Interview mit René E. Häsler

«Das Christliche hat an Bedeutungshoheit gewonnen»

René E. Häsler gehört zu den Pionieren christlicher Sozialpädagogik in der Schweiz. Der Vollblutpädagoge und Stratege ist Gründer des Christlichen Internats Gsteigwiler, langjähriger Dozent und Mitgründer der Höheren Fachschule für Sozialpädagogik (hfs) des Instituts für christliche Psychologie (icp) und Unternehmer.

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René E. Häsler
René Häsler, Sie sind im Jahr 2000 als Gesamtleiter Ihres Internats zusammen mit zwei anderen Leitern von Institutionen auf das icp zugekommen. Was war damals Ihr Anliegen?
René Häsler: Paul Mori, Hansueli Birenstihl und ich kamen mit dem Wunsch, dass in Zukunft genügend christliche Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen ausgebildet werden, damit der Bedarf unserer Institutionen gedeckt werden kann. Das icp hatte bis dahin vor allem Sozialtherapeuten ausgebildet. Unsere Erfahrung mit ihnen war, dass sie – zugespitzt gesagt – zu viel redeten und zu wenig handelten.

18 Jahre später ist aus dieser Schule eine anerkannte Höhere Fachschule mit heute 85 Studierenden entstanden. Was freut Sie besonders, wenn Sie auf diesen langen Weg zurückblicken?
Besonders freut mich, dass wir in dieser ganzen Zeit, als unsere Absolventen noch nicht offiziell anerkannt waren, durchhielten und zielstrebig die Voraussetzungen für die Anerkennung schufen. Stolz macht mich, dass wir diese Phase ohne staatliche Finanzierung überbrücken konnten und dabei viel Zuspruch erhielten. Es war eine grosse Leistung der Verantwortlichen rund um Roland Mahler, Werner May und Marc Peterhans, dass wir schliesslich die Anerkennung erlangten.

Was war Ihnen als Dozent wichtig, den Studierenden weiterzugeben?
Besonders wichtig war mir, dass wir unter den Dozenten nicht nur Theoretiker ohne Praxisbezug haben, sondern auch Praktiker. Da das icp stark mit Ignis zusammenarbeitete, bestand anfänglich ein Übergewicht an deutschen Dozenten. Ich setzte mich für einen höheren Anteil an Dozentinnen und Dozenten aus der Schweiz ein. Mir war persönlich auch wichtig, dass ich mit meinen Modulen die Studierenden für Kriseninterventionen fit machen konnte. Sie sollten im Voraus, also präventiv wirken und Krisen wo möglich verhindern. Wenn es eine Krise gibt, soll sie nicht weggezaubert werden, sondern professionell begleitet werden. Wichtig ist aber auch, dass bei Krisen sofort eine Entlastung stattfindet. Es darf sogar eine Würdigung der Krise geben.

Was hat sich aus Ihrer Sicht in der sozialpädagogischen Landschaft seit den Anfängen des icp am meisten verändert?
Überall wird heute gespart. Stationäre Settings sind teuer, sodass man dafür Alternativen sucht. Das neue Zauberwort heisst «Sozialraumorientierung». Statt ein Kind in ein Heim in einem anderen Kanton zu stecken, soll es, wo immer möglich, in der Familie bleiben und ein ambulantes Setting erhalten, zum Beispiel eine Familienbegleitung durch «Nannys». Man wartet immer länger, bis man ein Kind in einer Institution platziert. Es gibt seitdem eine «neue Industrie» im ambulanten Bereich, zum Beispiel zahlreiche Angebote in der Familienbegleitung.

Wie hat sich dieses Konzept bewährt?
Zurzeit wird die Frage geprüft, wie man der dadurch entstandenen Kostenexplosion begegnen soll. Auch der Erfahrung, dass Jugendliche oft erst dann in eine Institution eingewiesen werden, wenn ihr Verhalten sogar die meisten Heime überfordert. Eine Bumerang-Situation. Viele Heime sind seither geschlossen worden, weil sie nicht mehr finanziert werden konnten. Auch wir haben eine Station abgebaut, nachdem die Zahl eingewiesener Schüler rückläufig war. Wir stehen vor einer Wellenbewegung. Früher oder später werden die stationären Settings wieder wichtiger sein. Trends kommen und gehen.

Nun haben Sie die Leitung der Programmkommission an der hfs abgegeben, ebenso die Leitung des Internats an Ihre Söhne. Wofür nutzen Sie die frei werdende Zeit?
Ich kann mir allmählich ein «fading» erlauben und etwas in den Hintergrund treten. Ich werde dem hfs auch bei strategischen Entscheiden zur Verfügung stehen, aber nicht mehr operativ tätig sein. Das gilt auch für das Internat in Gsteigwiler, wo meine Söhne inzwischen in der Lage sind, auch wichtige Entscheidungen zu fällen, wenn es zu Krisensituationen kommt wie letzthin, als sich ein Mädchen selbst verletzte. Ich leite ausserdem noch Firmen wie ein Carosseriewerk, die BeO Pellets GmbH und die Top Camp AG. 

Wie sehen Sie die Zukunft der christlichen Privatschulen?
Sie haben auf jeden Fall eine Zukunftsperspektive. Ich zitiere dazu meinen Vater, der öfter sagte: «Als Christ sollst du ein weites Herz auf engem Pfade haben.» Also nicht ein weites Herz auf weitem Pfade und nicht ein enges Herz auf engem Pfade. Das heisst, dass du durch den Glauben Eckpunkte gesetzt hast, aber auch grosse Toleranz üben kannst. Christliche Schulen, die sich eng positionieren, dürften Mühe haben. Wir erleben allerdings, dass allein durch den Begriff «Christliches Internat» viele Anfragen auf uns zukommen. Interessanterweise haben wir ständig auch etwa 12 Prozent Muslime bei uns. Nicht aus fundamentalistischen Familien, aber von Familien, die empfinden, dass wir ihnen mit unseren ethischen Werten nahestehen. Sie wissen, dass bei uns die Sozialpädagogen nicht zusammen mit den Schülern kiffen. Es gibt Verbindendes zwischen unseren Religionen, zum Beispiel die Zehn Gebote. In der sozialpädagogigschen Landschaft wurden auch Gesundheitsfragen und Spiritualität wichtiger. Das Christliche hat an Bedeutungshoheit gewonnen.

Das vollständige Interview mit René E. Häsler erscheint in der Zeitschrift «Ausblick» der Höheren Fachschule für Sozialpädagogik hfs des icp.

René E. Häsler (59) gründete mit 27 Jahren die Privatschule Christliches Internat Gsteigwiler (CIG) mit drei Schülern. Heute hat das CIG verschiedene Stationen mit ca. 70 Schülerinnen und Schülern. Später studierte er an der Universität Bern Pädagogik, Psychologie und Psychopathologie. Seit 2001 war er Dozent am icp sowie Mitglied und elf Jahre Präsident der Schulkommission. Seit 2000 ist er Vorstandsmitglied und Präsident der Qualitätskommission des Verbandes Schweizerischer Privatschulen.

Zum Thema:
In Menschen investieren: «Es bewegt, zu sehen, wie sich Studierende entwickeln»
Christliche soziale Arbeit: «Ein Zukunftsbild, das Begeisterung auslöst»
50 prägende Jahre: Von der Heimerziehung zur Sozialpädagogik

Datum: 10.12.2018
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet / icp Ausblick

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