Empörung über Bibelfoto

Donald Trump: Mit Tränengas zum Gottesdienst

Wieder einmal geht ein Foto von Donald Trump um die Welt und entsetzt Menschen: George Floyd stirbt nach einem brutalen Polizeieinsatz. In der Folge kommt es zu Unruhen auf den Strassen. Nach einer Pressekonferenz des US-Präsidenten lässt sich Trump den Weg in den Gottesdienst mit Tränengas freimachen und hält dabei demonstrativ eine Bibel in die Kamera. – Ein Kommentar.

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Donald Trump vor der St. John's Church in Washington (Bild: Reuters)
«Donald Trump, werfen Sie die Bibel weg!», empört sich Sam Urech zu Recht in seinem wöchentlichen Artikel als «Halleluja-Kolumnist». Doch wie immer findet der US-Präsident – gerade bei den Christen im eigenen Land – auch vehemente Zustimmung. «Das ist typisch Trump», entschuldigen einige. «Er polarisiert eben. Aber er zeigt Stärke – und weist wieder einmal auf Gott hin.» Wie zynisch eine solche Sichtweise ist, wird deutlich, wenn ich das Foto, auf dem Donald Trump eine Bibel fast trotzig in die Kamera hält, in seinen inhaltlichen Zusammenhang stelle.

Was ist eigentlich passiert?

Am 25. Mai wollten vier Polizisten in Minneapolis den Afroamerikaner George Floyd (46) verhaften. Der Unbewaffnete weigerte sich, in ein Polizeiauto zu steigen. Daraufhin wurde er zu Boden gebracht. Ein Polizist kniete dabei über acht Minuten lang auf Floyds Rücken und Nacken, obwohl dieser wiederholt klagte: «I can't breathe!» (Ich bekomme keine Luft!) Er übergab den inzwischen Bewusstlosen erst an die Besatzung eines Rettungswagens, die ihn ins Krankenhaus brachte. Dort wurde sein Tod festgestellt. Inzwischen scheint es klar, dass er erstickte. Floyds Tod befeuerte die immer wieder aufflammende Diskussion um strukturellen Rassismus in den USA bzw. die Angst, ein Schwarzer zu sein. Sie führte zu zahlreichen Demonstrationen, Unruhen und teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen in den gesamten USA. Die vier Polizisten wurden am nächsten Tag vom Dienst suspendiert, der Tatverdächtige unter Mordverdacht festgenommen.

Donald Trumps Reaktionen auf die Polizeigewalt waren marginal. Seine Reaktionen auf die Demonstranten jedoch deutlich und – sagen wir mal so – nicht deeskalierend. Pauschal twitterte der Präsident von «organisierten Gruppen». Er lobte die «grossartige» Reaktion des Secret Service bei der Verteidigung des Weissen Hauses und drohte den Demonstranten unverhohlen: Beim Überqueren des Zaunes hätten «die bösartigsten Hunde und die verhängnisvollsten Waffen, die ich je gesehen habe», auf sie gewartet.

Ein bewusstes Zeichen

Am Montag hielt Trump eine Rede im Rosengarten des Weissen Hauses. Vor dem Hintergrund wachsender und auch gewaltsamer Proteste kündigte er den Einsatz von «Tausenden schwer bewaffneten» Soldaten und Polizisten in Washington an. Er wolle «Randale, Plünderungen, Vandalismus, Angriffe und die mutwillige Zerstörung von Besitz stoppen», erklärte er und unterstrich: «Ich bin Ihr Präsident für Recht und Ordnung.»

Im Anschluss an seine Rede liess Trump die Demonstranten in der Umgebung des Weissen Hauses durch Sicherheitskräfte unter Einsatz von Gummigeschossen und Reizgas vertreiben. Dann machte er sich zu Fuss auf den Weg in die benachbarte St.-John's-Kirche. Sie war vorher von Protestierenden mit Graffiti beschmiert worden. Vor dem Gebäude liess er sich mit erhobener Bibel fotografieren und erklärte: «Wir sind das grossartigste Land der Welt!» Ein Gottesdienstbesuch? Der hätte sicher anders ausgesehen. Ein Fototermin? Ja, aber es war noch mehr. Ein Zeichen? Genau das wollte Trump wohl für seine treuen Wähler setzen: Die Christen, auf deren Zustimmung und Unterstützung er immer wieder setzte und auf die er auch jetzt baut.

Mut oder Missbrauch?

Tatsächlich gibt es etliche, die diese Aktion des US-Präsidenten begrüssten. So unterstrich der bekannte Evangelist Franklin Graham: «Trump hat damit ein Zeichen gesetzt … Er hat diejenigen überrascht, die ihm nachfolgten, indem er vor der Kirche eine Bibel hochhielt. Danke, Präsident Trump. Gott und sein Wort sind die einzige Hoffnung für unsere Nation.»

Äusserungen wie diese sind in Europa praktisch nicht verständlich. Und auch viele Christen in den USA distanzieren sich deutlich davon. Mariann Edgar Budde ist Bischöfin der Episkopalkirche. Sie unterstrich: «Lassen Sie mich eines klarstellen: Der Präsident hat gerade eine Bibel, den heiligsten Text der jüdisch-christlichen Tradition, und eine der Kirchen meiner Diözese ohne Erlaubnis als Hintergrund benutzt, um eine Botschaft weiterzugeben, die den Lehren von Jesus widerspricht und allem, wofür unsere Kirche steht.» Mehr als 13'000 Likes erhielt ihr gestriger Facebookbeitrag. Er wurde 52'000-mal geteilt. Die Bischöfin erklärte: «Zu diesem Zweck befahl er den Einsatz von Tränengas durch Polizeibeamte in Kampfanzügen, um den Kirchhof zu räumen. Ich bin empört!»

Tatsächlich hat der Einsatz von Reizgas gegen friedliche Demonstranten nichts, aber auch gar nichts mit der biblischen Botschaft von Liebe und Versöhnung zu tun. Der Gemeindepädagoge und Querdenker Jakob «Jay» Friedrich brachte dies plakativ so auf den Punkt: «Wenn die Krone die Bibel in die Kamera hält, lauft so schnell ihr könnt.»

Die andere Wirklichkeit: Knien statt Drohen

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Hauke Burgarth
Nun mag es leicht scheinen, sich aus Europa protestierend zu melden. Ich kenne nicht alle Zusammenhänge und auch nicht die Tiefen der amerikanischen Seele. Ich möchte auch nicht mit dem Hintergedanken über den grossen Teich zeigen, dass wir, in Klammern: Ich, besser wären. Das sind wir nicht. Aber ich möchte hier wie überall dagegen aufstehen, wenn Gott und seine Liebe vor den Karren der Macht gespannt werden. Wenn die Bibel in einer Drohgebärde missbraucht wird.

Der kroatische Theologe Miroslav Volf fragt auf Facebook: «Ein neuer Tiefpunkt in der langen Tradition, Religion zu politischen Zwecken zu missbrauchen: Trumps Tränengasangriff auf friedliche Demonstranten, damit er vor einer historischen Kirche posieren kann, die er nicht besucht, während er eine Bibel hält, die er weder liest noch der er gehorchen will! Warum lassen sich so viele von uns, die Bibel und Kirche lieben, so leicht hinters Licht führen?»

Dass eine christliche Reaktion auch ganz anders aussehen kann als die ihres Präsidenten, unterstrichen zahlreiche US-Polizisten eindrucksvoll: Demonstrativ knieten sie sich nieder, um ihre Betroffenheit, ihre Solidarität, aber auch ihre Mitschuld zu bezeugen. Moment einmal: Soll etwa ein Politiker wie Trump sich hinknien? Warum nicht. Er hätte damit – wie 1970 der Deutsche Bundeskanzler Willy Brandt – ein völlig anderes Zeichen gesetzt.

Eine jeweils tagesaktuelle Zusammenfassung inklusive Quellen findet sich bei Wikipedia. Eine hilfreiche Beurteilung der komplexen Hintergründe von Gewalt und Rassismus in den USA stammt von Carsten Luther.

Zum Thema:
Wegen Corona-Handling: USA: Unterstützung für Trump bei Christen geht zurück
Bricht jetzt das Chaos aus?: Jerusalem als Hauptstadt anerkannt

Mentor für viele junge Männer: George Floyd: «Mann des Friedens» in Houston

Datum: 03.06.2020
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

Kommentare

2) An Heinz Joss: Wenn Gott durch Trump in Israel Grosses tut, dann ist das zuerst und vor allem sein, nicht Trumps Verdienst. Trump muss deswegen noch kein Gottesmann sein.
1) Hat sich Trump in dieser Geschichte dumm, rücksichtslos, kontraproduktiv verhalten? Zweifellos. Aber niemand soll behaupten, dass dies überraschend kam – man kennt Trump mittlerweile (Er hat bereits gezeigt, dass er nur wenig über das Christentum weiss). Wer die Empörung über die Bibelaktion schürt, macht bewusst oder unbewusst mit beim Angriff auf Bibel und Christentum. Die Antifa und andere, die ihre eigenen Ziele verfolgen, nehmen solche Storys (Trump mit Bibel) dankbar auf, um gegen das "System" (inkl. Christentum) loszuziehen. Behalten wir das im Auge, bei aller Trauer um den Glaubensbruder George Floyd, der – es muss gesagt werden – rücksichtslos ermordet wurde.
Weshalb schauen wir auf die anderen und auf ihre Fehler oder Fehlleistungen? Haben wir nicht vor unserer Haustür genug Schmutz! Wer weiss den so genau, ob Donald Trump in der Bibel liest die er in der Hand hält? „Jemanden zu richten definiert nicht, wer er ist, sondern wer du bist. Lasst uns liebevoll zu einander sein, es gibt schon viel zu viel Hass in dieser Welt“ Kerry Katona (Zitat des Tages auf Livenet.ch vom10.06.2020
Dann, Herr Burgarth gibt es bei Ihnen oder bei Sam Urech die Bewilligung, eine Bibel in der Hand halten zu dürfen? Sollten nicht wenigstens Christen aufhören, sich von der Mainstream-Presse blenden zu lassen und vielleicht etwas tiefer, ausgewogener und auf den gesamten Leistungsausweis von Donald Trump zu blicken?
Vielen Dank für den guten und ausgewogenen Artikel! Donald Trump wird auch weiterhin polarisieren. Man sollte bedenken, dass Martin Luther King ermordet wurde, weil er sich für ähnliche Anliegen eingesetzt hat wie die Menschen, die jetzt demonstrieren. Sein Sohn hat an der Gedenkfeier für George Floyd teilgenommen. Wiederholt sich die Geschichte? Für uns ist Martin Luther King eine Art Held, wer sind die Helden von heute? Für mich sind es die weissen Polizisten, die mitten in einer potenziell gewalttätigen Masse auf der Strasse niederknien und von schwarzen Demonstranten umarmt werden. Gott hat Menschen mit verschiedenen Hautfarben geschaffen, aber er hat definitiv alle gleich lieb.
Donald Trump ist ein ganz toller Gottesmann. Ein Kyrus wie in Jesaja 45, der Gottes Willen ausführt.
Wie notvoll, eine grauenvolle Instrumentalisierung der Bibel. Und damit wird wie schon durch die ganze Menschheitsgeschichte nun auch im 21. Jahrhundert Gott vor den Karren von "America first" gespannt. Miroslav Volf hat es auf den Punkt gebracht: Da hält einer eine Bibel, die er werder liest noch der er gehorchen will!. Warum, Heinz Joss, lässest Du Dich als einer der die Bibel liebt für Jesus unterwegs ist, so leicht hinters Licht führen??? Mich erschreckt das, und ich leide darunter.

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