«Den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche!» proklamieren die einen und
befürworten stärkere Anpassung an die Gesellschaft. «Nicht von dieser Welt» zitieren die anderen und fordern mehr
Kontrast. Was sagen Kirchenleiter der BewegungPlus zu diesem Spannungsfeld?
Die Vorstandsmitglieder der BewegungPlus wurden gefragt, wo
zurzeit Kontrast und Gegenkultur und wo Anpassung und Brücken gefragt sind:
Thomas Eggenberg
Thomas Eggenberg
Die Kirche soll im Kontrast zu allen
Ideologien stehen, die als moderne Götter Einfluss und Macht über die Menschen beanspruchen. Drei dieser
«-ismen» halte ich für besonders relevant:
Individualismus: Der einzelne Mensch definiert und verwirklicht sich
selbst.
Relativismus: Es gibt weder Wahrheit noch ethische Massstäbe.
Kapitalismus: Wirtschaftliches Handeln orientiert sich am (finanziellen)
Wachstum.
Jedoch darf die Kirche diese Ideologien nicht mit Gegenideologien
bekämpfen, sondern soll das Evangelium von Jesus und seinem Reich ins Zentrum
stellen:
Gegen Individualismus hilft nicht Sozialismus, sondern die Nächstenliebe,
die ein gesundes Verständnis des Individuums einschliesst.
Gegen Relativismus hilft nicht Absolutismus, sondern ein relationales
Wahrheitsverständnis, das die biblische Offenbarung ernst nimmt.
Gegen Kapitalismus hilft nicht Kommunismus, sondern eine soziale und
ökologische Marktwirtschaft.
Matthias Wenk
Zuoberst auf meiner
«Kontrast-Wunschliste» steht: Wir kündigen den Waffenstillstand mit dem
bürgerlichen Leben und seinem Wunsch nach Erfolg und finanzieller Sicherheit.
Stattdessen suchen wir Gott an den Rändern der Gesellschaft und hören seine
Stimme dadurch klarer. Gleichzeitig verabschieden wir uns vom Individualismus
und seiner «Es-muss-für-mich-stimmen»-Mentalität und bewegen uns hin zur
Solidarität. Dazu brauchen wir Worshipsongs, die nicht nur vom «Ich» und Gott
handeln, sondern Lieder, in denen es ein «Wir» gibt, die auch sozialethische
Themen und die Schönheit eines heiligen Lebens besingen.
Etwas zu viel Kontrast hat unser
Menschenbild, das mitunter arg dunkel und farblos erscheint. Kein Mensch ist
bloss ein «Sünder und mangelt des Ruhms vor Gott», sondern er ist auch «nur ein
wenig niedriger gemacht als Gott... [und]
mit Ehre und Herrlichkeit... gekrönt».
Nadja Thalmann
Nadja Thalmann
Corona lässt unsere
Veranstaltungen kleinschrumpfen – und zeigt uns, dass Kirche eben nicht von
ihrer Grösse, Performance oder dem durchgeplanten Programm abhängt, sondern
vielmehr von echten Beziehungen zueinander und zu Gott. Die aktuelle Zeit lehrt
uns, unser Augenmerk wieder bewusst darauf zu richten und damit einer Welt, in
der sowieso schon immer alles noch grösser und perfekter sein muss, etwas viel
Kostbareres entgegenzuhalten.
Verstehen uns die Menschen
ausserhalb unserer Kirchenmauern überhaupt? Sind all die Begriffe, Bilder und
Formulierungen, die über Jahrzehnte unsere Kirchensprache geprägt haben, für
sie verständlich? Ich wage es zu bezweifeln. Aber Sprache ist wichtig, denn sie
schafft Brücken. Ich plädiere dafür, dass wir stärker und bewusster die Sprache
der Menschen sprechen, damit die gute Nachricht auch wirklich bei ihnen ankommt
und verstanden wird.
Markus Bettler
Seit Jahren führen wir viele Menschen zu
Jesus, die keine Ahnung von der biblischen Ethik haben. In unserem
Festigen-Kurs haben wir ein Kapitel über Sexualethik. Die Neulinge im Glauben
sind oft sehr überrascht, dass die biblischen Leitlinien eine grosse Hilfe für
ihr Leben bieten. Bis jetzt habe ich noch nie erlebt, dass jemand ein Problem
damit hatte, dass die Sexualität in die Ehe gehört. Im Gegenteil: Viele
äusserten sich so, dass sie dies gerne schon vorher gewusst hätten. Um den
Menschen eine Hilfe zu bieten, haben wir das Buch «Unverschämt biblisch»
geschrieben. Dieses Buch zur christlichen Sexualethik findet ein grosses
Interesse, weil es von verschiedenen Autoren von Kirchen und Freikirchen
verfasst wurde. Dieser Kontrast zur Gesellschaft im Bereich der Sexualität ist
für viele Menschen hilfreich.
Meinrad Schicker
Meinrad Schicker ist Pastor der BewegungPlus Thun (Bild: BewegungPlus)
Unser empörter Aufschrei gegen den moralischen Niedergang und das
Jammern über den Verlust der «christlichen Schweiz» helfen nicht weiter. Das
Zitieren eines Bibelverses hat gesellschaftlich keine Autorität mehr. Wir
müssen vielmehr unsere Leben reden lassen. Es braucht authentische Geschichten,
die aufzeigen, warum es sich lohnt, seinem Ehepartner treu zu sein. Wir
verschenken uns selbst, Geld und Freizeit – und haben doch genug. Die Menschen
erleben mit, dass wir wie sie Leid und Schmerz kennen, aber doch von Hoffnung
getragen sind. Die Menschen sollen an uns erkennen, dass Jesus lebt. Wir lassen
nicht zu, dass der Glaube in die Privatsphäre abgedrängt wird. Wir jammern
nicht, sondern erzählen fröhlich, wie Jesus und die Kirche unsere Leben reich
machen. Das wird nicht ohne Wirkung bleiben: Licht wird gerade in der der
Dunkelheit der Orientierungslosigkeit gesucht und wahrgenommen.
Dän Zeltner
Das Leben in Christus ist ein Mix von Gnade und Wahrheit (Johannes
Kapitel 1, Vers 14). Ich glaube, dass es echt auf die Reihenfolge dieser beiden Schlagwörter
ankommt: Wir Menschen erlangen Zugang zur Wahrheit durch die Gnade. Mit der
Digitalisierung des Gemeindelebens hat vor allem der Aspekt der Wahrheit viel
Schub bekommen: Blogs, trendige YouTube-Videos über den Jesus-Lifestyle sowie
Online-Predigten und Worship-Musikvideos werden fleissig auf den Sozialen
Medien geteilt. Durch das Internet können wir Christen (endlich) sagen, was
recht und gut ist, und der Welt zeigen, wo Gott genau sitzt.
Während viele
Pastoren sich über die vielen Klicks ihrer Online-Gottesdienste freuen (dazu
zählte ich mich anfangs auch), frage ich mich, wie die am Glauben
interessierten Livestream-Zuschauer überhaupt einen Zugang zur Gnade Christi
finden sollen. Das Verhältnis zwischen Gnade und Wahrheit stimmt nicht mehr.
Während sich die Wahrheit auf digitalen Wegen entfaltet, braucht die Gnade eine
persönliche Begegnung, um sich zu manifestieren. Damit sollte klar sein, was
die Gemeinde jetzt zu tun hat.
Meghan und Harry sorgten mit einer «Netflix»-Doku für mächtig Wirbel. Die Autorin und «Woman Alive»-Chefredaktorin Tola Doll Fisher machte sich dazu...