«Die
grösste Täuschung, die ich in 49 Jahren der Nachfolge Jesu gesehen habe», nannte
Dr. Michael Brown die falschen «Prophetien» in den USA über den Wahlausgang
Trump – Biden. Wie sind so Täuschungen möglich? Ein Verstehensversuch.
Rund 40 bekannte und weniger
bekannte charismatische Propheten sagten einen Sieg von Präsident Trump voraus,
viele unbeirrt von den sich entwickelnden Fakten. Einige
von ihnen haben sich öffentlich entschuldigt und versuchen, die Gründe für eine
solche Täuschung zu erklären – ein Prozess der Selbstreinigung und eine Hilfe,
Prophetie heute nüchterner zu verstehen.
«Mit
den Wölfen geheult»
Pastor Loren Sandford
Pastor
Loren Sandford gab zu: «Ich habe es mir gestattet, mit dem Strom zu
schwimmen und wurde von ihm mitgerissen.» Das ist wohl der häufigste Grund für
eine – im Nachhinein – falsche Prophetie. Auch prophetische Gabenträger sind
eingebettet in eine Kultur, einen «Strom», und der Strom charismatischer
Christen war nun einmal weitgehend für Trump. Sandford selbst hatte eigentlich
das Prinzip, sich «nie auf andere Prophetien zu verlassen». In Jeremia Kapitel 23, Vers 30
(ein lohnendes Kapitel in diesem Zusammenhang) wendet sich Gott gegen die
«Propheten, die einer dem anderen das Wort aus dem Mund stehlen». Sandford gibt
zu, dass er im Fall der Präsidentenwahl diesen Entschluss verlassen und sich
den Stimmen «grösserer und bekannterer» Propheten angeschlossen hat, die alle die
Wiederwahl Trumps voraussagten – obwohl er selbst frühzeitig auch Zweifel am
Charakter des Präsidenten äusserte. Er sei bisher oft ein Aussenseiter im Chor
der Propheten gewesen, erklärt er, eher wie «Micha gegen die 400 Propheten»
(1.Könige Kapitel 22) – im Fall Trump habe er dazu nicht den Mut gehabt.
Wir
hören, was wir hören wollen
Das ist eine weitere sehr
menschliche Tendenz bei «Prophetien», in denen ja immer menschliche und
göttliche Anteile enthalten sind. «Starke Meinungen und Überzeugungen spielen
auch bei Propheten eine Rolle», erklärt Sandford, in seinem Fall «eine starke
negative Meinung von der Partei der Demokraten». Da ist der Schritt nicht weit,
dass man seiner persönlichen Meinung eine geistliche Überhöhung gibt: «So
spricht der Herr...» Je mehr jemand persönlich in einem Thema engagiert ist, um
so schwieriger ist es oft, klar zu denken und zu hören, erklärt Craig Keener in
«Christianity Today» zum
Thema.
Die
Propheten und ihre Plattform
Wer gibt überhaupt den
«Propheten» eine Plattform? Die Gefahr der Abgehobenheit und der fehlenden
Rechenschaftspflicht im Zeitalter der sozialen und der Massenmedien gross. Das
Neue Testament sieht nicht umsonst nüchtern die Ortsgemeinde als Ort der
Prüfung von Prophetien – lokale Beurteilung und ggf. Korrektur, bevor grosser
Schaden angerichtet werden kann.
Es ist nicht nur die Schuld der Propheten,
dass eine verwöhnte und konsumorientierte Christenheit hören will, wonach ihnen
«die Ohren jücken». Auch hier spielen offenbar Angebot und Nachfrage: «Die Leute
sagen zu den Propheten: 'Ihr sollt keine Offenbarungen haben! Sagt uns nicht,
was recht ist, sondern was uns gefällt! Lasst uns doch unsere Illusionen!'»
(Jesaja Kapitel 30, Vers 10 GNB)
Vorhersage
oder Hervorsage?
Weiter: Prophetie, zumindest im
Sinne des Neuen Testaments, ist eher Hervorsage als Vorhersage. Sie macht
offenbar, was Gott auf dem Herzen hat oder spricht ein spezifisches Wort Gottes
in ein Leben hinein – und nicht so sehr Zukunfts-Voraussage. Schon von daher wirft es
Fragen auf, wenn Dutzende von «Prophetien» sich auf (politische) Vorhersagen
beschränken – und erst recht, wenn sie dem Mainstream ihrer Zuhörer, Fans und
Unterstützer «nach dem Maul reden». Biblische Prophetie redet oft mehr über das
«Was» als über das «Wann».
Prophetische
Basics
Jeremiah Johnson
Schliesslich gehört es zum gesunden
Umgang mit christlicher Prophetie, zwischen drei Schritten deutlich zu
unterscheiden: Eindruck – Interpretation – Anwendung. Alle drei können
verschieden sein, unterschiedliche Zeiten und Umstände betreffen und müssen
auch gar nicht von der gleichen Person angebracht werden. Paulus bekommt von
einem Propheten die Voraussage «In Jerusalem erwartet dich Verfolgung» – aber
er deutet dieses Wort selbständig und lässt sich nicht von seinem Plan
abbringen: ein schönes Beispiel für die Freiheit, selbst mit einem
prophetischen Wort umzugehen (Apostelgeschichte Kapitel 21, Verse 10-14).
Schliesslich: Gott gestaltet Geschichte dynamisch; wir neigen dazu, etwas, was
wir einmal verstanden haben, in Stein zu meisseln. Jeremiah Johnson etwa hatte
die Wahl Trumps bereits im Sommer 2015 vorausgesagt, als dieser noch gar kein
ernsthafter Kandidat war; in seiner Entschuldigung nun
bekennt er, dass er zu viel in die damalige Entwicklung hineingelesen habe.
Falsche
Propheten?
Haben wir hier nun alles falsche Propheten vor
uns? Das muss nicht unbedingt sein. Nach der Bibel sind «falsche Propheten»
solche, die in böser Absicht bewusst Irrlehren einführen (2. Petrus Kapitel 2, Vers 1),
«reissende Wölfe in Schafskleidern» (Matthäus Kapitel 7, Vers 15) und solche, die gewohnheitsmässig
– z.B. aus Geldgier oder Geltungssucht – nur das «weissagen», was die Leute
gern hören wollen (vgl. Jeremia Kapitel 14, Vers 13f u.a.). Auch ein Prophet wird vor allem nach
den Motiven beurteilt, die ihn antreiben. Propheten, die sich irren, müssen
also darum im Sinne der Bibel noch nicht falsche Propheten sein – erst recht
nicht, wenn sie ihren Irrtum er- und bekennen. Prophetien müssen geprüft werden
– wenn möglich, bevor sie veröffentlicht werden. Wenn nötig, nachher.
Das Trump-Debakel zeigt: Viele Fehlentwicklungen unter der charismatischen
Christenheit in den USA müssen dringend korrigiert werden. Die falsche Reaktion
wäre es aber, das Kind der echten Prophetie mit dem Badewasser auszuschütten
und in einen Rationalismus zurückzufallen. Zu hoffen ist stattdessen, dass das
leichtfertige Aussprechen von «Jesus hat mir gesagt» oder «So spricht der Herr»
in Zukunft auf eine reifere Hörerschaft trifft, die «prüft» und nicht alles für
bare Münze nimmt – was übrigens nicht nur für die Prophetie, sondern genau so
für alles gilt, was von Kanzeln herunter kommt.
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