Auch Schwarzafrikaner leben gefährlich im Wüstenstaat
Das Massaker von
Pfingsten wirft ein Schlaglicht auf die Leidensgeschichte christlicher Sklaven,
aber auch auf eine Heldengeschichte von Menschen, die ihnen beistanden. Und sie
erinnert an das Vermächtnis von James Richardson.
In Libyen wurde an Pfingsten ein weiterer Massenmord verübt,
diesmal an Schwarzafrikanern. Zuletzt traf es vor fünf Jahren 21 koptische Christen
aus Ägypten und 34 ebenfalls christliche Eritreer und Äthiopier, die von
libyschen Islamisten an der Mittelmeerküste geköpft oder beim alten
Sklavenmarkt von Mursuk in der Wüste erschossen wurden. Sie hatten sich
geweigert, dem Glauben an Jesus abzuschwören und zum Islam überzutreten.
Diesmal wurden in Mizda, südlich der Hauptstadt Tripoli, 30 Schwarzafrikaner
und Inder aus Bangladesch getötet und ein weiteres Dutzend schwer verletzt.
Verbündete des «Islamischen Staats»
Obwohl dieses Massaker keinen religiösen Hintergrund hatte,
sondern eher ein Racheakt war, sind dafür wieder mit der Dachorganisation
«Islamischer Staat» (IS) liierte Muslimmilizen verantwortlich. Zudem befanden
sich unter den schwarzafrikanischen Opfern auch Christen. Die «Ärzte ohne
Grenzen» versuchen noch, ihre kirchliche Zugehörigkeit zu klären. Christen
waren schon früher unter dem von libyschen Sklavenhändlern verschleppten
«Schwarzen Elfenbein», seit Methodisten und Baptisten im frühen 19. Jahrhundert
in der Sahelzone ihre Verkündigung begonnen hatten.
Sklavenkarawanen
Aus der letzten Sklavenkarawane, die 1926 durchs Stadttor
von Mursuk wankte, haben die damaligen italienischen Kolonialherren zahlreiche
christliche Schwarze befreit. Der Handel mit Christensklaven war seit dem
Mittelalter Haupteinkommen der so genannten «Barbaresken-Staaten» von Tripoli
und Bengasi. Jene wurden durch Piraterie von gekaperten Schiffen oder den
Küsten des Mittelmeers geraubt und in eigenen Gefängnissen, «Bagno» genannt,
festgehalten. Mutige Waldenser- und Hugenotten liessen sich mit ihnen rauben
und bestärkten sie auch in der Knechtschaft im Glauben.
Das besonders harte Los der Sklavinnen
Jean Le Vacher, der so wirkte und 1648 bis 1653 auch
französischer Konsul in Tunis war, hat uns von der Lage in Libyen erschütternde
Berichte hinterlassen: «Mädchen und Frauen haben in der Sklaverei der Korsaren
ein besonders schlimmes Los. Zur harten Arbeit, böswilligen Quälereien und
ständigen Versuchen, sie bald mit Drohungen, bald mit dem Versprechen von
Vergünstigungen vom Glauben an Jesus abspenstig zu machen, treten unsittliche
Angebote und Misshandlungen, nicht enden wollende Vergewaltigungen.» Jean Le
Vacher selbst wurde 1686 als lebende Kugel aus einer Kanone geschossen…
Die moderne Sklaverei
Im frühen 19. Jahrhundert fand die Sklavenjagd im Mittelmeer
durch die Seeüberlegenheit von Europäern und Amerikanern ihr Ende. Nun waren es
Schwarzafrikaner, mit denen sich die Sklavenmärkte und -gefängnisse in Tripoli
und Bengasi füllten. Heute werden diese Opfer nicht mehr herangeschleppt,
sondern mit Verheissungen eines besseren Lebens und der Weiterreise nach Europa
geködert. Viele von ihnen kommen schon bei der Durchquerung der Sahara ums Leben.
Die Übrigen werden in Libyen Opfer von modernen Sklavenhändlern oder
Transplantations-Verbrechern, die an den Organen gesunder junger Leute
interessiert sind.
Mizda: Älteste Kirche und Migrantengefängnis
Mizda ist einer der Umschlagplätze für diese schmutzigen
Geschäfte. Umso trauriger, als sich genau dort die Überreste der ältesten
christlichen Kirche Libyens aus dem 4. Jahrhundert finden. Eine grosse
Lagerhalle dient als Migrantengefängnis. Die meisten werden innerhalb Libyens
weiterverschachert, nur ein Teil «Unbrauchbare» der halsbrecherischen
Weiterfahrt übers Mittelmeer ausgeliefert. Mit Marine-Operationen wie jetzt von
der EU-«Irini» kann daher nur ein Teil des Problems gelöst werden. Vor allem im
libyschen Hinterland müsste aufgeräumt werden, was nicht so bald zu bewältigen
ist.
Das Vermächtnis von James Richardson
Als einzige erfolgversprechende Lösung erscheint daher die
Vision des englischen Missionars James Richardson (1809 - 1851), die Lösung des
Übels schon in den Ausgangsländern der Migration an der Wurzel zu packen. In
Mizda wird noch heute sein Haus gezeigt. Hochaktuell sind jetzt seine Worte: «Beten wir, dass sich die Lebensverhältnisse in Afrika südlich der Sahara
soweit verbessern, dass dort die jungen Leute nicht mehr Sklavenhändlern zum
Opfer fallen und nicht mehr in der Hoffnung auf ein besseres Schicksal in
Europa ihr Leben riskieren müssen.» Ein Anliegen, dem auch der Schweizer Zweig
der «Vereinigten Sudanmission» (VSM) heute weiter dient.
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