern lassen. Für Favre hat diese These viel mehr für sich als die Behauptung, Freikirchen überlebten durch fundamentalistische Abschottung von der Gesellschaft.
In den letzten Jahrzehnten hätten jene Gemeinden einen Aufschwung erlebt, die ihre Sing- und Musikkultur mit zeitgenössischen Liedern anreicherten und dabei der Oberflächlichkeit der Popkultur widerstanden. Durch kreative und ausgefeilte Angebote für Kinder und Jugendliche, junge Erwachsene und Paare und das freiwillige Engagement vieler vermögen Freikirchen dem Traditionsabbruch, der die Landeskirchen in ihrer Existenz bedroht, eher zu entgehen.
Den gesamten Text über die Schweizer Freikirchen im gesellschaftlichen Umbruch lesen Sie im idea Spektrum.
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