Wie berechtigt sind die «Sorgen» der Sektenexperten?
Die Pendlerzeitung 20 Minuten publizierte einen Artikel mit dem Thema «Freikirchen missionieren in Asylzentren». Die Leiterkonferenz der Freikirchen (LKF) hat davon Kenntnis genommen und darauf hingewiesen, dass die Evangelische Allianz für die Arbeit mit Migranten kürzlich einen Verhaltenskodex formuliert hat.
Helfer von Samaritan's Purse übergibt Flüchtlingen gefüllte Taschen.
Der Artikel in 20 Minuten basiert auf einem Blog des Journalisten Hugo Stamm und von Regina Spiess, Mitarbeiterin von Infosekta. Die Vorwürfe, Freikirchen würden in Asylunterkünften missionieren, sind jedoch sehr pauschal. Erwähnt werden zum Beispiel Sprachkurse oder Spielnachmittage für Kinder, die von Freikirchen durchgeführt werden. Doch sind das schon Missionsaktivitäten?
Schlagzeile in «20 minuten» vom 1.12.15
Als Beispiel für eine missionierende «Freikirche» nennt Hugo Stamm pikanterweise die Zeugen Jehovas. Spiess unterstellt den Freikirchen, leider sei «bei solchen Aktivitäten immer auch der Missionsgedanke verbunden». Problematisch sind die Freikirchen für sie zum Beispiel wegen «ihrer rigiden Sexualmoral».
Maulkorb unterschreiben?
Aufgrund der pauschalen Vorwürfe und Verdächtigungen hat die Asylorganisation AOZ, die im Kanton Zürich Unterkünfte für Flüchtlinge betreut, Freikirchen im Raum Zürich angeschrieben und sie aufgefordert, eine Erklärung zu unterschreiben, dass sie keine missionarischen Absichten hätten. Unter anderen auch das ICF.
Für ICF-Sprecher Nicolas Legler ist das ein Affront, wie er der Pendlerzeitung sagt. «Ich finde es sehr bedenklich, wenn man in einem christlichen Land seine Überzeugungen an der Garderobe abgeben muss, damit man helfen darf.» Wenn ICF-Besucher sich in Asylzentren engagierten, machten sie das aus humanitärem Antrieb und Nächstenliebe. «Dahinter steckt keine versteckte Strategie. Es gehe darum, Zeit mit den Flüchtlingen zu verbringen und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie hier willkommen sind.» Ob ICF die Vereinbarung unterzeichnen wird, sei noch unklar.
Verhaltenskodex für Migrationsbegleiter
Und wohl auch unnötig, hat doch die Evangelische Allianz einen Verhaltenskodex für MigrationsbegleiterInnen (MB) herausgegeben, in dem sie Verhaltensregeln definiert. Darin heisst es zum Beispiel: «Die MB geniessen und achten die Meinungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Sie arbeiten in einer Weise, die keine religiösen Pflichten von den Begünstigten voraussetzt. Die MB schliessen jegliche Form von Zwang und Manipulation aus.»
Max Schläpfer, Präsident des Freikirchenverbandes VFG wird denn auch von 20 Minuten zitiert mit den Worten: «Wir manipulieren niemanden. Die Leute sollen zuhören und dann selber entscheiden, ob sie unsere Botschaft gut finden.» Kein Mensch, der einen gefestigten anderen Glauben habe, werde diesen einfach so über Bord werfen. «Hingegen gibt es viele Migranten, die aus ähnlichen religiösen Hintergründen kommen und in unseren Gottesdiensten ein Stück Heimat finden.»
Kommentar
Redaktor Fritz Imhof
Zu wünschen wäre eine Diskussion in der Gesellschaft, ob es im Sinne der Integration erwünscht ist, dass Flüchtlinge auch religiös integriert werden sollen, was unter Umständen mit einem Religionswechsel verbunden sein kann. Gerade wenn Flüchtlinge Anschluss an eine Kirche finden – das ist häufig eine Migrantenkirche – kann das für ihre Integration hilfreich sein. Die erwähnte Panikmache in den Medien durch religionskritische Leute muss ebenso kritisch hinterfragt werden. Vor allem braucht es mehr als nur pauschale Verdächtigungen, wenn Freikirchen Mission unterstellt wird. Zu fragen ist auch nach dem Missionsbegriff und allenfalls veralteten Vorstellungen, die dahinter stecken. Pauschale Verdächtigungen gegen jene, die Flüchtlingen die Hand reichen, ist jedenfalls kein Integrationsbeitrag.
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